: Nicht alle kriegen Geld zurück
LEHMAN BROTHERS Einige Anleger, die Verluste zu beklagen haben, können auf Entschädigung spekulieren. Für falsche Beratung muss die Bank haften
■ Wer vermutet, falsch beraten worden zu sein, sollte sofort handeln und sich von Fachleuten beraten lassen. Für Schadenersatzansprüche gilt eine dreijährige Verjährungsfrist.
■ Anleger sollten auch prüfen, ob ihre Rechtsschutzversicherung einspringt. Anlegerrisiken sind allerdings häufig wirksam ausgeschlossen.
■ Eine Beratung bei den Verbraucherzentralen kostet zwischen 25 und 60 Euro: www.verbraucherzentrale.de
■ Ein Anwalt darf für eine Erstberatung bis zu 190 Euro verlangen. Die regionalen Rechtsanwaltskammern nennen auf Kapitalanlagerecht spezialisierte Anwälte: www.brak.de
Durch die Pleite der amerikanischen Bank Lehman Brothers im vergangenen Herbst sollen in Deutschland rund 40.000 Anleger schätzungsweise 700 Millionen Euro verloren haben. Vielen Geschädigten wurden Lehman-Zertifikate von ihrer Bank empfohlen, wenn sie Erspartes sicher zu einem guten Zins festlegen wollten. Wenigen war klar, dass es sich bei den Zertifikaten um Schuldverschreibungen beziehungsweise Anleihen mit dem Risiko des Totalverlusts handelte. Auf eine Entschädigung nach Abschluss des Insolvenzverfahren können Geschädigte kaum hoffen: Nach heutigem Stand der Dinge ist allenfalls mit einer sehr geringen Quote zu rechnen.
Mit einer pauschalen Entschädigung aller Anleger wäre die Sache vom Tisch. Doch die Banken setzen auf den Einzelfall. Die Hamburger Sparkasse hat rund 1.000 Kunden, die in finanziell kritischen Lebenssituationen waren oder bei denen es offensichtliche Beratungsfehler gegeben hat, freiwillig teilentschädigt. Aus Kulanz zahlte auch die Frankfurter Sparkasse einem Teil der Geschädigten Geld aus: Rund 5.000 ihrer 800.000 Kunden haben Lehman-Wertpapiere in ihrem Depot. Ein Großteil hat Beträge von 10.000 Euro bis 15.000 Euro investiert. Ebenso entschädigten Volks- und Raiffeisenbanken Kunden.
Seit Ende Mai liegt auch ein Angebot der Citibank vor, 27 Millionen Euro aus Kulanz auszuzahlen. Doch voraussichtlich nur jeder vierte Lehman-Anleger der Citibank kann mit einer Entschädigung rechnen. Gemeinsam mit der Verbraucherzentrale Düsseldorf hat die Bank ein Punktesystem entwickelt. Anhand von sechs Kriterien wird geprüft, ob und in welcher Höhe es Geld gibt. Dabei spielen zum Beispiel das Lebensalter zum Zeitpunkt des Kaufs der Papiere, die Anlagestrategie des Kunden und das Kaufdatum eine Rolle. Bis Ende 2009 können sich Kunden der Citibank für die Kulanzlösung registrieren lassen.
Wer nicht zum Kreis der Entschädigten gehört und den Verlust nicht akzeptieren will, dem bleibt nur der Gang vor Gericht. Anleger, die mit Aussicht auf Erfolg Schadenersatz einfordern wollen, müssen nachweisen, dass sie fehlerhaft beraten wurden. Anlageberater müssen Aufklärungspflichten einhalten, ein Risikoprofil erstellen und dürfen nur Produkte empfehlen, die „anleger- und objektgerecht“ sind. Nicht immer halten sie sich an diese Grundsätze.
So verklagte ein Privatkunde vor dem Landgericht Frankfurt am Main erfolgreich seine Bank auf Zahlung von 51.641,96 Euro zzgl. Zinsen wegen Falschberatung. Er hatte ausdrücklich eine kurzfristige Anlage gewollt. Der Berater empfahl ihm das „Alpha-Expresszertifikat“ der Lehman Brothers Treasury Co. B.V.: ein Papier, das auf das Verhältnis des Index „DJ Euro Stoxx Select Dividend 30“ zum DAX-Index spekuliert. Die Laufzeit beträgt mehrere Jahre. Der Bankberater hatte behauptet, eine bestimmte Entwicklung des Wertpapiers wäre nahezu gesichert und würde eine vorzeitige Rückzahlung mit entsprechendem Gewinn nach zirka einem Jahr auslösen. Das stellte sich als falsch heraus.
Wer Schadensersatz einfordern will, hat manchmal bessere Karten, wenn Zeugen beim Beratungsgespräch dabei waren oder wenn ein Protokoll des Gesprächsverlaufs vorliegt. Zugute kommen könnte Geschädigten die Komplexität der etwa 75 verschiedenen in Deutschland und Europa vertriebenen Lehman-Zertifikate und Anleihetypen. Beratungsfehler liegen möglicherweise häufiger vor.
Rechtlich umstritten ist das Thema Provisionen und Rückvergütungen. Verschweigt ein Berater, dass er bei der Vermittlung eines Finanzprodukts Rückvergütungen erhalten hat, könnte er seine Aufklärungspflicht verletzt haben. Das vorsätzliche Verschweigen von Rückvergütungen, die im Finanzjargon „Kickbacks“ heißen, hat der Bundesgerichtshof erneut für unzulässig erklärt. Sie bergen die Gefahr, dass ein Berater im Hinblick auf die eigenen Provisionen die Anlagewünsche des Kunden aus den Augen verliert. Ob auch beim Verkauf von Lehman-Zertifikaten Berater solche Aufklärungspflichten verletzt haben, ist noch nicht geklärt. Für Ende Juni 2009 wird ein weiteres Urteil in diesem Zusammenhang erwartet. RUDI NEBEL
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