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Aus der Gefriertruhe

Während die Ressortchefin auf der Regierungsbank Akten studiert, wettern SPD und GAL in der Bürgerschaft über den Sozialkahlschlag des Senats

„Hier regiert die Vernunft, aber ganz gewiss nicht mehr das Füllhorn“

von Markus Jox

Wie sieht eigentlich die Senatsbank in der Bürgerschaft aus, während der Haushaltsgesetzgeber über die Sozialpolitik dieser Stadt berät? Bausenator Michael Freytag (CDU) ist in Papiere vertieft, die zuständige Fachsenatorin, Birgit Schnieber-Jastram (CDU), arbeitet stier ihre Aktenmappe durch, noch zwei Staatsräte sitzen da – und alle übrigen Plätze bleiben verwaist.

„In diese Stadt schleicht sich eine soziale Kälte ein, die nur das Ziel der Einsparung kennt“, hatte die SPD-Abgeordnete Petra Brinkmann unter Gejohle der CDU den zweiten Tag der Beratungen über den Doppelhaushalt 2005/06 eröffnet. Der Etatplan der Sozialsenatorin sei „mangelhaft“. Die zweite Bürgermeisterin fahre einen „ignoranten Kürzungskurs“, urteilte Brinkmann und zählte etwa die Schließung des 1. Frauenhauses und Streichungen bei der Beratung von Flüchtlingen auf.

Dem Blindenverein habe Schnieber-Jastram ein Gespräch über die Kürzung des Blindengeldes für morgen offeriert – einen Tag nach den Etatberatungen: „Das ist Beleidigung durch den Terminkalender“, schimpfte die SPD-Sozialexpertin. Die Obdachlosenselbsthilfe OASE wiederum erhielt selbst nach sechsmaliger Anfrage keinen Termin. Die Antwort der CDU gab Frank-Thorsten Schira: „Die beste Sozialpolitik ist und bleibt eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik“, textbausteinte er und warf der SPD vor, keinen einzigen finanziellen Deckungsvorschlag unterbreitet zu haben. „Ihren Weg, vorhandene Probleme mit immer mehr Geld zu lösen, sind wir lange genug gegangen.“ Ob der desolaten Finanzlage habe Hamburg keine andere Wahl, als alle staatlichen Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen.

Von derlei Säuseln unbeeindruckt attestierte GALierin Martina Gregersen Schnieber-Jastram „Sozialpolitik mit der Warmherzigkeit einer Gefriertruhe“. Eine Armutsberichterstattung etwa gebe es in Hamburg seit 1997 nicht mehr. „Doch wenn man Armut nicht ermittelt, wie kann man sie dann bekämpfen?“, fragte die Grüne, die sich unter anderem für die Wiedereinführung des Sozialtickets aussprach.

Zu einer kurzen schwarz-grünen Koalition kam es während einer Intervention des GAL-Haushaltsexperten Willfried Maier. Unter donnerndem Applaus der CDU-Fraktion warf er seiner SPD-Kollegin Andrea Hilgers „linken Populismus“ vor. Diese hatte zuvor die GAL aufgefordert, für die Kita-Finanzierung auch an Erträge aus der Hartz-IV-Reform zu denken. Dieses Geld sei anderweitig im Haushalt verbucht, mahnte Maier. „Wenn Sie das für die Kitas einplanen, reißen Sie ein neues Loch auf.“ Er glaube nicht, „dass man etwas, das man sich in der Regierung nicht leisten kann, in der Opposition leisten kann“, mokierte er sich in Richtung SPD.

Die Ressortchefin selbst gab sich ob der Anwürfe ungerührt, verwies kühl auf „haushalterische Notwendigkeiten“ und betete, einer Finanzministerin gleich, eine Litanei an Zahlen herunter. 1,943 Milliarden Euro umfasse ihr Etat allein für 2005 – das sei ein Haushalt des „Augenmaßes und der Vernunft. Hier ist keine soziale Kälte ausgebrochen, hier regiert die Vernunft, aber, bei aller Liebe, ganz gewiss nicht mehr das Füllhorn.“

Natürlich gebe es „schmerzliche“ Einschnitte, die Kürzung des Blindengeldes habe „ungeheuer weh getan“. Hamburg liege dort aber noch deutlich über dem Bundesschnitt. Im Übrigen, hob die Senatorin an, gelte „einer meiner Leitsätze“ nach wie vor: „Jene, die unsere Hilfe wirklich benötigen, werden sie weiterhin verlässlich erhalten.“

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