DIE FISCHEREIPOLITIK DER EU-STAATEN BESTEHT AUS FAULEN KOMPROMISSEN: Kabeljau bleibt in Seenot
Der Fortschritt ist eine Schnecke? Von wegen: Im Vergleich zum Fortschreiten der EU-Fischereipolitik ist die Schnecke schnell wie ein Ferrari. Die EU-Staaten haben es erneut nicht geschafft, dem in dramatischer Seenot befindlichen Kabeljau zu helfen. Die Bestände des fruchtbarsten und gefräßigsten aller Fische sind auf den niedrigsten Stand in der Geschichte der Nordseefischerei gesunken. Dennoch konnte sich der Fischerei-Rat erneut nicht zu einem Fangverbot durchringen. Der ausgehandelte Kompromiss ist ein Widerspruch in sich. Man hat einem ehrgeizigen Wiederaufbauplan der Kabeljaubestände zugestimmt, aber gleichzeitig den notwendigen Fangstopp verweigert und sich stattdessen auf eine Reduzierung der Fänge geeinigt.
Hätte der Kabeljau noch einen ausreichend großen Elternbestand, und würde er nicht als Beifang auch in der Schellfisch-, Wittling-, Schollen- und Kaisergranatfischerei ständig ins Netz gehen (wo er dann per Rückwurf tot über Bord geht) hätte die verringerte Fangquote vielleicht eine Chance auf Erfolg. So wird sie aber nicht ausreichen, um den Wiederaufbauplan zu erfüllen. Der Kabeljau wird schon im nächsten Jahr erneut auf der Tagesordnung stehen, wenn die Fischereiminister damit konfrontiert werden, dass ihr Beschluss nicht geholfen hat.
Immerhin gibt es einen kleinen strategischen Erfolg: Mit dem Wiederaufbauplan kann die Kommission die Fischereiminister beim Wort nehmen. Sie hat ein Instrument mit Quälpotenzial zur Hand. Doch der Zeitverlust bis zum späteren Fangstopp ist in seinen Folgen nicht zu unterschätzen. Überhaupt ist fraglich, ob und wie schnell sich der Kabeljau erholen wird. Das Beispiel Kanada zeigt, dass es Jahrzehnte dauern kann. Vor Neufundland brachen die Kabeljaubestände Anfang der 90er-Jahre zusammen. Das 1992 beschlossene Fangverbot kam viel zu spät und hat bis heute nicht zu einer Wiederbelebung der Fischerei geführt. 30.000 Fischer verloren ihren Job. Leider hat der EU-Rat diese brutale Lektion nicht begriffen.
MANFRED KRIENER
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