: Anders begabte Puppen
SPIELEN US-Hersteller bieten auch Puppen mit Behinderungen an: Brauchen Kinder mit Downsyndrom tatsächlich eine „Downi Doll“?
VON SEBASTIAN MOLL
Das „Toys R Us“ am New Yorker Times Square steht in diesem Frühjahr ganz im Zeichen des 50. Barbie-Jubiläums. Beinahe ein ganzes Stockwerk hat das größte Spielwarengeschäft der Stadt der Mutter aller Puppen gewidmet. Eine Stellwand nach der anderen ist mit der Geburtstagsedition gefüllt – einer Barbie im großen Abendgewand mit Perlenkollier und Brillantohrringen.
Der Hersteller Mattel hat allen Grund, Barbies Geburtstag mit Prunk zu begehen, denn sie ist die populärste Puppe aller Zeiten – ein Skandal in den Augen derjenigen, die in Barbie ein antiquiertes und repressives Rollenbild für junge Mädchen repräsentiert sehen. Ein Fortschritt also, dass sich der Puppenmarkt in den letzten Jahren zunehmend ausdifferenziert: Das Konkurrenzprodukt zu Barbie, die Bartz-Puppe, ist rassisch weniger klar als weiß definiert, und auch das „American Girl“ gibt es als afro-amerikanisches, asiatisches und indianisches Modell. Sogar Barbie selbst wurde jüngst unter dem Druck dieser Konkurrenz als schwarze Version aufgelegt. Der neueste Versuch, jedem Kind einen ihm entsprechenden kleinen Freund zur Seite zu stellen: die „Disabled Dolls.“
Der Chemo-Freund
Das Topprodukt der Firma Downi Creations aus South Carolina beispielsweise hat eine flache Nase, mandelförmige Augen, Ohren, die niedrig am Schädel sitzen, eine Zunge, die leicht aus dem Mund heraushängt, sowie eine vertikale Linie in der Innenhand. 2.500 Stück dieser Puppen hat Firmenbesitzerin Donna Moore im vergangenen Jahr verkauft, die Wachstumsrate war zweistellig. Der Erfolg spornt die Branche an. Helga Parks aus New York etwa kommt gerade mit dem „Chemo-Freund“ heraus: Eine glatzköpfige Puppe mit einem Katheter unter dem Schlüsselbein für krebskranke Kinder. Die Firma B-Independant verkauft kleine Begleiter mit amputierten Gliedmaßen im Rollstuhl, mit Schienen an Krücken sowie mit Blindenhund.
Diese „Disabled Dolls“ sind explizit als Gegenentwurf zu Barbie gedacht: „Wenn ein behindertes Kind eine Barbiepuppe in die Hand nimmt, kann es sich darin nicht erkennen. Es braucht aber dringend etwas, womit es sich identifizieren kann“, sagt Helga Parks. „Die Puppen helfen den Kindern dabei, Selbstachtung aufzubauen.“ Eine Puppe zu haben, die so ist wie sie selbst, so die Theorie, trage für behinderte Kinder dazu bei, ihre Situation als normal zu begreifen.
Behinderte Integration
Ob die Kinder sich tatsächlich mit den Puppen identifizieren und durch sie das Gefühl von Akzeptanz erfahren, ist allerdings umstritten. Manche glauben sogar, dass der Effekt der Puppen auf die Kinder eher negativ ist. Psychologen weisen darauf hin, dass Kinder mit Behinderungen sich lieber so sehen möchten wie alle anderen Kinder. Genau das Gegenteil von dem, was die Hersteller propagieren, könnte also zutreffen: dass die Puppen die Integration behindern.
Neuere wissenschaftliche Untersuchungen dazu, ob Kinder in Puppen eher eine Selbstspiegelung oder ein anzustrebendes Ideal suchen, gibt es leider nicht. Allerdings wurde 1939 in den USA eine verwandte Studie durchgeführt. Eine Gruppe schwarzer Kinder sollte zwischen weißen und schwarzen Puppen wählen. Unter dem Eindruck der Apartheid entschieden sich die Kinder in überwältigender Mehrheit für die weißen Puppen. 1969, auf dem Gipfel von Bürgerrechtsbewegung und Black Power, wurde der Versuch wiederholt. Diesmal entschieden sich die Kinder jedoch für die Puppen, die so aussahen wie sie selbst. Es scheint also so zu sein, dass Kinder in Puppen doch eher ein Ideal suchen: 1939 war white beautiful, 1969 war es in Ordnung, black beautiful zu finden.
Würden also junge Mädchen mit Downsyndrom auch lieber Barbiepuppen kaufen? Oder zumindest Marvelous Maria und Sweet Sydney, die den Obama-Töchtern nachempfunden sind und derzeit im Puppengeschäft die Kassen klingeln lassen? „Die Wahrheit ist, dass wir keine Ahnung haben, was ein Down-Kind von Downie-Puppen hält“, sagt Carol Boys, die Vorsitzende der Vereinigung Downsyndrom-Erkrankter in Großbritannien. Für die Hersteller ist das allerdings auch nicht so wichtig. Relevanter ist, was den Eltern gefällt, denn schließlich treffen diese zumeist die Kaufentscheidung. Sie mögen die Downie-Puppen ausgesprochen gern, als Ausweis gesellschaftlicher Akzeptanz des Schicksals ihrer Familie – ein kleiner, tröstender Begleiter. Dafür gibt man gern ein paar Dollar mehr aus.
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