: Tageskinder unversorgt
Hartz IV reißt neue Lücke: Viele Tagesmütter bekommen ab 1. Januar weniger Bezüge und können ihre Schützlinge darum nicht mehr betreuen
von Eva Weikert
Gerade mal 4,95 Euro pro Tag bleiben Gabi Thun (Name geändert) künftig für die Versorgung ihrer drei Schützlinge. Thun ist Sozialhilfeempfängerin und verdient sich als Tagesmutter etwas dazu. Doch ab Januar soll sie mit einem Bruchteil der bisherigen Zuwendungen auskommen. Schuld ist das Hartz-IV-Gesetz, mit dem Thun künftig als Empfängerin von Arbeitslosengeld-II gilt, der Erziehungsgeld nach Ansicht des Sozialamtes nicht zusätzlich zusteht. „Ohne das Geld kann ich die Kinder aber nicht mehr versorgen“, warnt Thun, die kein Einzelfall ist.
„Uns erreichen täglich Anrufe von verzweifelten Tagesmüttern“, so Werner Haase vom Hamburger Arbeitskreis Tagespflege. Wie berichtet, hatten ihn und etwa 90 Kollegen allein in Altona kürzlich die Aufforderung vom Sozialamt alarmiert, Arbeitslosengeld-II (ALG II) zu beantragen und sich einen Job zu suchen. Die Versicherung von Sozial- und Wirtschaftsbehörde, das Problem „intern zu besprechen“, verhallte indes.
Jetzt flatterten den Betroffenen die ersten Bewilligungsbescheide für das ALG-II ins Haus. Und weil darin das Pflegegeld für die Tageskinder voll angerechnet wird, „werden wir im Januar kein Geld haben für die Kinder, die uns das Jugendamt überstellte“, so Haase, „da bleibt fast nichts übrig für Mahlzeiten, Ausflüge, Bastelutensilien oder einfach nur Klopapier“. Ab Januar drohe darum rund 600 Hamburger Kindern Unterversorgung.
Etwa ein Zehntel aller Hamburger Tageseltern erhielt bisher gleichzeitig Sozialhilfe. Sie lebten von diesem Geld und einem anteilig im Pflegesatz enthaltenen Erziehungsgeld von im Schnitt 110 Euro pro Kind. Da die Sozialämter jetzt sowohl das Erziehungsgeld als auch das eigentlich dem Kind zustehende Pflegegeld auf das ALG II anrechnen, „machen Behörde und Stadt die Tagespflege kaputt“, so Tagesmutter Stefanie Stuhlmann, die ihre Schützlinge nach Erhalt des ALG-II-Bescheids abgab.
Ein Abbau der Tagespflegeplätze sei aber „das Gegenteil von dem, was wir wollen“, versichert Sozialbehördensprecherin Anika Wichert. Kommen die Tageseltern den Staat doch viel billiger als die Betreuung in der Kita. Wie es mit den geförderten Tageseltern „weitergeht, kann ich aber nicht sagen“, erklärt Wichert und verweist an die Wirtschaftsbehörde, die die Umsetzung von Hartz IV verantwortet.
„Dass es da ein Problem gibt, war hier offenbar nicht bekannt“, sagt deren Sprecher Christian Saadhoff nach einem Blick in die ALG-II-Verordnung des Bundesgesetzgebers. Demnach gilt Erziehungsgeld bei „nicht erwerbsmäßiger Pflege“ als „anrechnungsfrei“. Saadhoff: „Grundsätzlich muss das so angewandt werden.“ Seine Behörde empfehle den Tageseltern, jetzt Widerspruch gegen die Bescheide einzulegen – bei der Sozialbehörde.
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