: Mann muss was tun
Neues von der Geschlechterfront: Die „Roten Männer“ machen den Frauen den ewigen Opferstatus streitig
VON MARTIN REICHERT
Der Weg zum konspirativen Versammlungsort der Roten Männer ist gesäumt von Prostituierten. Es ist ein kalter, regnerischer Abend in Berlin-Mitte, und wer von der S-Bahn zum „Zosch“ in der Tucholskystraße gelangen möchte, muss durch die berühmt-berüchtigte Oranienburger Straße gehen. Hinter Baugerüsten und Schutt stößt, wer sucht, auf eine der wenigen verbliebenen tatsächlich links-alternativ angehauchten Kneipen in diesem Bezirk: heute Abend ein Hort des Widerstandes, denn hier trifft sich der Stammtisch der Roten Männer, eine Gruppe von SPD-Männern, die für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen kämpft.
Heute Abend verlassen sie ihre Deckung, denn normalerweise existieren sie nur im Internet. Unter der im Underground-Chic gehaltenen Homepage www.rotemaenner.de findet sich ihr „Manifest“, sie verschicken Rundbriefe und haben 250 Männer im Verteiler – die Liste wächst. Neulich sind sie aufgeflogen: ihre Mails gelangten durch ein Versehen in das Postfach einer Frauenbeauftragten. Das gab Ärger, denn die Beauftragte waltete ihres Amtes und brandmarkte den Inhalt als „frauenfeindlich“. Ein Totschlagargument, sagen die Roten Männer, doch auch sie sind bewaffnet – mit Büchern. Sie sind aktive und ehemalige Sozialdemokraten, um die vierzig, nett, gebildet. Sie haben sich eingearbeitet in den Geschlechterdiskurs, der ihrer Meinung nach von längst in den Institutionen angekommenen Feministinnen alter Schule monopolisiert wird: unter anderem mit Hilfe einer Festschreibung des weiblichen Opferstatus. „Dabei hat doch schon Hannah Arendt darauf hingewiesen, dass Gruppen, die sich nur als Opfer definieren, nicht handlungsfähig sind“, sagt Johannes, Architekt, geschieden und Vater einer Tochter, die er nicht zu Gesicht bekommt: „Es geht doch um Gleichheit, dieser ganze Opfermythos bedeutet einfach eine Schieflage. Vor fünfzig Jahren war es natürlich andersrum, da haben die Männer ihren Vorteil gnadenlos ausgenutzt. Heute machen das die Frauen.“
Er wirkt traurig.
Bekennende Männer
Joachim, Diplompolitologe und „entsorgter Vater“, kann diese Entwicklung zwar gut verstehen, er findet es „nur menschlich“, gut findet er es jedoch nicht. Er will nicht auf Frauen „einschlagen“, er träumt von einer „tatsächlichen Gleichberechtigung“. Vor vier Jahren begründete er deshalb das Rote-Männer-Forum. „Nach und nach haben sich immer mehr Männer dazu bekannt. So ähnlich wie bei der Bekennenden Kirche“, sagt er schmunzelnd. Obwohl er es eigentlich total ärgerlich findet, dass über Männerrechte immer nur mit einem Augenzwinkern berichtet werden darf: „Gleiches gilt für kritische Aussagen gegenüber Frauen. Die Männer haben sich dem feministischen Diskurs total angepasst. Das ist doch unehrlich.“ Johannes ist auch Kommunalpolitiker in Berlin und ergänzt: „Den Frauen ist es total egal, ob es im Bezirk Mitte genug Frauentoiletten gibt. Es sind die Männer, die sich in vorauseilendem Gehorsam ereifern. Die haben den Opfermythos längst internalisiert.“
Am Nebentisch sitzt eine ausgelassene Gruppe junger Frauen und trinkt Bier, im Hintergrund singen „Poems for Laila“. Es ist ein Liebeslied an eine Frau. Männer setzen sich nicht gerne öffentlich für ihre Rechte ein, denn niemand möchte rüberkommen wie Bernd „Hallo, ich bin der Bernd“ aus der Männergruppe – bekannt aus Funk und Fernsehen. Männer haben einfach Männer zu sein, nur Frauen haben ein politisiertes „Geschlecht“. Bislang jedenfalls.
