: Ostertors Milchladen-Rechnung
Eigentümer aus dem Ostertor klagen gegen „unlogische“ und „ungerechte“ Sanierungsabgabe. Verwaltungsgericht gibt ihnen im Einzelfall Recht. Ob es die Abgabe im Grundsatz verwirft, ist fraglich
Bremen taz ■ Zu hoch in der Summe, mit Willkür verteilt, schon vom Prinzip her ungerechtfertigt und dann auch noch falsch berechnet – gleich eine ganze Latte von Vorwürfen an die Stadt brachte gestern der Vertreter von rund 40 GrundstückseigentümerInnen aus dem Ostertorviertel vor dem Bremer Verwaltungsgericht vor. Streitpunkt und Anlass des als Musterklage geführten Prozesses ist die Abgabe, die Bremen einigen HausbesitzerInnen für die „Sanierung“ des Stadtteils abgeknöpft hat. Insgesamt 500.000 Euro will die Stadt auf diese Weise einnehmen.
Verglichen mit den 97 Millionen Euro, die sie für die Sanierung ausgegeben hat, ist das nicht viel. Die Betroffenen fühlen sich dennoch ungerecht behandelt. Denn die Sanierungs-Millionen, argumentierte gestern Götz Burda, Sprecher des Initiativkreises der Sanierungsbetroffenen Ostertor/Remberti, seien „im Wesentlichen als Wiedergutmachung für das anzusehen, was die Stadt dem Ostertor jahrzehntelang zugemutet hat“.
Um die vierspurige „Mozarttrasse“ vom Rembertikreisel am Theater vorbei über die Weser bis zum Flughafen zu bauen, die von Bomben gerissene Schneise entlang der St. Pauli-Straße zu einer Entlastungsstraße parallel zum Osterdeich zu erweitern und aus dem Viertel eine Hochhaussiedlung zu machen – so die einstigen Pläne – habe die Stadt bereits 1945 eine Veränderungssperre erlassen, erinnerte Burda. Die Folge davon: Für Instandsetzungsmaßnahmen gab es in der Nachkriegszeit kein Baumaterial, die Häuser verfielen. „Die Stadt hat mit ihrer Politik die Sanierung erst nötig gemacht“, sagt Burda. Nun wolle man nicht noch dafür zahlen.
Schon gar nicht, wo die Abgabe nur für etwa jedes zehnte der 900 im Sanierungsgebiet liegenden Grundstücke überhaupt erhoben wurde. „Das kann doch eigentlich gar nicht sein, dass all die anderen gar keinen Sanierungsgewinn hatten“, wunderte sich auch das Gericht. Gutachter Arno Dey, der die Wertsteigerungen mit ermittelt hatte, bemühte sich um Klärung. Als wertsteigernd, erklärte er, habe der Gutachterausschuss vor allem den Abriss von Gebäuden im Inneren eines Blocks und die Auslagerung von störendem Gewerbe gewertet. Weniger „handfeste“ Maßnahmen wie der Bau von Kindergärten, Spielplätzen und Tiefgaragen hätten dagegen kaum zu Buche geschlagen – zumindest in den Fällen, die der Ausschuss erst in den 90er-Jahren begutachtet habe. „In den Anfangsjahren der Sanierung ist das anders gesehen worden“, räumte Dey ein. In vielen der jüngeren Fälle habe die ermittelte Wertsteigerung der Grundstücke schließlich unter fünf Prozent gelegen, die habe man dann ganz unter den Tisch fallen lassen. „Das ist doch unlogisch“, ruft ein Zuschauer in den Saal.
Ein grundsätzliches Urteil wird das Verwaltungsgericht erst in den nächsten Tagen fällen. Eine Anwohnerin des Milchviertels indes konnte bereits gestern einen Teilerfolg feiern. 4.500 Euro hatte sie zahlen müssen, weil ein hinter ihrem Haus gelegener Kuhstall abgerissen und der benachbarte Molkereiprodukte-Laden verlagert wurde – ein Rechenfehler, wie sich herausstellte. Die Stadt sagte zu, die Summe um knapp ein Drittel zu reduzieren. „Wer weiß, wie viele Bescheide noch falsch sind“, sagte Burda. Und: „Frau M. wäre vielleicht froh, wenn der Milchladen heute noch da wäre.“ A. Simon
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