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„Handschellen für Heide Simonis? Nein, nein, das kommt nicht gut!“

Als „Tatort“-Kommissar kennt Axel Milberg seine Schleswig-Holsteiner. Im taz-Gespräch erklärt er, warum wahrscheinlich auch nach der Wahl am 20. Februar in Kiel eine Frau regieren wird

INTERVIEW SUSANNE LANG

taz: Herr Milberg, angenommen es gäbe ein Drehbuch „Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein 2005“ – welche Rolle hätten Sie gerne?

Axel Milberg: Besitzer einer Werft. Der vertritt klare Interessen, will seinen Betrieb am Laufen halten, vermittelt zwischen Regional- und Bundespolitik, agiert zwischen globaler und regionaler Wirtschaft. Das ist eine extrem schwere Aufgabe. Aber Politiker sind angewiesen auf seine Informationen. Sehr interessante Rolle.

Der fiese Lobbyist? Sie haben ja eine Affinität zu zwiespältigen Figuren …

Der Lobbyist, ja, aber für transparente Interessen, auch des Bundeslandes. Keine halbkriminellen Geschichten.

Ich hätte eher getippt, dass Sie die Rolle des CDU-Kandidaten reizt, der Heide Simonis, die Allzweckwaffe der SPD, stürzt. Nicht spannend?

Der Kandidat, Peter Harry Carstensen, macht zum Teil eine lustige Figur, er äußert sich durchaus unüblich, spekuliert laut darüber, was wäre, wenn er verlöre. Wenn ich das zu einer Rolle weiterspinnen würde, hätte die Figur schon auch ihren Reiz: ein Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, der so gar nicht das übliche Siegertypimage pflegt.

Damit kriegt man Wähler?

Na ja, vorstellbar wäre das. Weil er eben von der gängigen Rhetorik abweicht. Diese zitierfähige Fertigbauteilsprache ist es ja, die uns alle so wahnsinnig langweilt, den Politiker aber schützt.

Die Simonis-Variante besteht darin, eine schnelle Sprache zu kultivieren: eine One-Woman-Show. Eigentlich auch eine schöne Rolle.

Sie redet öffentlich sehr schnell, das stimmt. Aber als wir vor einigen Wochen zusammen essen waren, abends, war sie ganz unaufwändig.

Sie haben sich privat getroffen?

Sie kam mit dem Regierungssprecher und sagte, ich könne noch jemanden mitbringen. Ich entschied mich für Dirk Lindenau, Chef der Lindenau-Werft, mit dem ich befreundet bin.

Und wie ist sie so, abends?

Ich war überrascht, wie wenig sie sich als Person inszenierte. Obwohl wir uns zuvor schon begegnet sind. Einmal am „Tatort“-Set, wo ich den Fotografen vorschlug, ihr die Handschellen anzulegen. Aber ihr Sprecher war dagegen, sagte: „Nein, nein, bitte nicht, das kommt nicht gut.“ An unserem Abend wollte sie auf jeden Fall keine bestimmte Wirkung ihrer Person erzwingen. Ich habe auch keinen Auftrag bekommen.

Auftrag?

Ja, von wegen „Helfen Sie uns im Wahlkampf!“, was ich eigentlich erwartet hatte. Ich dachte, nach dem zweiten Glas Wein käme die Anfrage …

Was wäre Ihre Antwort gewesen?

Ich hätte mich nicht von einer einzigen Partei einbinden lassen. Dass Simonis nicht gefragt hat, fand ich sehr nobel. Das Treffen war ja für uns beide interessant. Ich suche für den Kieler „Tatort“ immer nach spezifischen Themen.

Wie mordende Bauern oder kriminelle Werftbesitzer?

Na ja, von den Schauplätzen betrachtet, kommt man schnell auf Werftindustrie oder den Nord-Ostsee-Kanal. Schleswig-Holstein ist schon sehr speziell, weil es so am Rande von Deutschland liegt. Es könnte eines der neuen Bundesländer sein. Aber ich finde es – damit es kein Missverständnis gibt – sehr sympathisch.

Ach so.

Ja, weil man dort grundsätzlich viele Dinge entdecken muss – und kann. In Kiel sind eben nicht die Teile der Stadt herausgeputzt, die offensichtlich attraktiv liegen. Das Extremste herauszuholen scheint die Sache der Holsteiner nicht zu sein.

Aber immerhin sind sie die Einzigen, die sich von einer Frau regieren lassen. Erklären Sie uns diese Wähler, bitte.

Erst mal ist es doch toll, dass die Holsteiner eine Ministerpräsidentin haben, eben weil es scheinbar so gar nicht zu dem Klischee passt. Gerhard Polt nennt das auf Bayerisch „quietistische Vitalität“, dieses In-sich-Ruhende. Viel sehen, wenig reden. Der Holsteiner, glaube ich, denkt aber schon daran, wer das Land voranbringen kann. Und da ist einiges zu tun.

Denkt der konservative Bayer oder Baden-Württemberger nicht daran?

Nun ja, diese klassische Rollenverteilung und diese Vorbehalte habe ich jedenfalls in Schleswig-Holstein nicht kennen gelernt. Aber das ist weniger eine politische Angelegenheit als eine religiöse. Schleswig-Holstein ist protestantisch, dort zählt die Verpackung nicht. Man entzaubert die Dinge eher, als dass man sie aufpeppt. Warum sollte nicht eine Frau Ministerpräsidentin sein? Wenn sie es besser kann als andere, dann interessiert die Geschlechtszugehörigkeit nicht.

Ebenso wenig wie ihre Herkunft?