„Wir sind keine Maskulinisten“, sagt Thilo, der sich als „prokapitalistisch“ bezeichnet, weil er sich als Einziger in der Gruppe nicht der SPD zugehörig fühlt, auch nicht der nach dem Godesberger Programm, „wir wollen gar keine ismen“. Er ist Vorsitzender des Vereins SKIFAS, der sich für Rechte von Männern einsetzt, die sich zu Unrecht von ihren Partnerinnen des sexuellen Missbrauchs der gemeinsamen Kinder beschuldigt sehen – auch eine der Waffen im Kampf der Geschlechter, wenn es im Trennungsfall um das Sorgerecht geht. Thilo hat um sein Kind gekämpft, bis es nicht mehr ging. Seit 1998 hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter. „Die Männer, die zu uns kommen und Hilfe suchen, sind Weicheier, keine Machos“, sagt er und beklagt das „stereotype Männerbild“ vieler Frauen.
Verängstigte GenossInnen
Derweil bringt die Kellnerin bereitwillig eine neue Runde Bier – das Gespräch verstummt für einen Moment. Generell befinden sich die Roten Männer immer noch in der „Diagnosephase“. Innerhalb der SPD ist mit ihrem Anliegen bislang nichts zu wollen. „In der SPD ist das schwierig zu organisieren“, sagt Joachim. Die SPD-Führung, egal ob männlich oder weiblich, befürchte Sanktionen. In der Öffentlichkeit stehende PolitikerInnen hätten Angst, einen Stempel aufgedrückt zu bekommen, möglicherweise die nächste Wahl zu verlieren. Eine heiße Kiste, das mit den Männern. Einen Männerbeauftragten innerhalb der Partei kann sich niemand vorstellen – wenn überhaupt, würde sich wohl eher eine Frau der Männer annehmen. Keine „Frauen-Frau“, vielleicht Renate Schmidt? „Die geht da differenziert heran, scheut sich nicht, die Schieflagen zu betrachten“, sagt Bell. Wer von den Männern in der SPD wohl bereit wäre, sich um diese Sparte des „Gedöns“ zu kümmern? Rudolf Scharping? Hätte nichts mehr zu verlieren. Sigmar Gabriel? War schon Pop-Beauftragter.
Das geplante Verbot illegaler Vaterschaftstests hat den Roten Männern wieder einmal gezeigt: Es muss etwas geschehen. Nur was? Diagnosephase. Formierungsphase. „Die Netzwerke der Feministinnen funktionieren ausgezeichnet“, sagt Johannes etwas resigniert. Ein Opfer der Verhältnisse.
Nebenan lacht die Frauenrunde über einen Witz. Schräg gegenüber sitzt ein junger Mann ganz allein am Tisch und liest Zeitung. Ein einsamer Zeugungsverweigerer um die 30. „Warum soll man sich überhaupt noch auf eine Partnerschaft einlassen? Man kennt doch immer jemanden, der massiven Stress mit einer Exfrau hat“, sinniert Peter, Journalist. Er selbst hat Glück gehabt: Er lebt zwar von Frau und Kind getrennt, aber „es läuft alles in geordneten Bahnen.“ Vor einigen Jahren hat er das Buch „Der Winterschlaf der Männer ist vorbei“ geschrieben, inspiriert durch die damals virulenten „Weiberbücher“ von Hera Lind und Gaby Hauptmann.
Wie im Obrigkeitsstaat
Sein Journalistenkollege Reinhard findet hingegen, dass der Dialog zwischen den Geschlechtern längst in eine Sackgasse geschlittert ist, insbesondere im politischen Milieu der rot-grünen Koalition: „Im Namen des Kampfs um die Geschlechtergerechtigkeit verfestigt sich ein innenpolitischer Diskurs, der eine ideologische Polarisierung in gewalttätige Männer und hilfebedürftige Frauen institutionalisiert“, analysiert er – demnächst wird er einen Aufsatz zu dem Thema veröffentlichen – und fordert den „Abbau von Feindbildern“. Nach zwanzig Jahren durchlittener Geschlechterdebatte ist er nun enttäuscht: „Es geht nur noch um Geld, Macht und persönliche Vorteile. Und nicht um tatsächliche Gleichberechtigung.“
Die Musik wird nun lauter und beginnt den konspirativen Diskurs am Tisch zu übertönen. Die jungen Männer und Frauen im „Zosch“ lachen laut, flirten und enthemmen sich mit Alkoholischem. Mit ungewissen Folgen. Zum Abschied sagt Joachim: „Die Leute haben einen Schiss, als ob man noch in einem Obrigkeitsstaat leben würde.“ An der Ausgangstür taucht noch einmal Johannes auf: „Bitte nicht meinen vollen Namen erwähnen, ja?“ Ein Gerichtsverfahren wegen des Fürsorgerechts läuft noch. Auf dem Rückweg durch das nasskalte Berlin stehen die Huren der Oranienburger Straße in ihren Skihasen-Kostümen Spalier.
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