: Die große Notlösung
TABULA RASA „Anders zur Welt kommen“ heißt die Ausstellung, mit der „Das Humboldt-Forum im Schloss“ beworben wird. Auf ziemlich unglückliche Art und Weise, wie der versprochene „Werkstattblick“ zeigt
VON RONALD BERG
Wo einst der Palast der Republik stand, wächst Gras. Nun ist also im ideellen Mittelpunkt der Berliner Republik erreicht, was Walter Ulbricht zuvor mit dem Abriss der Kriegsruine des Hohenzollernschlosses vorgemacht hat: Tabula rasa. Aber die momentane Leere ist ja nur Voraussetzung für einen Neubau, „Schloss“ genannt. Dieses Gebäude ist – ob gewollt oder nicht – ein Siegesdenkmal: Sieg über die Moderne, über den Kommunismus und über eine Kultur von unten, die sich in der Ruine des ausgeweideten Palastes prächtig entwickelte – solange man sie ließ. Denn nun fällt die Kultur hier in die Hände staatlicher Institutionen. Im Grunde ist es ein Triumvirat aus Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Humboldt-Universität und der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, das sich beim Projekt Humboldt-Forum (HUF) zusammengefunden hat. Die Betreiber haben sich nach eigenem Bekunden dem Dialog der Kulturen verschrieben. Aber schon der Schlossreplik als Sitz des Humboldt-Forums haftet der Makel an, nur dadurch Gestalt angenommen zu haben, dass Dialogpartner aus der Kultur ignoriert und eliminiert wurden. Ein Dialog mit der jüngsten Geschichte und deren (Bau-)Kultur in Gestalt des Palastes sowie mit den Künstlern und Kulturschaffenden der Initiative „Volkspalast“, die das Haus 2005, kurz vor dem Abriss, einer populären „Zwischennutzung“ zuführten, fand nicht statt.
Der Akzent des HUF soll stattdessen auf dem Dialog mit den außereuropäischen Kulturen liegen. Diesen Leitgedanken entwickelte 2001 der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, der eigentliche Urheber der HUF-Idee. Aber schon Lehmann bekannte, dass das edle Anliegen nur die halbe Wahrheit wäre. Im Grunde war die Idee des HUF Notlösung für ein leer stehendes Schloss, mit der Lehmann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: die Dahlemer Museen in die publikumsträchtigere Mitte zu holen und sich damit die Sanierung des Standorts in Dahlem zu sparen. Die Betreiber des HUF berufen sich heute lieber auf die Brüder Humboldt. Das klingt gut, hat nur den Beigeschmack, dass das Projekt seine Legitimation aus der Vergangenheit ableitet, obwohl man doch „in die Zukunft gerichtete Themen und Fragen eine Plattform bieten“ will. Bei den historischen Anknüpfungspunkten geht das HUF sogar noch weiter zurück bis zur kurfürstlichen Kunstkammer aus dem 17. Jahrhundert.
Dessen Staunen machende Versammlung von Kuriositäten gibt nun das Vorbild für Konzept und Methode des zukünftigen HUF ab. Zu sehen in der Ausstellung „Anders zur Welt kommen“ im Alten Museum. Untertitel: „Das Humboldt-Forum im Schloss. Ein Werkstattblick“. Es ist die erste Konkretion der Konzepte, Methoden und Präsentationsformen dieses „bedeutendsten und ambitioniertesten kulturellen Projekts Deutschlands zu Beginn des 21. Jahrhunderts“. So die Charakterisierung des HUF im Begleitband zur Ausstellung.
Nach der obligatorischen Filmanimation des Schlossneubaus in der Fassung des Wettbewerbsiegers Franco Stella liefert die einst im Stadtschloss untergebrachte Kunstkammer den programmatischen Auftakt zur Ausstellung. Schon hier, im ersten Raum, bahnt sich der ganze didaktische, mediale und ästhetische Overkill der Unternehmung an. Einige Originalobjekte aus der Kunstkammer kämpfen hier gegen ihre beständige Beschallung mit der Beschreibung wundersamer Dinge wie einem „Pferdeballett“ oder der „Kraft des Brennspiegels“. Die noch einmal an die Wand plakatierten Stichwörter aus Gottfried Wilhelm Leibniz’ Idee eines so nützlichen wie unterhaltsamen „Theatre de la nature et de l’art“ stehen den faksimilierten Blättern des Inventarbuchs der Kunstkammer gegenüber, die die gegenüberliegende Wand zudecken.
