: „Schleswig-Holsteiner sind Dickköppe“
In 84 Tagen, am 20. Februar 2005, wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag. Im letzten taz-Interview zur Wahl heute: SPD-Spitzenkandidatin Heide Simonis über ein neues Steuerkonzept, Schule für alle – und die Wikingertradition im Norden
Interview:Esther Geißlingerund Sven-Michael Veit
taz: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Parteitags-Ergebnis.
Heide Simonis: Das hätte ich gerne am 20. Februar.
Können wir uns denken. Ist die SPD-Schleswig-Holstein eine Ein-Frau-Partei?
Nein, da sie durch den Vorsitzenden Claus Möller wieder profilierter wurde: Sie ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Wir haben begriffen, dass sich die SPD nicht in Sack und Asche im Hinterzimmer treffen muss. Ein Ergebnis von 100 Prozent hat nach außen eine tolle Wirkung, aber es ist wie bei früheren Wahlen auch: Der oder die Spitzenkandidatin muss immer einiges schultern. Dazu braucht er die Hilfe der ganzen Partei.
Nach den neusten Umfragen scheint eine rot-grüne Mehrheit knapp erreichbar – Ihr Traumergebnis?
Das Traumergebnis wäre die absolute Mehrheit, aber ich wäre zufrieden, wenn es mit Rot-Grün klappt. Wir haben fünf Jahre sehr gut zusammengearbeitet. Und ein anderer Partner bietet sich nicht an: FDP und CDU haben früh gesagt, dass sie miteinander gehen wollen. Außerdem gibt es in vielen Bereichen keine Brücken zur FDP. Zu einer rückwärtsgewandten CDU ohnehin nicht.
Der SSW wäre bereit, eine Minderheitsregierung zu tolerieren – die drittbeste Möglichkeit?
Es ist dem SSW leider schwer beizubringen, dass es die Tradition der Minderheitenregierung bei uns nicht gibt. In so einer Konstellation muss man sich Zustimmung durch Zugeständnisse erkaufen. Der SSW ist der SPD oft nahe, aber eben nicht immer, und da kann es schwierig werden. Ganz ausschließen würde ich eine Zusammenarbeit nicht.
Es besteht die Gefahr, dass die NPD einzieht – was würde das heißen?
Wenn‘s ganz schlecht käme, eine große Koalition – aber ich hoffe das nicht. Große Koalitionen gaukeln vor, dass eine große Politikerfamilie alle Probleme löst. Das Ziel, das wir uns gemeinsam setzen sollten: Die NPD darf nicht einmal in die Nähe des Landtages kommen.
Lieblingsthema der CDU ist die Haushaltslage, und die sieht wirklich schlecht aus. Hat Ihre Regierung da Fehler gemacht?
In nahezu allen Ländern sind die Haushalte wenig erfreulich. Unser Problem war, dass wir den Haushalt in einem schlechten Zustand übernommen haben – wenigstens zu ihren eigenen Schulden sollte die CDU stehen. Dann kamen die Kosten für die Deutsche Einheit. Und: Wir haben eine Wirtschaftsstruktur aus kleineren und mittleren Betrieben – damit wird ein Land nie reich. Wir müssen modernisieren auf Teufel komm raus. Noch heute denken die Leute bei Schleswig-Holstein an Wasser, Kühe, Schiffe. Erst im zweiten oder dritten Schritt kommen andere Dinge: Unis, Spezialfirmen, oft Marktführer in ihrer Nische. Die müssen wir vernetzen, und wir müssen Betriebe ansiedeln, Ideen vorantreiben, auf Bildung setzen, das alles kostet viel Geld.
Sie wollen die Lage retten durch ein neues Steuerkonzept. Ist das nicht einfach zu sagen: Wir haben ein Problem, aber lösen soll es der Bund?
Was uns wirtschaftlich weiterbringen kann, sind niedrigere Lohnnebenkosten. Also orientieren wir uns an Skandinavien: Mittelfristig wollen wir die Mehrwertsteuer erhöhen und damit die Sozialabgaben senken. Wir wollen zugunsten eines Familiengeldes das Ehegattensplitting begrenzen, die richtig Reichen und großen Erben mehr in die Pflicht nehmen, die Zahl der Einkommensarten beschränken. Das ist sozial gerecht, sichert Staatseinnahmen, fördert die Innovationsbereitschaft und hilft, die Zahl der Arbeitslosen senken.
Die SPD ist stolz auf Existenzgründer im Land. Heute finden Gründungen oft aus Not statt. Kann man darauf stolz sein?
In Schleswig-Holstein wird aus Begeisterung gegründet. Schleswig-Holsteiner sind Dickköppe und Tüftler, sie arbeiten gern für sich allein. Das Problem ist, dass viele Unternehmer nicht über die Grenze hinweg denken – da sind sie zu bescheiden. Die Zahlen zeigen auch, dass sich hier Unternehmen von außerhalb ansiedeln, etwa aus Hamburg. Die Wirtschaftsregion Schleswig-Holstein/Hamburg ist eine riesige Chance für beide Länder. Deshalb sind wir gern bereit, mit Hamburg zusammenzuarbeiten, etwa Flächen abzutreten für Projekte wie den Airbus-Bau.
