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Ein Freiflug zum Weihnachtsfest

29-jährige Roma wurde gestern mit ihren vier Kindern nach Belgrad abgeschoben. LKA überprüft derweil Vorwürfe gegen sechs Beamte wegen Misshandlung bei Abschiebeversuch am 19. Dezember. 150 Schüler verlangen Bleiberecht für Mitschüler

von HEIKE KLEFFNER

Der Senat plane keine Abschiebung mehr bis zum Jahresende, hatte der Sprecher der Innenverwaltung noch am vergangenen Freitag erklärt. Zeitgleich zu den Beteuerungen des Behördensprechers versuchten BGS-Beamte auf dem Flughafen Schönefeld, einen minderjährigen Vollwaisen gegen seinen Willen und ohne seinen 18-jährigen Bruder nach Kirgisien abzuschieben. Und gestern, am zweiten Weihnachtsfeiertag, wurde eine Mutter mit ihren vier Kindern nach Belgrad verfrachtet.

Nach Informationen des Flüchtlingsrats war Minara L. (Name geändert) 1991 als 17-Jährige aus einem Dorf bei Belgrad nach Berlin geflohen. Die Innenverwaltung wies Kritik an der Abschiebug zurück. Die heute 29-Jährige könne als „verurteilte Straftäterin“ nicht von einem bis zum 31. März geltenden Winterabschiebestopp für Roma-Familien oder Alleinerziehende nach Serbien-Montenegro profitieren.

„Die vier minderjährigen Kinder, die alle in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, können nicht für die Verfehlungen ihrer Mutter faktisch in Sippenhaft genommen werden“, kritisiert Georg Classen vom Flüchtlingsrat. Zudem handele es sich bei den Straftaten nur um wiederholtes Schwarzfahren. Die Mutter habe ihre Kinder zur Schule begleitet und dafür keine Sozialkarte erhalten. Auch habe die Ausländerbehörde eine Reihe von fragwürdigen Entscheidungen getroffen. So gebe es eine Weisung, Mütter mit Kindern nicht in Abschiebehaft zu halten. L. war aber seit Anfang Dezember inhaftiert.

Ihre Kinder wurden von den Behörden an eine Verwandte zur Betreuung abgegeben – ohne diese mit Kranken- und Sozialhilfebezugsscheinen auszustatten. Für den zweijährigen Sohn von Minara L. sei die medizinische Versorgung jedoch lebensnotwendig. Der Junge war als Frühgeburt zur Welt gekommen und erlitt durch einen mehrmonatigen Aufenthalt im Brutkasten einen bleibenden Lungenschaden. „Obwohl Minara L., die sich zwischenzeitlich auch in Dänemark und Finnland aufgehalten hat, ärztliche Bescheinigungen über die Krankheit ihres Sohnes hat, wurde darauf keine Rücksicht genommen“, so Classen. Die Ausländerbehörde habe darauf verwiesen, dass die ärztlichen Gutachten in Englisch abgefasst seien; diese Sprache spreche man bei der Behörde nicht.

Der Flüchtlingsrat befürchtet nun, dass die Frau und ihre Kinder auf der Straße leben müssen. Der Winterabschiebestopp war unter anderem verhängt worden, weil sich SPD, PDS und Grüne einig waren, dass die Lebensbedingungen für rückkehrende Roma in Serbien unzumutbar seien. „Längere Obdachlosigkeit ist für den Zweijährigen lebensgefährlich“, so Classen.

Anzeige gegen Beamte

Bei dem Abschiebversuch am vergangenen Freitag sei der 17-jährige Vollwaise von sechs Beamten des Bundesgrenzschutzes und der Polizei misshandelt worden, sagte der Flüchtlingsseelsorger Dieter Ziebarth. Zunächst seien dem sich sträubenden Jugendlichen im voll besetzten Flugzeug Mund und Nase zugehalten worden, dann sei er geschlagen worden. Der Pilot der Aeroflot-Maschine hatte sich schließlich aufgrund des Protestes von Passagieren geweigert, den Teenager mitzunehmen.

Inzwischen hat der 17-Jährige Anzeige wegen Körperverletzung im Amt gegen die sechs an der Abschiebung beteiligten BGS-Beamten gestellt. Derzeit ermittelt das Landeskriminalamt, um die Vorwürfe zu überprüfen. Der Jugendliche wurde wegen angeblicher Fluchtgefahr in die Abschiebehaftanstalt Grünau zurückgebracht. Nach Informationen des Flüchtlingsrats hatte die Ausländerbehörde nach dem Abschiebungsversuch einen Haftantrag gestellt, dem vom Amtsgericht Schöneberg bis zum 8. Januar stattgegeben wurde. Bis dahin sollen die Ausländerbehörde und der Rechtsanwalt des Jugendlichen dem Gericht ihre Version des Vorfalls schildern.

Innensenator Erhart Körting (SPD) hat sich schon vorsorglich schützend vor die Behörde gestellt. Die Trennung des minderjährigen Vollwaisen von seinem ebenfalls zur Abschiebung ausgeschriebenen Bruder sei keine unzumutbare Härte, meinte der Innensenator. Die Vorwürfe gegen die BGS-Beamten wollte er nicht kommentieren, da der BGS dem Bundesinnenminister untersteht.

Petition von Schülern

Dass Proteste gegen das Vorgehen der Ausländerbehörde beim Innensenator ungehört verhallen, muss derzeit auch das Oberstufenzentrum Bürowirtschaft und Dienstleistungen in Prenzlauer Berg erfahren. 150 Schüler und die Schulleitung haben eine Protestresolution gegen die drohende Abschiebung eines kosovo-albanischen Mitschülers unterschrieben und an Innensenator Körting übersandt.

Der 26-Jährige war am 16. Dezember „völlig überraschend zwei Tage vor seinem nächsten Termin bei der Ausländerbehörde“ frühmorgens festgenommen worden, so Klassenlehrer Günter Schorkopf zur taz. Eine Abschiebung nach Priština am selben Tag scheiterte am Widerstand des jungen Mannes und weil er eine Bescheinigung vorlegen konnte, wonach er sich im zweiten Ausbildungsjahr zum Bürokaufmann befindet.

Der Kosovo-Albaner, dessen Asylantrag vor vier Jahren abgelehnt wurde, war 1997 auf dem Höhepunkt serbischer Repressalien im Kosovo mit seiner Mutter und seinen Geschwistern zum Vater geflohen, der schon seit 1993 in Berlin lebt und seinen Sohn auch während der Ausbildung finanziell unterstützt. Inzwischen befindet sich der angehende Bürokaufmann seit zehn Tagen in Abschiebehaft. Sein Klassenlehrer versucht, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) zu alarmieren.

„Mein Schüler ist ein Musterbeispiel an Integration“, so Schorkopf. „Er spricht fließend Deutsch, hat gute Noten, wird die Prüfung mit Sicherheit bestehen und könnte mit einer abgeschlossenen Ausbildung sowohl in Deutschland als auch im Kosovo sofort arbeiten.“ Ohne Ausbildung allerdings gäbe es für den jungen Mann keinerlei Perspektive, zumal das Haus der Familie im Kosovo zerstört ist.

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