Von der Wunderkammer zur Rumpelkammer könnte man den nachfolgenden Parcours der Ausstellung beschreiben. Die angestrebte Multifokalität sorgt vor allem für große Unübersichtlichkeit. Dabei sind hier auf der ersten Strecke eigentlich nur die verschiedenen Sammlungen und Sammlungsstrategien im historischen Ablauf vorgestellt. Das Sammeln von Kuriositäten – wie ein in einer Eiche verwachsenes Hirschgeweih – wich der wissenschaftlichen Systematik bei den Erwerbungen. 1880 brachte Adolf Bastian, Begründer des Berliner Völkerkundemuseums, für sein geplantes „Weltarchiv“ allerlei Alltagsgegenstände aus dem Iran mit: Nähzeug, Gefäße, Messer etc. Bastian sah darin „spezielle Manifestationen von Elementargedanken in den so genannten Kulturländern“, heißt es dazu im Erklärungstext. Kulturvergleich und -dialog sind also nicht erst Erfindungen von Lehmann. Natürlich müssen hier auch die „Brüder Humboldt“ als geistiger Gründungsväter des HUF ins Spiel kommen. So erscheint neben den iranischen Gerätschaften und afrikanischen Waffen auch ein federnbesetzter Stirnreif, den Alexander von Humboldt oder einer seiner Forschernachfahren aus Guyana mitgenommen hat. Wilhelm, der ältere Bruder, ist mit seinen Sprachstudien vergleichsweise schlecht zu visualisieren und wird wegen seines Bildungskonzepts mit den architektonischen Plänen zur Berliner Universität in Verbindung gebracht. Das alles wäre für sich genommen durchaus interessant, wenn nicht alles dicht zusammengedrängt wäre, die Objekte sich nicht gegenseitig nivellierten und die ästhetischen Mittel sich nicht beißen würden. So musste man zu alledem hier noch eine Installation von reproduzierten Straßen- und Namenschildern dazunehmen, die das Wort „Humboldt“ beinhalten.
Das man des Guten zu viel wollte, setzt sich in der zweiten großen Strecke zur „Deutung von Exponaten der Museen aus unterschiedlicher Perspektive“ fort. Den ethnologischen Museen der Preußenstiftung geht es hier vor allem um Bewegung, Austausch, Wandel. Wie kann man das darstellen? Begriffstafeln hängen von der Decke, eine Flotte von Bootsmodellen aus dem Pazifikraum taucht auf, eine Pilgerkarte für Krishna-Verehrer hängt an der Wand. Das scheinbar wahllose Nebeneinander der Objekte zeugt vor allem von den Schwierigkeiten, komplexe Zusammenhänge ausstellungsgerecht darzustellen. Die eurozentrierte Perspektive wird dabei ohnehin nie aufgegeben. Der „heilige Ort“ einer indischen Gottheit wird so zur bloßen Bretterbude. Ausstellungskontext und Erläuterungstext entzaubern das Heiligtum. Beugen eigentlich die Inder ihr Knie auch nicht mehr, wie Hegel das bereits für unser Kunstverständnis festgestellt hat?
Die Landesbibliothek kommt überhaupt erst im dritten und letzten Teil der Ausstellung ins Spiel. Es handelt sich um eine Art Labor für „Forschung, Technologie und Vermittlungsstrategien“. Raumnischen bieten Lesestoff. Aber wer geht schon in eine Ausstellung, um dort Bücher zu lesen? Ansonsten wird hier aus der Arbeit der Institutionen berichtet. Es geht zum Restaurierungstechniken, es werden frühe Tondokumente auf Wachsrollen und Schellackplatten ausgestellt, das Lowtech einer alten Forscher-Schreibmaschine trifft auf Hightechmikroskope, ein Telefon mit Verbindung zur Auskunft der Landesbibliothek begleitet den Nachbau eines Experiments zur Lichtbrechung: ein ziemlich heterogenes Bild also. Die Praxis des kulturellen Dialogs und der Interdisziplinarität in diesem Museum neuen Typs ist weitaus tückischer als die blumigen Verheißungen der am HUF Beteiligten. Im Grunde ist das HUF eben doch nur eine Notlösung für eine vorgegebene Form. Denn ohne das Schloss gäbe es das HUF gar nicht.
■ Bis 17. Januar, Altes Museum, Berlin, Katalog (Verlag Theater der Zeit), 28 €
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