ENTSCHEIDUNG FÜR DEGUSSA ZEIGT DIE KRAFT DES HOLOCAUST-DENKMALS: Die Debatte war nicht für die Katz
Sichtet man die Reaktionen auf die Entscheidung des Kuratoriums der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zur weiteren Beteiligung von Degussa am Bau des Mahnmals, fällt auf: Am klügsten und versöhnlichsten argumentierte mal wieder der Architekt des Mahnmals, Peter Eisenman. Er verwies zurecht darauf, dass eben auch diese Diskussion zum Mahnmal gehöre. Wie so oft seit der ersten Idee für das Denkmal vor 15 Jahren hat das Stelenfeld die deutsche Gesellschaft zu einer Analyse ihrer selbst und ihres Umgangs mit der NS-Zeit gezwungen. Dieses Mal ging es um die Frage, wie deutsche Firmen mit ihrer NS-Geschichte umgehen. Solche Debatten anzustoßen, gelingt dem werdenden Mahnmal immer wieder. Damit bleibt es ein modernes, lebendiges Denkmal, das die Republik braucht.
Vielleicht liegt es auch an dieser Einsicht, dass die Öffentlichkeit den Beschluss des Kuratoriums überwiegend positiv aufnahm. Zwar beharren einige wie etwa der Chef der Jüdischen Gemeinde Berlins, Alexander Brenner, auf ihren Argumenten gegen die Nutzung von Degussa-Produkten, und diese Argumente haben auch weiter ihre Berechtigung. Die Luft aber ist nun raus aus der Diskussion. Die Vernunft hat über die Emotion gesiegt.
Tatsächlich wäre es mehr als unlogisch gewesen, ein Degussa-Mittel als Betonverflüssiger im Fundament zu akzeptieren, ebenso wie Produkte von Bayer, einer Nachfolgefirma der mörderischen IG-Farben – zugleich aber darauf zu beharren, dass auf die Stelen kein Degussa-Lack soll, um das Mahnmal irgendwie „rein“ zu halten. So siegte glücklich die Einsicht, dass es eben nicht ohne Produkte ehemals befleckter Firmen zu bauen ist, ja, dass dies vielleicht sogar notwendig zu einem Mahnmal des ganzen deutschen Volkes gehört. Der Beschluss für eine Dokumentation der Debatte am Denkmal selbst könnte diesem zudem zusätzliche Tiefe und gesellschaftliche Relevanz geben. Die letzten drei Wochen der Diskussion waren also lehrreich und durchaus nicht für die Katz. Dies ist ein Zeichen dafür, dass das Denkmal zu großer Kunst werden könnte. PHILIPP GESSLER
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