: Links schlägt Funken
Attac hat Geburtstag, und die SPD bringt Geschenke: Der Antikapitalismus hat die Mitte erreicht
VON KATHARINA KOUFEN
Vor ziemlich genau fünf Jahren in Frankfurt: Eine Gruppe von Studenten, alternativen Christen und Dritte-Welt-Verbänden diskutiert über die Globalisierung. „Nicht mehr die gewählte Regierung bestimmt das Geschehen, sondern die Vorstände der großen Finanzkonzerne“, ruft einer von ihnen. „Wir brauchen ein Bündnis gegen die Folgen eines ungezügelten Kapitalismus“.
Es ist das Gründungswochenende von Attac, im Frühjahr 2000. Der Börse geht es prima. Die Forderung von Attac, die Finanzmärkte müssten „zum Wohl des Bürgers“ reguliert werden, und zwar durch eine so genannten Tobinsteuer auf Devisengeschäfte, nennt der Sprecher des Finanzministers „absurd“.
Vor ein paar Tagen in Berlin: SPD-Chef Franz Müntefering redet vor Parteigenossen. „Unsere Kritik gilt der wachsenden Macht des internationalen Kapitals“, verkündet der Politiker. Später vergleicht er Finanzinvestoren mit „Heuschrecken“, die als Plage über deutsche Firmen hereinbrechen, alles abgrasen und dann weiterziehen. Die Genossen applaudieren, selbst Oppositionspolitiker wie der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer stimmen dem neuen Linken zu.
Ein überraschender Sinneswandel, aber nur einer unter vielen: Wenige Wochen zuvor forderte der Bundeskanzler die anfangs so geächtete Tobinsteuer plötzlich höchstpersönlich. Finanzminister Eichel wird über Nacht zum vehementen Befürworter einer Steuer auf Flugbenzin – bis vor kurzem eine als „wettbewerbsverzerrend“ abgetane Spinnerei aus der Öko-Mottenkiste. Nicht zu vergessen die Debatte über Mindestlöhne, die lange Zeit als nicht politisch korrekt, weil nicht wirtschaftlich korrekt galt.
Was ist los mit der SPD? Erkennt sie spät, aber noch rechtzeitig vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen Volkes Wille – zwei Drittel aller Deutschen halten laut einer Umfrage Münteferings Kritik für richtig –? Oder ist Attac Mainstream geworden, haben die globalisierungskritischen Forderungen die Politikreife erreicht?
Kein Zweifel, für alle vier Linksruckbeispiele der SPD gibt es Erklärungen jenseits von Überzeugung: Eichel möchte die Kerosinsteuer einführen, weil er nur so Deutschlands Beitrag zur weltweiten Armutsbekämpfung gewährleisten kann. Aus demselben Grund plädiert Schröder für die Tobinsteuer. Beiden geht es dabei nicht um die Hungerleider, sondern um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der UNO. Und die Kritik am Kapitalismus hat mit der Panik vor einem Wahldebakel zu tun – das glauben übrigens laut den Umfrageergebnissen drei Viertel der Deutschen.
Trotzdem bleibt die Frage, ob sich einmal in Gang gesetzte Debatten so einfach wieder abstellen lassen. Künftig wird man Müntefering zitieren, wenn es darum geht, die Freizügigkeit der Konzerne einzuschränken. Attac kann sich bei der Tobinsteuer auf Kanzler Schröder beziehen. Die SPD ihrerseits wird sich entscheiden müssen, ob sie einen weiteren Verlust ihrer Glaubwürdigkeit hinnehmen oder den kämpferischen Worten Realpolitik folgen lassen will. Dazu wäre jedoch ein radikaler Kurswechsel nötig.
Attac könnte den Genossen dabei helfen. Denn anders als Müntefering haben die Bündnis-Leute inzwischen erkannt, dass ökonomische Unbill nicht gleich einer biblischen Plage vom Himmel kommt. Vielmehr gibt es Regeln, die von Institutionen gemacht werden, in denen Regierungsvertreter sitzen und die von den gewählten Parlamenten abgesegnet werden. Die Attac-Lobbyisten versuchen „von unten“, bei Parlamentariern, Aufmerksamkeit für ihre Themen zu gewinnen.
Die SPD-Spitze muss dies „von oben“ tun, wenn sie es ernst meint mit der Kapitalismuskritik. Sie kann die Reform der Welthandelsorganisation (WTO) auf die Tagesordnung setzen. Sie kann sich als Bundesregierung im EU-Rat für die Tobinsteuer stark machen oder im Internationalen Währungsfonds als dessen Anteilseigner. Sie kann ihre Abgeordneten dazu anhalten, komplizierte Gesetzentwürfe etwa zur Privatisierung von Dienstleistungen vor der Abstimmung sorgfältig zu prüfen.
Sonst macht womöglich das Beispiel von Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine Schule: Linke Sozialdemokraten finden bei Attac Unterschlupf.
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