Nee, nee. Die ist tüchtig. Und die macht das prima. Ob die nun aus Bonn kommt oder nicht. Jetzt ist sie ja hier, nicht?

Glauben Sie, dass Frauen anders …

Nein!

Sie lachen. Okay.

Nee, nee, fragen Sie zu Ende.

mit Macht umgehen?

Ich kann das nur mit meiner persönlichen Erfahrung beantworten: Ich arbeite sehr gerne mit Regisseurinnen. Und die Menschen, denen ich am meisten vertraue, die ich ansprechen würde, wenn ich etwas Privates zu besprechen habe, das sind Frauen.

Inwiefern arbeiten Sie lieber mit Frauen?

Vielleicht strenge ich mich für sie mehr an.

Das verstehe ich jetzt nicht.

Nicht? Schade.

Sie lassen sich mehr fordern?

Ich gebe mir mehr Mühe. Meine Erfahrung mit Regisseurinnen besteht darin, dass sie nicht so viel Wert darauf legen, zu wirken, als wüssten sie alles. Sie lassen das Spielerische mehr zu. Und zwar aufgrund einer Souveränität und nicht Unsicherheit.

Also gehen Frauen doch anders mit Macht um?

Ich könnte mir vorstellen, dass Frauen in der Politik, die erfolgreich sein wollen, strenger und härter sein müssen als Männer, um klar zu machen, dass dieses Suchende und Kommunizierende keine Schwäche ist, sondern eine Stärke. Daraus ergibt sich ein gewisser Zwang zur Übertreibung.

Da wären wir wieder bei Darstellungsspielchen.

Ach, ich weiß nicht. Wenn man sieht, wie umgekehrt Schauspieler Politiker darstellen wollen, zeigt sich oft das Dilemma. Es wird doof, weil sie immer etwas hineingeheimnissen, das es so nicht gibt. Ich finde auch diese Verachtung der Politiker langweilig und altmodisch. Das ist ja auch ein Scheißjob, mal ganz generell gesagt. Wer will denn schon Kanzler werden?

Ja, eben! Was glauben Sie?

Ich kann eher sagen, warum jemand nicht Kanzler werden will: aus Machtgelüsten. Man hat ja ein wahnsinnig mühsames Spiel mit Parteigenossen hinter sich. Die Partei ist ein Verein wie jeder Kaninchenzüchterverein auch. Und demokratische Politik lebt davon, ständig Mehrheiten zu organisieren. Keiner bestimmt alleine.

Das heißt, Sie sind zufrieden mit dem aktuellen Politikpersonal?

Das weiß ich gar nicht so genau. Ich will nur nicht alle abwertend beurteilen im Sinne von: Der oder die sieht aus wie eine Schweinefresse. Der Ansatz müsste ein ganz anderer sein, nämlich das Bewusstsein, dass wir alle die Demokratie sind. Und dieses „wir“ und „die da“ ist eine Riesennummer an Faulheit. Das gibt es nur, wenn wir es so sehen wollen. Die eigentliche und banale Frage lautet doch: Welche Programme vertreten Politiker?

Das wüssten wir alle doch sehr gerne.

Und was machen wir, um es zu erfahren? Die große Krux ist ja, dass es nicht nur an den kommunikativen Einbahnstraßen der Politik liegt, sondern auch an den Bürgern, die sich diese Information nicht abholen. Da müsste man schon im Schulunterricht ansetzen.

Damit ließe sich die Inszenierungsmaschine stoppen?

Ja, ich glaube schon. Man muss dies den Politikern abverlangen. Dann wird auch den Parteien klar, dass sie auf den Bürger zugehen und ihm wirklich erklären müssen, was Reformen wie Hartz IV genau bedeuten.

Wie erklären Sie sich, dass Sie Simonis abends anders erlebt haben?

Weil sie weiß, dass man in der Öffentlichkeit schnell in übersichtlichen Sätzen sprechen muss, damit viele Leute eine klare Aussage bekommen. Man opfert das Differenzierte. Die Bürger haben aber auch nicht den Nerv auf Komplexität. Aber eigentlich müssten ja die besten Politiker an der Macht sein, nicht die telegensten.

Typen wie Kanzler Gerhard Schröder?

Bei ihm fällt mir auf – ich bin ja beim Filmfestival in Saarbrücken auch Oskar Lafontaine im Kino begegnet …

Was macht der eigentlich?

Der ist im Gedränge gesichtet worden, wie die Boulevardpresse so schön formuliert. Er war sehr lustig und fröhlich. Ich glaube, er verdient sein Geld mit Vorträgen und seinen Büchern.

Im Gegensatz zu Schröder.

Ja, darauf wollte ich hinaus. Er erstaunt mich, weil er irrsinnig schwierige Zeiten hinter sich hat – und vor sich. Alles lief falsch, er war der schlechteste Kanzler nach 1945, so schrieb man. Und dann stehen zu bleiben und nicht verkniffen zu wirken – Respekt!

Handelt es sich da nicht um ein Aussitzen à la Helmut Kohl?

Bei Kohl war das anders, er war sehr ablesbar. Am Schluss war er nur noch berauscht von seiner Wirkung und hat mit spitzem Mündchen versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie er den Mantel der Geschichte schon in den Händen hält. Schröder hat, so scheint es, eine konstante Befindlichkeit und das, was man Charisma nennt. Aber da beschreibe ich auch nur eine Wirkung.

Zeit für eine Kanzlerin?

Oh ja, das kann ich mir schon sehr gut vorstellen. Ob nun Angela Merkel …? Hm.

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