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Volkes Stimme nicht in Volkes Namen

Hamburger Verfassungsgericht weist Beschwerde gegen geplanten Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser zurück – und schafft die Volksgesetzgebung nebenbei gleich mit ab. Verfassungsänderung zur Stärkung von Volksentscheiden gefordert

von Marco Carini

„Recht ist Wahrheit – Wahrheit ist Recht“, so steht es in Stein gemeißelt im Plenarsaal des Hamburger Verfassungsgerichts, in dem gestern früh dessen Präsident Wilhelm Rapp das Urteil im Rechtsstreit um den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) verkündet. In Stein gemeißelt erscheinen auch die Gesichter der Kläger, als sie den einstimmig gefassten Urteilsspruch hören.

Die Bürgerschaft darf danach den LBK zum 1. Januar mehrheitlich an den privaten Klinikbetreiber Asklepios verkaufen, obwohl die HamburgerInnen per Volksentscheid mit Dreiviertel-Mehrheit gegen die Privatisierung gestimmt haben. Und sie darf noch mehr: Das Stadt-Parlament kann jeden beliebigen Volksentscheid sofort wieder aufheben, ohne Rechtsbruch zu begehen: Ein Todesstoß für jede Volksinitiative.

In seiner Urteilsbegründung verneint das Gericht jede rechtliche „Bindungswirkung“ des Volksentscheids zum LBK, da dieser lediglich eine „bloße Aufforderung an den Senat zu einem bestimmten Handeln“ enthalten habe, die „unverbindlich“ sei. In dem zur Abstimmung vorgelegten Text hatte es geheißen: „Der Senat wird aufgefordert, sicherzustellen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg Mehrheitseigentümer des Landesbetriebs Krankenhäuser ... bleibt.“

Auch unabhängig von dieser hausgemachten Formulierungsschwäche sieht das Verfassungsgericht Bürgerschaft und Senat nicht an Volksentscheide gebunden, da es eine „Gleichrangigkeit von Volkswillensbildung und parlamentarischer Willensbildung“ gäbe, einem Volksenscheid also „kein höherer Stellenwert“ als einem Bürgerschaftsbeschluss zukomme.

Im Klartext bedeutet das: Genau wie ein Volksentscheid jeden Bürgerschaftsbeschluss aushebeln kann, darf die Bürgerschaft umgekehrt auch jeden Volksentscheid aushebeln und „ein Gesetz mit anderem Inhalt“ beschließen. Einzige Einschränkung: Parlament und Senat dürften „nicht leichtfertig über den im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen hinweggehen, sondern müssten diesen würdigen und abwägen“. Dies sei im Fall LBK-Verkauf durch eine „Vielzahl von Erörterungen und Abstimmungen in der Bürgerschaft und in den Ausschüssen“ geschehen.

LBK-Sprecher Siegmar Eligehausen begrüßte, dass das Urteil „endlich Klarheit für die Zukunft des Unternehmens und seiner Mitarbeiter“ schaffe und „eine monatelange Hängepartie“ beende. „Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass wir eine umfangreiche Würdigung aller Aspekte des LBK-Verkaufs vorgenommen haben“, lobte der Staatsrat der Finanzbehörde, Robert Heller, die Urteilsbegründung. Für Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) formuliert der Beschluss „klare Spielregeln für den Umgang mit Volksentscheiden“.

Dass diese die Idee des Volksentscheids ad absurdum führen, befürchtet ver.di-Chef Wolfgang Rose, einer der Initiatoren der gescheiterten Klage: „Die 600.000 Hamburger, die gegen den Verkauf gestimmt haben, werden betroffen sein, dass ihr Votum nicht verbindlich ist“, glaubt Rose. Das Urteil sei „ein unfair erstrittener Sieg der Regierung über das eigene Volk“ und werde deshalb als „großer Beitrag zur Politikverdrossenheit“ in die Geschichtsbücher eingehen.

Da unter den derzeitigen rechtlichen Bedingungen die Bürgerschaft „jederzeit jeden Volksentscheid aufheben“ könne, sei es nun notwendig, so Rose, die Volksgesetzgebung zu reformieren, damit ihre Resultate künftig „rechtlich bindend seien“. Auch für den Anwalt der Kläger, den ehemaligen Verfassungsrichter Jürgen Kühling, machen Volksentscheide in Hamburg keinen Sinn mehr, „wenn das Parlament sie von einem auf den anderen Tag in ihr Gegenteil verkehren kann“.

Ins selbe Horn bläst Manfred Brandt, Sprecher von „Mehr Demokratie e.V.“. Die Volksentscheide ständen „am Scheideweg“, da „Demokratie ohne Verbindlichkeit der Entscheidungen des Volkes nicht vorstellbar“ sei. Eine verfassungsändernde Volksinitiative sei deshalb notwendig, um „faire und verbindliche Volksentscheide in Hamburg selbstverständlich zu machen“.

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