Stichwort Verkehr. Autobahnen, Flughäfen, feste Beltquerung – ist das gut für ein Land, das sich als Tourismus- und Naturstandort profilieren will?
Der Verkehr wird nicht weniger, im Gegenteil: Der Schwerlasttransport wächst jährlich. Wir müssen einiges dafür tun, damit auf unseren Straßen nicht der größte Parkplatz der Welt entsteht. Ich bin kein Fan von Autobahnen, aber wir brauchen die A 20. Die Fehmarnbeltquerung ist nur mit vernünftigen Anschlüssen sinnvoll, und wenn Schiene und Straßen zusammenkommen. Dazu braucht der Staat private Partner.
Wird Schleswig-Holstein ein Transitland?
Durch die genannten Projekte nicht. Und wir wollen unsere Vorteile nutzen, nämlich die saubere Umwelt, die bestimmte Firmen anlockt. Aber dafür müssen wir den Verkehr kanalisieren und von der Straße wegbringen. Das betrifft zum Beispiel die Bahn zwischen Lübeck und Hamburg. Ein Drittel aller Container, die in Hamburg umgeschlagen werden, laufen von Lübeck über ein Hoppelding von Schiene – das heißt, da laufen sie eben nicht, sondern über die Straße. Deshalb möchten wir einen elektrischen Shuttleverkehr hinbekommen. Was die Flughäfen angeht: Es ist schon merkwürdig, dass es in Kiel keinen Flughafen gibt, der uns mit Kopenhagen, Frankfurt und den Ostseeanliegern verbindet. So gerne ich Raps und Meer habe: Wir müssen aufpassen, dass man hier weiter arbeiten kann – mit guter Infrastruktur, guten Schulen, Unis und Menschen, die zu uns ziehen. Zurzeit sind es viele Rentner.
Schleswig-Holstein wird also zum Altersheim?
Ältere Menschen sind herzlich willkommen. Wer im Alter umzieht, ist meist fit, engagiert sich und bringt oft ein bisschen Geld mit. Aber die Menschen brauchen irgendwann Pflege – dann wird schmerzlich bewusst, wenn Junge fehlen. Deshalb müssen wir uns um junge Familien bemühen.
Ein Thema, mit dem alle Parteien Wahlkampf betreiben, ist die Schulpolitik. Sie treten für die Gesamtschule ein...
Wir sind in die Länder gefahren, die bei Pisa besser abgeschnitten haben. Wir haben viele Gespräche geführt, dann haben wir die Programme erarbeitet, die wir direkt umsetzen können, nämlich Schul-TÜV, betreute Grundschulen, offene Ganztagsschulen, gemeinsame Prüfungen, eigenständige Schulen. Aber das ist erst der Anfang. Aufgefallen war uns: Wo es gut läuft, gibt es kein dreigliedriges System. Es müssen nicht immer klassische Gesamtschulen sein, aber „Schulen für alle“, wo die Kinder länger zusammenbleiben. Dazu sagt die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner ja. Wir müssen ohnehin ran an die Bildungspläne, weil die Kinder weniger werden. Aber man muss nicht erschrecken, der Übergang geht nicht von jetzt auf gleich.
Ist die Frage nach dem Schulsystem ein Glaubenskrieg?
Von Seiten der CDU ja – die wollen sogar die Aufnahmeprüfung für die höhere Schule wieder einführen. Das würde bedeuten, dass die Tagesform eines zehnjährigen Kindes entscheidet, wie seine Zukunft aussieht.
„Unter Männern“, heißt Ihre Biographie. Wie schaffen es mehr Frauen an die Spitze, und was tun Sie dafür, dass es in Schleswig-Holstein einen Tick schneller geht?
Wir im Norden haben es leichter, weil wir die Wikingertradition haben, die Frauen mehr Rechte gab. In der Regierung und der Fraktion haben wir Quoten, und es gibt Genderprogramme an Unis und Schulen.
Wie sieht Schleswig-Holstein in fünf Jahren aus? Werden Sie dann noch im Amt sein?
Ich hoffe, die Arbeitslosigkeit ist gesunken und die Kassen sehen freundlicher aus. Wir werden unsere Spitzenpositionen in vielen Bereichen ausgebaut haben. Wir werden in der Bildung Vorbildliches geleistet haben. Dafür trete ich noch einmal an. Aber ich mache nicht nur die Wahlkampflokomotive, ich will mitgestalten. Zum Ende der nächsten Legislaturperiode muss eine Entscheidung fallen – ich habe keine Lust, mich vom Stuhl kratzen zu lassen. Aber: Wenn die Schleswig-Holsteiner nach mir rufen, verschließe ich mich nicht.
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