: Levve un levve losse
MOBILISIERUNG Erstaunlich geeint protestieren an diesem Wochenende erneut viele tausend Kölner gegen rechts
AUS KÖLN PASCAL BEUCKER
Wie weit darf der Widerstand gegen den „Anti-Islamisierungskongress“ der rechtsextremen „Bürgerbewegung pro Köln“ gehen? Andreas Kossiski, Kölns DGB-Vorsitzender und beurlaubter Polizeibeamter, formuliert seine Antwort vorsichtig. „Auf einer öffentlichen Veranstaltung müssen die Veranstalter Widerspruch ertragen“, sagt Kossiski. Auch habe er eine „gewisse Sympathie für jede Form des kreativen Protests“, warne jedoch davor, „über die Grenzen hinauszugehen“, sagt er. „Dafür hätte ich kein Verständnis.“
Kossiski ist einer der Hauptorganisatoren des Bündnisses „Köln stellt sich quer“, in dem sich Vertreter von Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, Migrantenverbänden und zahlreichen weiteren gesellschaftlichen Gruppen zum „friedlichen, besonnenen und demokratischen Protest“ gegen das Rechtsaußenspektakel zusammengeschlossen haben.
Doch die Veranstaltungen dieses Kreises, der vom DGB über den Katholikenausschuss bis zur Partei Die Linke reicht, sind nicht die einzigen Aktivitäten gegen „Pro Köln“ & Co. an diesem Samstag. So veranstalten Jugendliche unter dem Motto „Keine Stimme für Nazis“ ihre eigene Kundgebung in Köln-Deutz. Und dann gibt es da noch das von linken, antifaschistischen und auch autonomen Gruppen unterstützte Bündnis gegen „Pro Köln“. Das will unter der Parole „Aufgestanden! Hingegangen! Abgepfiffen!“ das rechte Treffen „mit kreativen Aktionen des zivilen Ungehorsams“ verhindern – und hat deswegen gehörigen Ärger mit Kossiskis Kollegen von der Polizei.
Was jedoch Köln von etlichen anderen Städten unterscheidet: Die sonst üblichen Distanzierungs- und Abgrenzungsrituale der verschiedenen Bündnisse gibt es hier nicht. Das liegt einerseits daran, dass politische Konflikte in der Domstadt in der Regel nicht so verbissen ausgetragen werden. Die Kölner lieben es lieber tolerant: levve un levve losse. So schaffen sie es, bei allen sonstigen Differenzen, nicht das Verbindende und Wichtige aus den Augen zu verlieren: das entschiedene Eintreten gegen antihumanistische Tendenzen.
Hinzukommt aber auch der nachhaltige Schock, den der erstmalige Einzug der „Bürgerbewegung Pro Köln“ in den Stadtrat 2004 ausgelöst hat. 4,7 Prozent der Stimmen erhielt die aus der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) hervorgegangene Vereinigung seinerzeit, die zwar um eine bürgerliche Fassade bemüht ist, deren führende Aktivisten aber bereits seit rund zwei Jahrzehnten gegen alle hetzen, die anders leben, glauben und denken: Migranten, „Zigeuner“, Drogenkranke, Prostituierte, Wehrmachtsdeserteure und die „Homo-Lobby“. Plötzlich wurde vielen, die das Problem zuvor verdrängt hatten, eindringlich bewusst, dass es auch in Köln einen beachtlichen braunen Bodensatz gibt, den es gemeinsam zu bekämpfen gilt.
Die diversen Veranstaltungen stehen denn auch nicht in Konkurrenz zueinander. So ruft DGB-Chef Kossiski zwar „zur Besonnenheit auf“, betont gleichwohl die erfreuliche Vielfältigkeit des Protestes. Die war auch schon das Erfolgsrezept im September vergangenen Jahres gewesen, als „Pro Köln“ das erste Mal versuchte, seinen „Anti-Islamisierungskongress“ durchzuführen. Rund 15.000 Menschen waren damals auf die Straße gegangen, Tausende blockierten den Tagungsort. Letztendlich verbot die Polizei „aus Sicherheitsgründen“ den Aufmarsch der Rechten.
Der Unmut über die „Pro Köln“ vereinigt dabei auch manche, die ansonsten schon Probleme haben, sich überhaupt miteinander zu unterhalten. So forderte nicht nur der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime (ZMD), Ayyub Axel Köhler, die Kölner Muslime dazu auf, sich zahlreich an den Gegenveranstaltungen zu beteiligen und „klar Flagge gegen rechts in unserer Stadt zu zeigen“. Auch der islamkritische Publizist Ralph Giordano, der von „Pro Köln“-Chef Markus Beisicht öffentlich zur Teilnahme am „Anti-Islamisierungskongress“ eingeladen worden war, distanzierte sich. „Pro Köln“ sei eine „zeitgenössische Variante des Nationalsozialismus“, sagte der 86-Jährige.
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