: Vor neuen Bündnissen in Bagdad
Die USA hoffen auf eine schiitisch-kurdische Allianz, um die sunnitische Guerilla politisch zu isolieren. Der Fahrplan für die Bildung einer Übergangsregierung wird revidiert
KAIRO taz ■ „Teile und herrsche“, lautet das klassische alte Kolonialrezept. Und einmal mehr könnte es sich für die USA im Irak als brauchbar erweisen. In Kreisen der amerikanischen Besatzungsverwaltung wird derzeit die Möglichkeit einer kurdisch-schiitischen Allianz im Irak diskutiert, die, so die Hoffnung, den Aufstand im sunnitischen Dreieck zumindest zurückdrängen, wenn nicht sogar niederschlagen soll.
Vordergründig sah es Ende November so aus, als würden die USA mit ihrem neuen Fahrplan für die Machtübergabe im Irak erneut Schiffbruch erleiden. Bis Mai nächsten Jahres sollte nach afghanischem Muster in den 18 Provinzen des Landes auf mehreren lokalen Versammlungen Delegierte für eine Nationalversammlung einberufen werden. Diese sollte dann bis Ende Juni eine Übergangsregierung wählen, um die Amtsgeschäfte von den Besatzern zu übernehmen und im Jahr darauf eine Verfassung zu schreiben und allgemeine Wahlen zu organisieren.
Kaum war die Übereinkunft zwischen dem irakischen Regierungsrat und der US-Verwaltung veröffentlicht, legte der oberste schiitische Geistliche Ajatollah Ali al-Sistani sein Veto ein. Er fordert, dass bereits die Übergangsregierung durch allgemeine Wahlen bestimmt werden müsse. Er hofft dabei, dass die schiitische Mehrheit des Landes endlich ihren angemessenen Platz im politischen System des Irak erhält.
Ein amerikanischer Albtraum, sollte man meinen, zumal die irakischen Schiiten enge Verbindungen zur Islamischen Republik Iran unterhalten. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Der Kurdenführer Dschalal Talabani reiste ins schiitische Nadschaf und traf sich dort mit Sistani. Anschließend stellten sich beide in einer seltenen Demonstration der Einigkeit der Presse und erklärten, dass der amerikanische Plan für die Zukunft des Irak modifiziert werden müsse.
Dies löste in Washington keine Proteste aus, denn: Wie wäre es mit einem schiitisch-kurdischen Bündnis gegen die aufständischen Sunniten? Also versprach die US-Regierung, die Einwände gegen ihren Fahrplan ernsthaft zu prüfen. Nun wird im Dreieck verhandelt. Die US-Verwaltung im Irak führt Gespräche mit den schiitischen und kurdischen Mitgliedern des Regierungsrates über eine mögliche Modifizierung des Zeitplans. Inzwischen hat der Regierungsrat einen vierköpfigen Ausschuss geschaffen, der die Einwände der Schiiten berücksichtigen und einen Kompromiss zwischen direkten Wahlen und dem ursprünglichen Konzept finden soll.
Die Bereitschaft der USA, das von Washington vorgeschlagene Prozedere des Machttransfers erneut zu verhandeln, hat allerdings einen Preis: eine stärkere schiitische und kurdische Unterstützung gegen die sunnitischen Guerillas im Zentralirak. Noch zögern die Gesprächspartner, in dieses Wespennest zu stoßen. Die Angst vor einem Bürgerkrieg ist groß. Sowohl Kurden als auch Schiiten würden es bevorzugen, dass Washington sein Sunnitenproblem politisch und alleine löste.
Eine Möglichkeit wäre, die Sunniten zu spalten und für die neue schiitisch-kurdische Allianz auch ein paar sunnitische Partner zu finden, in der Hoffnung, die Guerilla auch innerhalb der eigenen Gemeinschaft zu isolieren. Die aktive Teilnahme an Wahlen, die endlich eine legitime irakische Regierung hervorbringen würden, wäre ein mögliches Zuckerstück.
Soweit die graue Kolonialtheorie. Für eine kurdisch-schiitische Allianz müssen noch große Hürden überwunden werden. Die Nachbarstaaten könnten einen Strich durch die Rechnung machen. Die Türkei fürchtet jegliche Stärkung der Kurden im Irak. Der Iran, der Teil der „Achse des Bösen“ Washingtons ist und großen Einfluss auf Iraks Schiiten hat, zeigt keinerlei Interesse, es den Amerikanern im Irak einfach zu machen.
Und über alldem steht die Frage, ob der Irak tatsächlich so einfach aus Sunniten, Schiiten und Kurden gestrickt ist. Der Argwohn gegenüber den Besatzern und der irakische Nationalstolz sind religiös und ethnisch übergreifend. Auch die schiitischen und kurdischen Führer haben keinen unbegrenzten Spielraum bei den Verhandlungen mit den Besatzern. Und eines wollen weder Schiiten noch Kurden: die heutigen enormen ungelösten militärischen und politischen Probleme im Irak übergangslos von den Besatzern übernehmen.
KARIM EL-GAWHARY
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