piwik no script img

Sarrazin bleibt ohne Schatten

Um die so hochgekochte Tempodrom-Anklage gegen Thilo Sarrazin (SPD) ist es sehr ruhig geworden. Einen Dauermahner gibt es nicht. Die Opposition wartet sichtlich darauf, ob es zum Prozess kommt

VON STEFAN ALBERTI

Sie wollten ihn schier steinigen. Hielten ihn für unhaltbar. Forderten seinen sofortigen Rücktritt. Die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) in der Tempodrom-Affäre ließ Oppositionspolitiker und Medien schier nach Blut lechzen. Und auch einige Parteifreunde von ihm abrücken. Zwei Monate ist das her – und Sarrazin ist weiter im Amt. Seit Wochen spielt die Anklage keine Rolle mehr, weder im Parlament noch in Schlagzeilen. Den dauernden Piekser, den Abgeordneten, der nonstop sagt, dass ein Senator unter Anklage zu gehen habe – ihn gibt es nicht.

Das klassische Vorbild für die Dauerstichelei hieße Cato der Ältere, altrömischer Politiker. Ob Innen-, Außen- oder sonstige Politik: Am Ende jeder Rede fügte der lange Zeit seine Forderung an, die Stadt Carthago zu zerstören – „ceterum censeo carthaginem esse delendam“. Seine Büste zeigt einen kantigen, breiten Kopf – ein echter Dickschädel.

Über 2.150 Jahre später im heutigen Berlin sucht man nach so jemandem vergeblich. Zu vielem hörte Sarrazin jüngst im Hauptausschuss Kritik, von Hartz IV bis zum Thema Nachtragshaushalt. Das Wort „Anklage“ aber fiel nicht. „Damit wird man doch auf Dauer nicht mehr ernst genommen“, ist bei der Opposition zu hören. Auch den damals rund 80-jährigen Cato hat mutmaßlich mancher belächelt. In seinem Todesjahr 149 v. Chr. aber erreichte er sein gruseliges Ziel: Rom griff Karthago an.

Vor allem bei der CDU, die nach der Anklage wegen Untreue schnell von einem Misstrauensantrag sprach, der nie kam, hat sich merklich Realismus breit gemacht. Der Regierende Bürgermeister habe sich festgelegt und hinter Sarrazin gestellt, die SPD-Fraktion halte zu ihm – „auf der parlamentarischen Ebene kriegen wir ihn nicht weg“, heißt es.

So still ist es um die Anklage geworden, dass es schon fast überraschte, als CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer am Wochenende beim Landesparteitag kurz darauf einging. Was aber nichts an der Situation ändert. Es ist eine Ruhe vor dem Sturm. Man wartet sichtlich auf die eigentliche Entscheidung: Lässt das Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft überhaupt zu? Gibt es tatsächlich einen Prozess? Muss Sarrazin vor die 36. Wirtschaftsstrafkammer?

In dem trutzigen Gerichtsbau an der Turmstraße gibt Pressesprecher Arnd Bödeker seit Wochen die immer gleiche Auskunft. Dass noch nicht entschieden sei. Dass er nicht sagen könne, wann das geschieht. In der Landespolitik stellt man sich als Termin aufs Jahresende ein.

Es ist eben anders als bei dem früheren SPD-Landeschef und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder. Der trat im April nach Dauerfeuer von Opposition, Medien und Teilen der eigenen Partei zurück. Da aber gab es stets neue Ansatzpunkte, das Thema am Köcheln zu halten, neue Vorwürfe, die sich lancieren ließen.

Anders bei Sarrazin. „Der kam doch, als beim Tempodrom fast alle Messen gesungen waren“, verhehlt man auch bei der CDU nicht. Tatsächlich war Sarrazin, seit Anfang 2002 Senator, nur beim letzten und finanziell kleinsten Kapitel der Tempodrom-Finanzierung dabei: als im Herbst 2002 über ein Sponsoring der landeseigenen Investitionsbank 1,7 Millionen Euro in den Bau flossen. Ein Bruchteil der gegenüber den ursprünglichen Planungen auf 33 Millionen Euro verdoppelten Baukosten.

Eins scheint die Opposition zudem zu hemmen: Sarrazin ist anzusehen, dass eine Kopfoperation erst drei Monate her ist. Ihn hart anzugehen, dass könnte auch Sympathien kosten. Sarrazin selbst aber gab dafür jüngst freie Bahn: Ihm gehe es gut. Unschuldig fühlt er sich sowieso.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen