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„Also, was soll ich machen?“

Thilo Sarrazin spielt weder Golf noch Tennis. Auch mit 60 weiß er nichts Besseres, als Finanzsenator zu bleiben. Bis zu 150 Millionen will er im Landesetat sparen. Privat kalkuliert er zehn Jahre voraus

INTERVIEW STEFAN ALBERTI

taz: Herr Sarrazin, der Senat beschließt heute die Eckwerte, das Gerüst des Landeshaushalts 2006/2007. Was kommt an neuen Grausamkeiten?

Thilo Sarrazin: Es wird noch mal eine gewisse Anspannung geben, weil die Einnahmen hinter der früheren Planung zurückbleiben. Man kann sich Steuereinnahmen zwar wünschen, man muss sie aber auch haben. Wir brauchen auch in dem einen oder anderen Bereich mehr Geld, etwa bei Kitas, anderswo aber weniger, wie beim Personal. Wenn wir alles zusammenfassen, dann sehe ich einen Handlungsbedarf von 100 bis 150 Millionen Euro pro Jahr.

Warum diese Spannbreite?

Das liegt auch daran, dass wir die genauen Auswirkungen von Hartz IV auf den Landeshaushalt immer noch nicht exakt einschätzen können. Da gehen die Zahlen bundesweit noch immer durcheinander.

Wie werten Sie diese Summe – 114 Millionen kosten das Land etwa die drei Opern – im Vergleich zu den Vorjahren?

100 bis 150 Millionen sind einerseits kein Pappenstiel, andererseits bei einem Haushalt von 20 Milliarden Euro auch kein Ding der Unmöglichkeit. Der politische Anspannungsgrad, was neue Entscheidungen angeht, war aber bei den vergangenen Doppelhaushalten 2002/2003 und 2004/2005 deutlich höher.

Diese Zahlen auf Ihren Folien oder in Ihrem Computer – sind die für Sie mehr als ein mathematisches Konstrukt? Sehen Sie dahinter überhaupt die konkreten Folgen, etwa fehlende Zuschüsse für soziale Projekte?

Natürlich. Wenn man das Konkrete nicht sieht, wenn man keine Verzahnung der Zahlen zur Wirklichkeit hat, wird es zum virtuellen Spiel. Zahlengerüste brechen fast nie zusammen, weil Controller und Kaufleute ihr Handwerk nicht verstehen – die brechen zusammen, weil strategische Annahmen über die Wirklichkeit falsch getroffen werden. Wenn Sie sich etwa die Katastrophe der Bankgesellschaft anschauen, kommen Sie in der Tiefe der Akten auf die strategische Annahme konstant wachsender Mieteinnahmen. Diese Annahme, die für 70 Prozent des Unheils verantwortlich ist, ist ungeprüft in alle Berechnungen eingeflossen.

Dem Eckwertebeschluss folgen die Verhandlungen mit Ihren einzelnen Senatskollegen. Wer wird von den 100 bis 150 Millionen am meisten einsparen müssen?

Das werde ich jetzt nicht verraten. Aber ich habe eine Tabelle für mich allein, wo ich schon relativ dezidierte Vorstellungen habe. Doch auch diese Tabelle ändert sich wöchentlich.

Wer verhandelt denn von Ihren Kollegen im Senat am härtesten?

Es sind alles sehr harte Verhandler.

Und bei Ihnen zu Hause? Diskutieren Sie da mit Ihrer Frau über das Haushaltsgeld?

Nein. Haushaltsgeld gibt es bei uns gar nicht.

Wie soll das gehen?

Wir haben einfach eine gemeinsame Kasse. Und ich habe seit 1980 eine Tabellenkalkulation, die die private Finanzplanung für die nächsten zehn Jahre enthält. Und zwar monatsscharf.

Und was ist mit dem, was im Landesetat kryptisch „konsumtive Sachausgaben“ heißt, also die Kosten des alltäglichen Verbrauchs – bei Ihnen etwa Lebensmittel, Eintrittsgelder und Kleidung?

Die stecken in dieser Tabelle in verschiedenen Kategorien: unbare Ausgaben von Rundfunkgebühren über Krankenkasse bis Rückentraining, eine gewisse Planung für den Urlaub, und der Rest wird unter Barausgaben geführt. Am Ende jeden Monats wird ein Saldo ermittelt. Und wenn dieser Saldo bedenkliche Entwicklungen zeigt, dann reden wir zu Hause darüber.

Noch vor zwei Monaten waren Sie in der Tempodromaffäre angeklagt, hatten eine schwere Operation hinter und einen möglichen Gerichtsprozess vor sich. Haben Sie da nicht mal gedacht: Ich hab die Schnauze voll?

Nein. Unter Druck höre ich schon mal gar nicht auf. In Sachen Tempodrom habe ich mich frühzeitig mit dem Regierenden Bürgermeister abgestimmt. Er hat gesagt, er steht hinter mir, und in der Koalition gab es eine Entscheidung in die gleiche Richtung.

Das schützte Sie auch nicht gegen dauerhafte Kritik.

Für die Rückendeckung habe ich im Austausch zugesagt, dass ich meinerseits nicht die Nerven verliere. Man muss sich ja aufeinander verlassen können. Dass ich mich einer Operation unterziehen musste, kam dann ungeplant dazu. Sicher, das ist nicht schön, aber man kann’s ja auch nicht ändern.

Etwas ändern könnten Sie schon. Sie sind am Samstag 60 geworden, da könnten Sie auch ein stressfreieres Leben haben, vielleicht einen Lehrauftrag übernehmen oder ein Buch schreiben.

Vom Geld her könnte ich das schon seit zehn Jahren. Aber man muss ja sein Leben mit einem Inhalt füllen. Ich spiele kein Golf, ich spiele kein Tennis, ich bin kein Hobbykoch – und ich lese zwar gerne Bücher, aber das kann ich ja auch nicht den ganzen Tag lang. Also, was soll ich machen? Werde ich Vorsitzender eines Heimatvereins?

Nette Alternative zum Senat.

Gut, ich könnte auch einen Lehrauftrag übernehmen, wo ich in zwei Wochenstunden Studenten erzähle, wie die Welt funktioniert – und wo die möglicherweise mehr lernen würden als bei so manchem Ordinarius. Aber das füllt nicht die Wochen und die Monate. Natürlich darf man sich nicht mit einer bestimmten Funktion zu eng verheiraten. Andererseits: So lang man die Möglichkeit hat, an einem Stück dieser Welt gestaltend mitzuwirken, hat man ein großes Privileg – und sollte es auch nutzen.

Wenn das so ein tolles Privileg ist, wollen Sie doch sicher auch nach der Wahl 2006 Finanzsenator sein?

Das ist nun eine absolut hypothetische Frage. Das Programm, das ich hier mit dem Senat aufgelegt habe, das geht sicherlich über zehn Jahre.

Umso näher liegt es doch, dass Sie sich nicht jenen mystisch verklärten Moment entgehen lassen, wenn 2007 der so genannte Primärhaushalt ausgeglichen sein soll.

Das habe ich auch nicht vor. Aber das hängt von den Rahmenbedingungen nach der Wahl ab.

Wenn doch mal Schluss ist, dann bleiben Sie den einen als Sanierer in Erinnerung. Den anderen aber als jener, über den es bei Kitaprotesten hieß: „Die Kinder schrei’n, die Eltern flieh’n, da hinten kommt der Sarrazin.“ Wie lebt es sich damit?

Wenn man die Zustimmungswerte in den Umfragen analysiert – ich tu das ab und zu –, dann gibt es sicherlich einen harten Kern von emotional ablehnenden Mitbürgern.

eine nette Umschreibung für „hasserfüllte Gegner“.

Es gibt aber auch eine erstaunlich große Zahl auf der anderen Seite. Von wenigen Situationen mit protestierenden Studenten oder Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes einmal abgesehen, habe ich kaum je offen unfreundliche Reaktionen erlebt. Wichtig ist doch, dass man mit seinen Botschaften durchdringt, im Negativen wie im Positiven – und das ist mir ja wohl offensichtlich gelungen.

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