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„Berlins Baumbestand geht verloren“

UMWELTSCHUTZ Die Bäume an der U-Bahn-Linie 5 mussten weg – da sehen auch Umweltschützer keine Alternative. Sie fordern aber mehr Geld und Personal für neue Pflanzungen

Carmen Schultze

Die 48-Jährige ist Sprecherin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie hat zuvor u. a. für die Commerzbank und ein freies Radio gearbeitet.

taz: Frau Schultze, was halten Sie von der Fällung der Bäume aufgrund der Bauarbeiten auf der U-Bahn-Linie 5?

Carmen Schultze: Die Bäume müssen gefällt werden. Die Tunnel können anders nicht repariert werden. Es wurde aber glaubhaft vermittelt, dass Ersatz geleistet wird. Die Linden an der Karl-Marx-Allee sind ungefähr 35 Jahre alt. Die Neupflanzungen erfolgen eine Kategorie höher. Es werden also ältere Bäume gepflanzt, vorgesehen ist ein Alter von 15 Jahren.

Was bedeutet das für die Anwohner?

Bis die alte Größe der Bäume erreicht ist, vergehen 20 Jahre. Bis dahin leben viele Anwohner nicht mehr dort. Es handelt sich hier um einen starken Substanzverlust. Bei der Bürgerinformationsveranstaltung wirkten die Leute wirklich erbost, weil sie so spät davon erfahren haben. Das ist hier in Berlin häufig der Fall. Sie sehen ihre Umgebung auf die Dauer abgewertet. Erst 2011 beginnt die Nachpflanzung. Für die Leute heißt das, die Bäume sind weg.

Die U 5 wird wohl nicht einzige Sanierung bleiben, bei der Bäume gefällt werden, oder?

Die nächsten Baustellen werden in Mitte und dann in Charlottenburg-Wilmersdorf sein. Die BVG spricht die Fällgenehmigung sowie die Ersatzpflanzungen zwar mit den Bezirken ab, das ist aber keine dauerhafte Lösung. In jedem Bezirk finden Baumaßnahmen statt, und das Stadtbild wird weiter verändert.

Was muss hier in Zukunft anders laufen?

Wir werden versuchen, bei Senatsverwaltung und BVG eine Bestandsaufzeichnung für die zukünftigen Baumaßnahmen durchzusetzen. Ein Ausgleich muss über das gängige System 1:1 hinausgehen. Dadurch werden Bautätigkeiten zwar teurer, wenn aber der Baumbestand in Berlin gehalten werden soll, dann müssen wir uns darauf einigen. Und das ist eine gesamtstädtische Aufgabe.

Derzeit kommen die Bezirke nicht einmal mit der Neupflanzung hinterher, wenn zuvor gefällt wurde.

Den Bezirken fehlt oft das Geld für die Nachpflanzung. Sowohl Geld als auch Personal sind im Grünflächenamt Mangelware. Einige Bezirke einigten sich darauf, die Spendensumme von Bürgern für Bäume auf 1.000 Euro als Minimum zu erhöhen. Das Ergebnis wird wohl sein, dass viele jetzt nicht mehr spenden. Das zeugt von der Hilflosigkeit der Bezirke, denen einfach das Personal fehlt, diese Pflanzung dann auch umzusetzen.

INTERVIEW: TOBIAS SINGER

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