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Ausziehen vor dem Professor

DATENSCHUTZ Universitäten verlangen von ihren Prüflingen immer öfter, medizinisch sensible Daten offenzulegen, wenn sie einem Examen fernbleiben wollen

Geht es die Unis etwas an, ob ein Student wegen Symptomen einer Aids-Erkrankung nicht antreten kann?

VON EVA VÖLPEL

Geht es die Universitäten etwas an, ob ein Student wegen Zahnschmerzen, einer fiebrigen Erkältung oder gar akuten Symptomen einer Aids-Erkrankung nicht zur Prüfung antreten kann? „Ich beobachte mit Sorge, dass immer mehr Fakultäten darüber Auskunft wollen“, sagt Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein. „So gelangen sensible medizinische Daten an Stellen, wo sie nicht hingehören.“

Zahlreiche Fachrichtungen verlangen von ihren Prüflingen ein ärztliches Attest, das die Diagnose oder Symptome einer Krankheit aufführt. Die bloße Bestätigung des Arztes, der Student sei „prüfungsunfähig“, reicht vielen Prüfungsämtern nicht mehr aus. Etlichen Studenten geht dieser Einblick in ihre Privatsphäre zu weit, an der Kieler Universität wehrt sich der Asta gegen die neuen Attestformulare. Auch Weichert kritisiert, dass die Prüfungsämter auf die für sie einfachste Lösung zurückgreifen. Um Gefälligkeitskrankschreibungen zu vermeiden, sollten sie zum Wohl des Datenschutzes jedoch lieber die Meinung eines zweiten Arztes oder eines Amtsarztes einholen. Diese Möglichkeit sehen die meisten Prüfungsordnungen seit Jahren vor.

An der Humboldt-Universität in Berlin führte die Wissbegierde der Prüfungsämter im letzten Jahr zu einem heftigen Streit zwischen Studentenvertretern, der Rechtsstelle und der Universitätsleitung. Anlass des Konflikts: Plötzlich verlangten auch die Sozialwissenschaftler und Geografen genaue Auskunft über die Krankheit eines Studenten. Bis dahin forderten das vor allem die Juristen und Mediziner von ihren Kandidaten für die Staatsexamen.

Für Tobias Roßmann von der Studentenvertretung ReferentInnenrat der Humboldt-Universität sind die neuen Regelungen „völlig übertrieben“. Er sieht die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt, wenn Prüfungsämter selbst bei der Bachelor-Klausur des Erstsemesterstudenten eine genaue ärztliche Diagnose fordern.

Viele Prüfungsämter argumentieren, die neue Struktur des Bachelorstudiums, bei dem Klausurnoten ab dem ersten Semester in die Abschlussnote einfließen, erfordere eine strengere Kontrolle.

Bei den Landesbeauftragten für Datenschutz gehen die Meinungen auseinander. Der hessische Vertreter hält die Offenlegung der Krankheit grundsätzlich für unzulässig, sein rheinland-pfälzischer Amtskollege sieht darin kein Problem.

Was passieren kann, wenn sensible medizinische Daten an den Falschen geraten, weiß Tobias Roßmann zu berichten. An der Humboldt-Universität habe der Vorsitzende des Prüfungsausschusses der Geografen in einer Rundmail an den Institutsverteiler in einem Nebensatz fallen lassen, dass eine Studentin schwanger sei. Derzeit sammelt Roßmann zusammen mit anderen Studenten Unterschriften, um die Universitätsleitung dazu zu bewegen, die ausführlichen Atteste ganz zu verbieten. Auch eine Klage behält man sich vor.

Diesen Ärger hat sich die Hochschule Reutlingen erspart. Bis vor kurzem galt auch dort: Attest nur mit ärztlichem Befund gültig. Inzwischen verzichtet man darauf. Dafür können die Studenten maximal zweimal zur Abschlussprüfung antreten. „Das ist eine elegante Lösung“, sagt Vizepräsident Harald Dallmann. So erspare man sich viel Stress – und die Studenten müssten nicht mehr lügen.

Das gilt allerdings nur für die Neuzugänge. Wer noch nach der alten Prüfungsordnung studiert, muss weiterhin die Diagnose vorzeigen.

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