: Die Faxen dicke
Nach der Wende im Mzoudi-Prozess: Richter Rühle vor allem frustriert über deutschen Geheimdienste
Als sich der Vorsitzende des Staatsschutzssenat am Hanseatischen Oberlandesgericht, Klaus Rühle, gestern früh auf den Prozess gegen Abdelghani Mzoudi vorbereitete, hatte er sicherlich schon eine gewisse Wut im Bauch. Denn er hatte für die Verhandlung einen Vermerk formuliert, in dem er Punkt für Punkt auflistet, welche vergeblichen Bemühungen er unternommen hatte, endlich an die Vernehmungsprotokolle des mutmaßlichen Drahtziehers der Anschläge vom 11. September 2001, Ramzi Binalshibh, zu kommen. Doch dass das Gericht mittags den Angeklagten auf freien Fuß setzen würde und damit ein Fehlurteil seines Vorgängersenats eingesteht, ahnte er am Morgen wohl noch nicht.
Doch als um 8.28 Uhr ein Fax des Bundeskriminalamtes (BKA) eintrifft, hat Rühle die Faxen dicke. In dem Schreiben wird erklärt, dass das BKA „seit November und der Zeit davor“ mittels einer „Auskunftsperson“ Informationen besitzt, dass Mzoudi niemals in die Anschlagsplanungen eingebunden war.
Noch drei Tage zuvor hatte Rühle mit dem Chefkoordinator der Geheimdienste im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau, telefoniert und die Freigabe der Binalshibh-Protokolle erbeten. Doch Uhrlau weigerte sich, verwies auf das Bundesinnen- und Bundesjustizministerium.
„Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass es sich bei dieser Auskunftsperson um Ramzi Binalshibh handelt“, erklärt Rühle. Das Gericht habe „keinen Zweifel daran, dass Binalshibh, der von US-Behörden gefangen gehalten wird, seitdem intensiv vernommen worden ist.“ Daher gehe der Senat davon aus, dass die ernsthafte Möglichkeit bestehe, „dass Mzoudi trotz seiner Einbindung in das Umfeld von der Organisation der Anschläge ausgeschlossen war“. „In dubio pro reo“ sei er aus der Haft zu entlassen. KAI VON APPEN
weiterer bericht SEITE 7
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen