: Großvater der Turnbewegung
GEBURTSTAG Moabiter Sportverein GutsMuths erinnert an seinen Namensgeber
Fast ein wenig verloren steht er da in der Ecke. Die langen Haare sind adrett nach hinten gekämmt, die Augen hat er ganz aufmerksam in den großen Raum des Sportvereins gerichtet. Hier trifft man sich nach Training und Wettkämpfen an runden Holztischen. Gesellig trinken die Sportler noch ein Bier, essen ein Schnitzel. Johann Christoph Friedrich GutsMuths, dessen Büste im Vereinsheim auf einen Sockel steht, hätte sicher nichts dagegen gehabt. Der große und doch recht unbekannte Pädagoge wurde vor 250 Jahren in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt geboren. Und nebenbei hat er einem vor fast 150 Jahren in Moabit gegründeten Sportverein noch seinen Namen geschenkt: Turn- und Sportverein GutsMuths 1861 Berlin.
„Wir sind stolz, dass wir diesen Namen tragen. Auch wenn kaum einer weiß, wer und was eigentlich dahintersteckt“, sagt der Geschäftsführer des Vereins, Marian Jonczyk. Die meisten der neuen Vereinsmitglieder assoziieren mit GutsMuths Berlin, dass man hier guten Mutes Sport treiben kann. Das ist zwar in dem Klub aus Moabit auch der Fall. Doch mit dem Namen hat das nichts zu tun.
Auch deshalb klärt der Geschäftsführer Jonczyk die Vereinsnovizen immer wieder und gerne auf. GutsMuths war ein Pädagoge, der die Entwicklung der Leibesübungen in Deutschland in der Schule und den Sportvereinen nachhaltig beeinflusste. Denn der Sohn eines Rotgerbers machte Schluss mit der Trennung von Geist und Körper.
GutsMuths, ein Philanthrop und Aufklärer, war der Begründer der ganzheitlichen Erziehung in Deutschland. Er schloss die Leibesübungen ausdrücklich in sein Erziehungskonzept mit ein. GutsMuths war fest überzeugt, „dass es eben die gute Körperbeschaffenheit sey, welche die Verrichtung des Geistes erleichtern und sichern“, so der Reformpädagoge. Dieser Kernsatz der GutsMuths-Philosophie ist in seinem Hauptwerk „Gymnastik für die Jugend“ nachzulesen. Es erschien 1793 und noch einmal in zweiter Auflage 1804. Das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt. Es gab Abschriften, sogar Raubkopien – ein echter Bestseller. „Es ist die erste Systematik und Methodik der schulischen Leibesübungen und enthält eine umfangreiche Sammlung von Übungen“, erklärt die ehemalige Präsidentin des Deutschen Turner-Bundes (DTB), Gertrud Pfister. Vieles davon gilt bis heute. Wer sich im Sportunterricht an Werfen, Schleudern, Leiterklettern, Hüpfen oder Stehen auf einem Bein erfreut, der sollte sich dafür bei GutsMuths bedanken.
Er probierte die von ihm erfundenen Sportspiele auch selber aus. Vor allem an der reformpädagogischen Schule in Schnepfenthal in Thüringen, wo GutsMuths fast fünfzig Jahre Gymnastik, Geografie und Französisch unterrichtete. Sportinteressierte aus der ganzen Welt pilgerten in das kleine thüringische Städtchen, um die wundersamen Leibesübungen des Lehrers zu bestaunen. Auch „Turnvater“ Jahn, der bei seinen ersten öffentlichen Turnübungen im Berliner Volkspark Hasenheide (1811) auf die Vorleistungen des Pädagogen zurückgriff. Für viele gilt GutsMuths deshalb als der „Großvater“ der deutschen Turn- und Sportbewegung.
Im Jahr 1861 gründeten angesehene Bürger Moabits den Turnverein zu Ehren von GutsMuths. Heute treiben bei GutsMuths Berlin an der Wullenweberstraße rund 2.250 Mitglieder Breiten- und Freizeitsport. Turnen wollen allerdings nur noch die älteren Vereinsmitglieder. National bekannt wurde der Klub 1977, als GutsMuths Berlin Deutscher Meister im Frauenhandball wurde und sich in der Folge noch bis in das Jahr 2000 in der Bundesliga halten konnte. „Das hat den Namen GutsMuths in Berlin und Westdeutschland vielleicht ein wenig bekannter gemacht“, erinnert sich der 57-jährige Marian Jonczyk. Er selbst schätzt den Vereinsnamen. „Es ist ein schöner, interessanter Name für unseren Sportverein“, findet der ehemalige Lehrer. Doch mehr Sponsoren habe das dem Klub auch nicht gebracht.TORSTEN HASELBAUER
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