: Skandalstadt Herten
Zwei Skandalgeschichten treiben Hertens Lokalpolitiker im Vorwahlkampf um. SPD leistet sich Dienstwagen, die Schillpartei eine Altenheimaffäre
VON MARTIN TEIGELER
Passend zum beginnenden Vorwahlkampf beschäftigt sich die Hertener Lokalpolitik mit zwei delikaten Affären. Ein knappes Jahr vor der Kommunalwahl 2004 kam heraus: Der langjährige SPD-Chef Herbert Werner soll städtische Dienstwagen zu Privatzwecken benutzt haben. Der Missbrauch des kommunalen Fuhrparks kostete den 58-Jährigen alle politischen Ämter – bis zum Montag dieser Woche. Da nahm Werner an einer Kreistags-Sitzung teil, als wäre nichts gewesen. „Herbert Werner muss sich komplett zurückziehen“, fordert jetzt Uli Paetzel, SPD-Bürgermeisterkandidat. Eine peinliche Dienstwagenaffäre kann sich Paetzel nicht leisten, wenn er in der 66.000-Einwohner-Stadt gewinnen will.
Eine zweite Affäre belastet den Hertener Ortsverband der Schillpartei. Ralf Kirsch, stellvertretender NRW-Chef der Rechtspopulisten, wird vorgeworfen, in seinem Altenheim eine Parteizentale eröffnet zu haben. Das ehemalige SPD-Mitglied Kirsch betreibt ein privates Wohn- und Pflegezentrum für alte Menschen in Herten-Scherlebeck. „Das Altenheim Getrudenau scheint Treffpunkt der Schillpartei zu sein“, behauptet der SPD-Ratsherr Karl-Heinz Egger. Parteiveranstaltungen hätten in dem Haus stattgefunden, alte Menschen seien der Propaganda der Populisten ausgesetzt gewesen. „Das ist ein klarer Fall für die Heimaufsicht“, fordert SPDler Egger ein behördliches Einschreiten in „Getrudenau“.
„Das ist kompletter Unsinn“, verteidigt sich Altenheim-Betreiber und Schill-Politiker Ralf Kirsch. In Wahrheit hätte die Partei Rechtsstaatliche Offensive eine einzige Veranstaltung in den Kellerräumen des Seniorenheims veranstaltet. „Weil unsere Stammkneipe geschlossene Gesellschaft hatte, sind wir in den Raum ausgewichen“, sagt Kirsch. Der Termin habe abends stattgefunden, alle 130 Heimbewohner seien zu dieser Zeit bereits zur Nachtruhe gebettet gewesen. Kirsch will Strafanzeige gegen den SPD-Stadtverordneten Egger wegen übler Nachrede und Geschäftsschädigung erstatten und wundert sich: „Früher, als ich noch Genosse war, sind hier auch schon mal SPD-Veranstaltungen durchgeführt worden.“
Borsu Alinaghi, Vorsitzender der Schill-Partei in Herten, sieht in den SPD-Vorwürfen ein taktisches Manöver. „Die Genossen wollen nur von ihren kriminellen Machenschaften ablenken.“ Das Ex-CDU-Mitglied Alinaghi schreibt sich die Enttarnung des passionierten SPD-Dienstfahrers Herbert Werner auf die Fahne. „Wir haben das aufgedeckt.“ Jetzt habe die Hertener SPD eine Affäre am Hals, die sie mit allen Mitteln vertuschen wolle, so Borsu Alinaghi.
Polizei und Stadtverwaltung ermitteln derzeit, ob Herbert Werner der einzige Politiker war, der die städtischen Dienstwagen privat nutzte. „Quälende Diskussionen über Monate sollten vermieden werden“, fordert der sozialdemokratische Bürgermeisterkandidat Uli Paetzel ein schnelles Ende der Affäre. Der 32-jährige Wissenschaftler gilt als Nachwuchshoffnung der Hertener Sozialdemokraten, beim Urnengang im kommenden Herbst will er SPD-Rathauschef Klaus Bechtel nachfolgen, der sich aus der Politik zurückzieht. Die Affären dürfen den Wahlkampf bis zum Herbst nicht bestimmen, fordert Paetzel: „Die Skandalisierung der Hertener Politik muss aufhören.“ Die Hertener Schillpartei sei ohnehin nur eine Filiale des politischen Hauptgegners, glaubt Paetzel. „Die erledigen die Drecksarbeit der CDU.“
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