ULRICH SCHULTE ÜBER PROTESTIERENDE ELTERN VOR KITAS: Schämt euch, Eltern!
Das hat noch gefehlt. Jetzt streiken also Eltern, um streikende Kita-ErzieherInnen vom Streiken abzuhalten. Mit dieser innovativen Erfindung, dem Gegenstreik, betätigen sich die erbosten Eltern als Trendsetter der bundesdeutschen Tarifpolitik. Ließe sich diese Idee doch beliebig ausweiten: Unterbezahlte Supermarktverkäuferinnen kämpfen für mehr Geld? Wehrt euch, Lidl-Kunden, für das Recht auf freien Einkauf! Opelaner streiken gegen drohende Werksschließungen? Auf die Straße, Autofahrer! Wäre es nicht so traurig, man müsste darüber lachen.
Bei allem Verständnis für die Nöte berufstätiger Väter und Mütter, die auf eine zuverlässige Kinderbetreuung angewiesen sind: Sie tun ihrem Anliegen mit ihren Demos keinen Gefallen, im Gegenteil. Durch den unsolidarischen Protest schaden sie den ErzieherInnen, die Tag für Tag mit hohem Einsatz ihre Kinder betreuen. Und die dafür mehr schlecht als recht bezahlt werden. Denn die Eltern bekämpfen die Beschäftigten, die eh schon Druck von den Arbeitgebern bekommen, an einer zweiten Front.
Wenn nun Mütter in Aufrufen jammern, ihre Kleinsten verstünden die Welt nicht mehr, wird anscheinend jede Vernunft von Tränen weggespült. Kinder sterben nicht, wenn sie ein paar Tage von der Nachbarin, von den Großeltern oder, im Wechsel, von ebenfalls durch Streik betroffenen Eltern betreut werden. Sie können von neuen Erfahrungen sogar profitieren. Und auch Kinder verstehen einfache Zusammenhänge, wenn man sie ihnen erklärt.
Doch solcher Pragmatismus ist manchen Eltern offenbar fremd. Ebenso fremd wie der Gedanke, dass eine zufriedene, gut bezahlte und irgendwann besser ausgebildete Erzieherin ihren Job besser macht. Diese Ignoranz verwundert nicht. Denn der langfristige Effekt eines Streiks kommt ja nicht mehr dem eigenen Kind, sondern kommenden Kindern zugute. Und wen kümmern die schon?
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