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IN NÜRNBERG räumte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) gestern ein, da sei ein „sehr, sehr ärgerlicher Programmierfehler“ passiert. Die Rede war nicht von Hartz IV, sondern von dem Softwareproblem, das dafür gesorgt hatte, dass 150.000 Empfänger des neuen Arbeitslosengeldes II ihre Bezüge nicht pünktlich am 1. Januar auf dem Konto hatten. Aber die Bundesagentur wusste Rat: Die betroffenen Langzeitarbeitslosen sollten sich das Geld doch bar bei den Dienststellen abholen. Daraus wurde jedoch oft nichts: „Aus dem ganzen Bundesgebiet haben uns Leute angerufen, die einfach kein Arbeitslosengeld bekommen haben“, berichtet Harald Thomé von der Wuppertaler Erwerbsloseninitiative Tacheles. „Die Leute wurden nur von einem überfüllten Zimmer ins nächste geschickt, bis sie irgendwann genervt gegangen sind.“ AM, UH
IN DRESDEN fanden sich im Rahmen der bundesweiten Aktion „Agenturschluss“ morgens 100 Demonstranten vor der Arbeitsagentur ein. Mit einer symbolischen Mauer aus Kartons blockierten sie den Hauptzugang, ohne Mitarbeiter und Arbeitslose tatsächlich am Betreten des Hauses zu hindern. Mitglieder der Aktion „Dresden umsonst“ bauten unter Anspielung auf wegfallende Einmalzahlungen für bisherige Sozialhilfeempfänger einen defekten Kühlschrank und Sperrmüll mit der Aufschrift „Wertgegenstand“ auf. Der Wachdienst verwehrte den Demonstranten den Einlass in die Arbeitsagentur, Beratungssuchende wurden scharf kontrolliert. Der Protest drohte zu eskalieren, als es zu verbalen Attacken und Handgreiflichkeiten zwischen Autonomen und etwa einem Dutzend Neonazis kam. Die Polizei trennte die Gruppen. Wie schon bei den Montagsdemos 2004 versuchen die Rechtsextremen, Anti-Hartz-Proteste politisch für sich zu nutzen. Die Polizei rechnet inzwischen fest mit ihrem Erscheinen bei derartigen Anlässen.
Unter den „Kunden“ der Arbeitsagentur überwog indes die Resignation. „Besser wird durch die Proteste auch nichts“, bemerkte eine Frau. In den Thüringer Städten Erfurt, Sondershausen und Nordhausen sollen insgesamt nicht mehr als 100 Demonstranten erschienen sein. Ostdeutsche sind wegen der hohen Zahl von Langzeitarbeitslosen eigentlich besonders hart von Hartz IV betroffen. MICHAEL BARTSCH
IN BERLIN startete Hartz IV mit Hauereien. Am Vormittag sammelten sich 400 Hartz-Gegner im Stadtteil Wedding und zogen zur dortigen Arbeitsagentur. Diese hatten Unbekannte bereits zwei Tage zuvor mit Dutzenden Farbbeuteln beworfen. Auch die gestrige Protestaktion, überwiegend von Anhängern der linken Szene besucht, blieb nicht lange friedlich. Es kam immer wieder zu handfesten Rangeleien zwischen den Demonstranten und der Polizei, nachdem einige Protestierer versucht hatten, in das Gebäude zu gelangen. Die Polizei nahm 15 Demonstranten fest. In der Arbeitsagentur ging derweil der normale Betrieb zwar weiter, allerdings wurden zeitweise keine Arbeitslosen mehr in das Gebäude eingelassen. Gegen Mittag stürmten bis zu 100 Hartz-Gegner die Arbeitsagentur im Stadtteil Mitte. Bereits nach wenigen Minuten begann die Polizei, das gesamte Gebäude zu räumen. Dabei wurde nach Augenzeugenberichten auch Reizgas eingesetzt. Anschließend blieb das Haus für eine Stunde für den Publikumsverkehr gesperrt. RICHARD ROTHER
IN MÜLHEIM betrat Harald Schartau (SPD), Landesarbeitsminister von NRW, gestern eine heile Welt. Bei seinem Besuch der neuen Arbeitsagentur fand er keine Hartz-IV-Gegner vor der Tür, eine beherrschte Klientel in den Gängen und eine Oberbürgermeisterin, die sich mehrmals bei ihm für sein Kommen bedankte. Schartau stellte bei seinem Rundgang durch die Agentur besorgte Fragen zur Schuldenbewältigung von Langzeitarbeitslosen sowie zur Kinderbetreuung von alleinerziehenden Frauen. Der Leiter der Agentur zeigte sich dankbar, dass Mülheim als eine von zwei Städten in NRW das Optionsmodell ausprobieren darf.
