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Am Rande des Limits

Die AOK untersuchte, wie gesund Deutschlands Freizeitläufer trainieren. Frauen laufen vor allem aus Freude an der Bewegung, während Männer in erster Linie ihre Leistungsfähigkeit steigern wollen

von ANDREAS LOHSE

Keuchend und schwitzend schleppen sie sich mit teils kuriosen Bewegungen die Straßen entlang oder durch Parks. Dabei müssen sie Hunden ausweichen, sich hämische Bermerkungen fetter Passanten anhören oder die Sprüche pubertierender Jugendlicher. Doch wirklich abgebrühte Jogger ficht das nicht an – und lästern sollte im Grunde nur, wer selbst täglich oder zumindest wöchentlich den inneren Schweinehund überwindet und sich wieder auf die Piste begibt. Denn, so lautet ein Bonmot in Joggerkreisen: Das wirklich schwierige am Joggen ist der erste Schritt vor die Haustür.

Das allein jedoch ist noch nicht so problematisch. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) richteten ihr Augenmerk jüngst auf ganz andere Punkte. In einer gemeinsamen Studie mit der Sporthochschule Köln stellten sie fest, dass sich viele Freizeitläufer offenbar überfordern. Fast die Hälfte aller Männer und Frauen belasten beim Joggen ihren Körper so stark, dass das Laufen nicht mehr unbedingt ihrer Gesundheit nutzt.

„Vor allem Anfänger sind oft zu schnell, und auch mancher erfahrene Läufer verausgabt sich beim Training“, so der Leiter des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln, Henning Allmer. Gesünder sei es, beim Laufen das Tempo zu wechseln und Pausen einzulegen. Ein weiteres Ergebnis: Frauen laufen vor allem aus Freude an der Bewegung, während Männer sich in erster Linie anstrengen und ihre körperliche Leistung steigern wollen.

Für ein gesundes Training wird empfohlen: Jeder Läufer muss seine individuelle Belastung kennen lernen. Faustregel: „Laufen ohne zu schnaufen.“ Wer sich beim Training normal unterhalten könne, liege richtig.

Bei ihrer Untersuchung analysierten die Wissenschaftler das Laufverhalten der Freizeitsportler „unter medizinischen und psychologischen Gesichtspunkten“, wie es heißt. Die körperliche Belastung prüften die Mediziner durch eine Messung des Laktat-Spiegels – also des Salzes der Milchsäure im Blut der Läufer. Deren Motivation und Wohlbefinden wiederum wurde durch Fragebögen ermittelt.

Im ersten Teil der Untersuchung befassten sich die Sportwissenschaftler mit 171 Freizeitläufern aus Bonn und Umgebung im Alter von 16 bis 85 Jahren. Getestet wurde das Laufverhalten in mehreren Varianten vom Fitnessstudio bis zum Volkslauf.

Dabei stellte sich heraus, dass sowohl Jogger, die alleine laufen, als auch Gruppenläufer ein Training bevorzugen, bei dem sich Belastung und Erholungsphasen abwechseln. Die Laktatwerte von Gruppenläufern lagen hier eher als bei Einzelläufern im „kritischen Bereich“.

Erweitert wurde die Studie im September 2003 durch 150 Läufer aus Berlin und Dresden im Alter zwischen 11 und 74 Jahren. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Vergleich zwischen Anfängern und Fortgeschrittenen, der Typologie der Freizeitläufer und dem Verhalten von Paaren, die gemeinsam trainierten. Ein Ergebnis hier: „Die Körperwahrnehmung ist insgesamt eher schlecht.“ Die Testläufer gaben an, dass sie auf Warnsignale wie zum Beispiel Seitenstechen, Pulsrasen, Muskelkrämpfe oder Kreislaufprobleme „eher nicht“ achteten. Zwar nähmen Einzelläufer solche Signale eher wahr als Jogger in einer Gruppe, sie zögen aber seltener Konsequenzen. Gruppenläufer seien eher bereit, problematisches Laufverhalten zu ändern.

Die Sportwissenschaftler ermittelten bei mehr als der Hälfte der Laufanfänger Laktatwerte im kritischen Bereich; bei den Fortgeschrittenen hatte immer noch mehr als ein Drittel der Läufer Werte über dem grünen Bereich. Wer im grünen Bereich jogge, fühle „sich im Ziel fit und ist guter Stimmung“. Läufer im kritischen Bereich seien dagegen häufig müde. Insgesamt fanden die Forscher drei Läufertypen. Der „gesundheitsorientierte Typ“ setze beim Training auf Belastungswechsel, achte auf die Signale seines Körpers und passe sein Verhalten Problemen während des Laufens an. Der „fitnessorientierte Typ“ sei an der Verbesserung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit interessiert, setze hierzu unterschiedliche Trainingskonzepte ein und achte „nicht genügend auf seine Körpersignale“. Der „leistungsorientierte Typ“ arbeite vor allem an der Verbesserung seiner Leistung. Er gehe beim Laufen an sein Limit – und sei dadurch häufig überfordert. Körpersignale würden „oft ignoriert“.

„Die Studienergebnisse werden uns helfen, eine Läufertypologie zu erstellen“, heißt es bei der AOK. Sie könne dann als Grundlage für einen Test dienen, mit dem sich Freizeitsportler selbst einschätzten und „das für sie geeignete Trainingskonzept finden“.

Eine Zusammenfassung der Studiefindet man unter www.aok.de

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