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Wo gewählt wird, weiß noch keiner

Kurz vor der Wahl sind die Iraker immer noch nicht informiert, wo sie abstimmen werden – aus Sicherheitsgründen. Zusätzliche Straßensperren wurden errichtet, die US-Militärpräsenz verstärkt. Die Menschen haben sich mit Vorräten aller Art eingedeckt

VON KARIM EL-GAWHARY

„Wir haben für mehrere Tage Lebensmittel eingekauft, damit wir nicht mehr aus dem Haus gehen müssen“, beschreibt ein Bekannter am Telefon in Bagdad seine Vorbereitungen für die irakischen Wahlen, die morgen stattfinden werden. Bei nur einer Stunde Strom am Tag hat er auch dafür gesorgt, dass der Informationsfluss nicht versiegt. „Unser Generator wurde gestern repariert, und wir haben 30 Liter Benzin. Das ist genug, um mehrere Tage durchgehend Nachrichten zu sehen.“

Vor seinem Haus läuft ein eigenes Programm. Alle halbe Stunde komme eine amerikanische Patrouille mit Jeeps vorbei, weil eine benachbarte Schule möglicherweise als Wahllokal ausgewählt werde, erzählt er. Mehrmals am Tag kreisten auch Hubschrauber über dem Haus.

Noch weiß er nicht, ob in der Schule tatsächlich am Sonntag gewählt wird. Im Moment werden drei Schulen in der Nachbarschaft auf die Wahlen vorbereitet. Aus Sicherheitsgründen haben die irakischen Behörden die genauen Wahlorte noch nicht bekannt gegeben.

In den Straßen der Stadt wurden zusätzliche Straßensperren mit irakischen Nationalgardisten und Polizei errichtet. Nach Angaben der US-Armee wird auch die Präsenz amerikanischer Soldaten auf den Straßen rund um den Wahltermin um ein Drittel verstärkt. Seit gestern gilt eine nächtliche Ausgangssperre, die zusammen mit anderen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen drei Tag lang aufrechterhalten bleibt. Die Grenzen auf irakischer Seite und der Flughafen in Bagdad werden für diesen Zeitraum geschlossen. Unterdessen haben sich Islamisten, die angeblich Abu Mussab al-Sarkawi nahe stehen, über das Internet zu Wort gemeldet und erklärt, dass sie einen Kandidaten der Partei des irakischen Ministerpräsidenten Ayad Alawi ermordet hätten und das entsprechende Video später ins Internet stellen würden. In einem südlichen Stadtviertel von Bagdad explodierte gestern in der Nähe einer Polizeistation eine Autobombe. Mindestens fünf Iraker kamen dabei ums Leben.

Weitaus friedlicher ging es dagegen in den 14 Ländern zu, in denen Auslandsiraker seit gestern ihre Stimmen abgeben dürfen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration mit Sitz in Genf waren 1,2 Millionen Auslandsiraker wahlberechtigt – aber nur weniger als ein Viertel, 280.000, haben sich auch für die Wahlen registrieren lassen. In Deutschland haben sich mehr als 26.400 Iraker in die Listen eintragen lassen.

Auch hier wurden die innerirakischen Widersprüche deutlich. In Ländern mit einen hohen Anteil an schiitischen Auslandsirakern war die Beteiligung rege, Allein im Iran haben sich 60.000 Iraker für die Wahlen eingeschrieben. Vor den dortigen Wahllokalen herrschte Feiertagsstimmung. „Ich bin glücklicher als an meinem Hochzeitstag“, fasste die 26-jährige Saja Verdi ihr Gefühl vor einem Teheraner Wahllokal zusammen.

Dagegen war die Wahlbegeisterung in den arabischen Ländern, in denen hauptsächlich sunnitische Iraker leben, wesentlich geringer. In Jordanien haben sich nur 20 Prozent der dort lebenden Iraker in die Listen eingeschrieben. Die Auslandsiraker können bis Sonntag abstimmen. Die Ergebnisse werden anschließend nach Bagdad übermittelt, wo sie am Wochenende darauf veröffentlicht werden sollen.

meinung und diskussion SEITE 11

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