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Für Ägypten – aus Liebe

KULTURSZENE Streetart, Fotografie, Videos und Bücher erzählen von Kritik und Aufbruch in Ägypten. Tabubruch und Provokation gegen die alten Mächte bringen internationale Nachfrage

Kulturtipps

■ Safarkhan Art Gallery fördert moderne ägyptische Kunst. 6, Brazil St., Zamalek, www.safarkhan.com

■ Das El Sawy Culture Wheel ist ein Veranstaltungsort für Musik, Lesungen, Debatten, Film und Theater. Ende der 26. July St. auf der Nilinsel Zamalek, www.culturewheel.com

■ Das Egyptian Center for Culture and Art (Makan) fördert die traditionelle Musik Ägyptens, entwickelt sie weiter und veranstaltet Konzerte. 1, Saad Zagloul St. Ecke Mansour St., www.egyptmusic.org

■ Deutschland: In Frankfurt am Main findet noch bis Ende April ein Festival der ägyptischen Kultur mit Lesungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Musik statt. www.tut-ausstellung.com/de/frankfurt/veranstaltungskalender.html.

■ Diese Reise nach Ägypten wurde ermöglicht durch Semmel Concerts und das ägyptische Fremdenverkehrsamt

VON BEATE SEEL

Wer heute aufmerksam durch die Viertel der Innenstadt von Kairo spaziert, wird immer wieder auf die künstlerische Umsetzung der gesellschaftlichen Bewegungen stoßen: Graffiti und Streetart. Da ist etwa das Bild eines Panzers auf dem breiten Pfosten einer Nilbrücke, präzise und fast fotografisch in Schwarz-Weiß gemalt. An den Rädern sind Spuren von Rot zu sehen, ein Hinweis darauf, dass unter den Kettenfahrzeugen zahlreiche Menschen ums Leben kamen. An einer Wand leuchtet eine gelbe Glühbirne mit der Aufschrift „Denk nach!“, anderswo sind in Schwarz auf gelbem Grund die „Accessoires des Regimes“ zu sehen: Handschellen, Messer, Schlagstock, Pistole, Gewehr, Axt.

Im Vorfeld einer „Mad Grafitti Week“ im Januar wurden Straßenkünstlern und solchen, die es werden wollten, im Internet zahlreiche Schablonen angeboten. Die des Chefs des herrschenden Militärrats, Hussein Tantawi, erfreute sich besonderer Beliebtheit. Unter einigen seiner Konterfeis auf den Mauern der ägyptischen Hauptstadt steht „Stellt ihn vor Gericht“ oder „Tantawi ist Mubarak“, andere zeigen ihn mit blutigem Gebiss.

Neben Streetart sind Fotografie und Video weitere, schnelle Ausdrucksformen der Ereignisse rund um den Tahrirplatz seit Januar 2011. Bereits im vergangenen Frühjahr war in der Galerie Safarkhan auf der Nilinsel Zamalek die Ausstellung „For Egypt with Love“ zu sehen, in der junge KünstlerInnen vorwiegend Werke in digitaler Mischtechnik und Konzeptfotografie vorstellten. Im November zeigte sie Bilder der 27-jährigen Malerin und Fotografin Marwa Adel, die sich diesmal von ihrem Thema weiblicher Emotionen abwandte und in einer Phase der politischen Frustration die Besucher auf eine künstlerische Erinnerungsreise zu den 18 Tagen des Aufstands gegen den damaligen Präsidenten Husni Mubarak mitnahm.

Der Videokünstler und Maler Khaled Hafez ist einer derjenigen, die sich zunächst voll auf das Tahrirthema stürzten. Dabei war der 48-Jährige, der unter Mubarak nie seine Stimme abgab und bei den jüngsten Parlamentswahlen für den liberalen Ägyptischen Block stimmte, zunächst gar nicht auf dem Platz, denn er glaubte nicht, dass Demonstrationen eine politische Veränderung bewirken könnten. Das änderte sich, nachdem am 28. Januar 2011, dem „Tag des Zorns“, einer seiner Kollegen getötet wurde. „Das war ein Paradigmenwechsel“, sagt er heute. Unter dem Eindruck der Ereignisse produzierte er ein kurzes Video mit gestochen scharfen Aufnahmen von Gesichtern, Menschen, Massen, Wasserwerfern.

Heute sieht er das kritisch. „Das war eine Falle, eine rein reaktive Kunst, die letztlich langweilig ist“, sagt er. „Das sind erste Arbeiten nach dem Ereignis, manche werden bleiben, aber vieles davon wird nicht dauerhaft sein.“ Hafez wandte sich wieder der Ölmalerei zu, saß tagelang in seinem Atelier und war zunächst völlig uninspiriert, wie er freimütig bekennt. Ein Besuch in dem Atelier, eine in ein Loft verwandelte Wohnung in dem Kairoer Vorort Nasr City, zeigt, dass diese Phase überwunden ist. Eine Leinwand in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung lehnt neben der anderen, darüber und daneben hängen Piktogramme von Soldaten, Maschinengewehren und Hubschraubern, die er, wie auch Symbole aus der pharaonischen Zeit, collagenartig in seine vielschichtigen Ölbilder einarbeitet. Das Tahrirthema ist also nicht ganz verschwunden.

Im Januar waren die neuen Werke von Hafez in einer Einzelausstellung in der Galerie Safarkhan zu sehen. In der Kairoer Kunstszene herrscht derzeit ein kleiner Boom. „Seit der Revolution haben wir Anfragen, vor allem aus dem Ausland: Was habt ihr denn, her damit“, sagt die Galeristin Mona Said.

Demgegenüber läuft die Buchproduktion langsamer an. Die ersten Neuerscheinungen, die im bereits vergangenen Herbst in den Buchläden auslagen, waren Fotobände über den Tahrirplatz, in denen die ägyptische Flagge ein häufig wiederkehrendes Motiv ist. Inzwischen sind auch mehrere Bücher erschienen, deren Autoren ihre Erlebnisse in jenen Tagen beschreiben. Doch eine literarische Aufarbeitung lässt noch auf sich warten.

Allerdings drängen seit ein paar Jahren junge Männer und Frauen mit Erstlingswerken auf den Markt. Eine von ihnen ist die Bloggerin Ghada Abdelaal, deren 2008 auf Arabisch erschienenes Buch „Ich will heiraten!“ zum Bestseller und zur Vorlage einer Vorabendserie während des Fastenmonats Ramadan wurde. Das Buch handelt, satirisch überzeichnet, von der Salonehe, also einer vermittelten Heirat, bei der die junge Frau den potenziellen Kandidaten in der Regel das erste Mal im Wohnzimmer ihres Elternhauses trifft.

Provokante Bücher

„Ich habe immer gedacht, man müsste ein Mann über sechzig sein, um ein Buch zu veröffentlichen“, sagt die heute 32-jährige Autorin, die ein Kopftuch trägt und noch immer unverheiratet ist. Sie arbeitet als Apothekerin in der Textilarbeiterstadt Mahalla al-Kubra, dort, wo einst die Bewegung des 6. April entstand. Nebenbei schrieb sie einen Blog, in dem Bride (Braut), eine junge Frau, skurrile und tragikomische Begegnungen mit Heiratskandidaten beschreibt, wobei jede Geschichte mindestens einen Grund liefert, niemals einen Mann zu heiraten. Darauf angesprochen, sagt sie: „Mein Buch ist eine Reaktion auf den Machismus der Männer.“ Bereits der Titel ist eine Provokation, denn eine „anständige“ junge Ägypterin sagt niemals „ich will heiraten“. Hinzu kommt, dass sie nicht auf Hocharabisch, sondern im ägyptischen Alltagsarabisch schreibt.

„Wer bist du denn, dass du Männer beurteilst?“, bekam sie auf Lesungen von Vertretern des anderen Geschlechts zu hören. Dabei, sagt sie, kenne jeder Mann ähnliche Beispiele, von einer Schwester, einer Cousine – in einem Land, wo frau ab 25 schon fast als alte Jungfer und ab dreißig als hoffnungsloser Fall gilt. Abdelaal versteht ihr Buch zugleich als eine Ermutigung für junge Leute, Männer eingeschlossen. Das Datum ihres 30. Geburtstags machte sie in ihrem Blog öffentlich – und bekam zahllose Glückwünsche. „Ich wollte das Tabu brechen“, sagt sie. Ihr Blog hat inzwischen 700.000 Hits. Bei den Wahlen, erzählt sie, gab es in ihrem Bezirk zwei Kandidaten: einen Salafisten und einen Muslimbruder. Sie stimmte für das „kleinere Übel“ und wählte den Muslimbruder.

Der Wahlsieg der Islamisten hat in weiten Teilen der Kulturszene Befürchtungen ausgelöst, mit den neuen Freiheiten könnte es bald wieder vorbei sein. Seit dem Sturz Mubaraks hat der Kulturminister vier Mal gewechselt, eine neue Politik zeichnet sich bisher nicht ab. Bereits am 26. Februar vergangenen Jahres konstituierte sich die „Koalition für eine unabhängige Kultur“, ein lockeres Bündnis zahlreicher Kulturschaffender aus unterschiedlichen Bereichen, die sich für die Entwicklung von Leitlinien für eine neue Kulturpolitik und die Überwachung der öffentlichen Träger einsetzen. Immerhin brauchen Verleger heute keine Genehmigung des Innenministeriums mehr, um ein Buch zu veröffentlichen.

Doch wie ahramonline berichtete, durchsuchten Ende November Polizisten den Verlag Dar Kayan auf der Suche nach dem Gedichtband von Tamer Abbas, „Etna Meen“ („Wer Du bist“). In einem anderen Fall reichte eine Gruppe Intellektueller Klage gegen den Kulturminister ein, weil dieser sich gegen die Veröffentlichung einer Gedichtesammlung von Costanteen Kafasis aussprach, mit der Begründung, sie enthalte „schamlose“ Passagen. Hier scheint es eine Grauzone zu geben, bei der es vor allem um Moral und Religion geht und beide Seiten ihre Pflöcke einschlagen wollen.

Doch die Meinungen in der Kulturszene sind so eindeutig nicht. Die Verlegerin und Buchhändlerin Karam Youssef kommentiert das Wahlergebnis: „Wenn die Muslimbrüder mit Liberalen (und nicht mit den Salafisten; d. Red.) zusammengehen, sind wir auf der sicheren Seite.“ Für den bekannten Journalisten und Schriftsteller Gamal Al Ghitani hingegen sind Salafisten und Muslimbrüder das Gleiche. Er sieht die Entwicklung als aktuellen Ausdruck des Konflikts zwischen Säkularismus und Religion, der schon über 100 Jahre alt ist. Und die Prognose des Ökonomen, Soziologen und Autors Samir Amin für die Zukunft lautet: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Säkularisten gewinnen werden. Aber wann? Vielleicht in 20 Jahren statt in 50, aber ich glaube nicht, dass es früher passiert.“

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