Ganz ohne Störung blieb jedoch auch der schöne Tag in der Sozialagentur nicht. Als ein Kameramann einen Case-Manager dabei filmen wollte, wie er mit der neuen Software arbeitet, funktionierte der Bildschirm nicht. Leise Kritik an der Aufbruchsatmosphäre kam von der Leiterin der Regionaldirektion NRW, Christiane Schönefeld: „Es muss auch ein Arbeitsangebot her, sonst nützen unsere Förderungsmaßnahmen nichts.“ Beim Rausgehen wurde es dann noch ein bisschen ungemütlich für Schartau: Vor der Tür hatten sich in der Zwischenzeit 30 Montagsdemonstranten mit Megafon und Pfeifen versammelt. NATALIE WIESMANN
IN HAMBURG herrschte gestern Belagerungszustand. 150 AktivistInnen des „Bündnisses gegen Hartz IV“ und der „Sozialpolitischen Opposition“ brachten in der Arbeitsagentur Mitte Transparente mit der Aufschrift „Weg mit Hartz IV – her mit dem schönen Leben!“ sowie „Agentur für Armutsförderung und Verfolgungsbetreuung“ an. Sie bauten einen Frühstückstisch auf, um den Erwerbslosen die Wartezeit zu versüßen.
Im Gegensatz zu Kiel, wo die Polizei eine Aktion von 80 Hartz-IV-Gegnern verhinderte, ließ die Ordnungsmacht in der Elbmetropole die Demonstranten trotz des großen Andrangs an den Auskunftsschaltern gewähren. Dort gab es viel Aufklärungsbedarf über die Bewilligungsbescheide. Viele monierten aber auch, dass bei ihnen das Arbeitslosengeld II noch nicht auf dem Konto sei. In Flugblättern wurden überdies die Beschäftigten der Agentur zur Arbeitsverweigerung oder zum Dienst nach Vorschrift aufgerufen. „Lasst euch nicht verheizen für ein Verelendungsprogramm, das am Ende des Tages euch selbst, eure Freunde und Bekannte treffen wird“, hieß es. In einer symbolisch dargestellten Jobvermittlung als Würfelspiel wiesen die Protestler auf „Schikanen“ bei den neuen Zumutbarkeitsregelungen hin. Nur wer sich in dem Spiel gegen Hartz IV „kreativ“ zur Wehr setzte, kam zum Ziel.
KAI VON APPEN
IN BERLIN bekundete die Bundesagentur für Arbeit Zufriedenheit: Vorstand Heinrich Alt erklärte, dass von den 2,9 Millionen für das Arbeitslosengeld II verschickten Anträgen 2,75 Millionen pünktlich zum Jahresende zurückgekommen seien. Nur 5 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben also keinen Antrag abgegeben; wahrscheinlich konnten sie sich selbst ausrechnen, dass das Einkommen ihres Partners zu hoch liegt, als dass sie Chancen aufs Arbeitslosengeld II hätten. Weitere 176.000 Anträge wurden abgelehnt, das sind etwa 6,5 Prozent. Insgesamt werden also etwas mehr als 11 Prozent der Langzeitarbeitslosen künftig kein Geld mehr erhalten – deutlich weniger, als erwartet worden war. Auf Basis der zuletzt verfügbaren Einkommens- und Vermögensstichprobe hatte die Bundesagentur geschätzt, dass bundesweit etwa 23 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine Unterstützung mehr bekommen würden – 17 Prozent im Westen und 33 Prozent im Osten. Für die knapp drei Millionen Langzeitarbeitslosen soll es im nächsten Jahr 750.000 „Aktivierungsangebote“ geben. Dazu gehören nicht nur die 1-Euro-Jobs, sondern auch Sprach- und Qualifizierungskurse. Wer an einer Integrationsmaßnahme teilnimmt, zählt nicht als arbeitslos. Daher wagte Agenturvorstand Alt gestern die „persönliche Prognose“, dass die Arbeitslosenzahl 2005 leicht zurückgehen könnte. ULRIKE HERRMANN
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