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„Geiselhaft“ für Schmerzkranke

Schmerztherapeuten laufen Sturm gegen die neue Gebührenordnung. Sie führe dazu, dass Schmerzpatienten künftig nicht mehr angemessen versorgt werden können, behaupten sie. Doch tatsächlich geht es nur um die eigenen Vorteile

Kein Arzt soll außerdem mehr als 300 Patienten im Quartal behandeln

VON STEPHANUS PARMANN

Es dreht sich wieder einmal alles um den schnöden Mammon. In der aktuellen Diskussion um die neue Gebührenordnung für Schmerztherapie (EBM 2000 plus) scheinen die schmerztherapeutischen Verbände weniger das Wohl ihrer Patienten als die Geldbörsen ihrer Mitglieder im Visier zu haben.

Für die Patienten jedenfalls gibt es Fortschritte. Denn seit April des Jahres hat jeder chronisch Schmerzkranke, unabhängig von seiner Kassenzugehörigkeit, das Recht auf eine schmerztherapeutische Versorgung. Möglich macht dies die „Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie“ . Bisher war dieses Recht ausschließlich Versicherten der Ersatzkassen zugebilligt, wobei der Leistungsumfang je nach Kasse und Region schwankte.

Doch die Schmerztherapeuten werfen der Kassenärztlichen Vereinigung Heuchelei vor, wenn sie in der Öffentlichkeit verkünde, sie habe bundesweit die Schmerztherapie eingeführt. Sie sagen, die Schmerztherapie sei gefährdet, weil die nun vertraglich beschriebenen und zugesicherten Leistungen nicht ausreichend vergütet werden.

Die Lobbyisten befürchten also Einkommenseinbußen der Ärzte um 30 Prozent. Um das Schlimmste für die Mediziner abzuwenden, fahren die Verbände eine Medienkampagne, die ihresgleichen sucht.

„Es sollte aber den Schmerzkranken als solchen endlich wirklich sauer aufstoßen, dass sie wieder einmal quasi in Geiselhaft genommen werden sollen, damit Schmerztherapeuten auf ihrem Rücken ihre Einkommensziele durchsetzen“, schimpft der Vorsitzende der Deutschen Schmerzhilfe, Rüdiger Fabian.

Die neue Gebührenordnung sieht vor, Schmerztherapien auf zwei Jahren zu befristen. Danach soll die Kassenärztliche Vereinigung (KBV) prüfen, ob die Therapie noch weitergeführt werden muss. Kein Arzt soll außerdem mehr als 300 Patienten im Quartal (Fallzahlenpauschale) behandeln.

Die Verbände der Schmerztherapeuten malen nun den Teufel an die Wand. Pünktlich zum Schmerztag 2005 in Frankfurt blies die „Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie“ (DGS) zum Angriff und jagte den Schmerzkranken einen gehörigen Schrecken ein. „Geschieht nichts, wird es ab April 2005 für Millionen von Menschen, die unter Schmerzen leiden, keine qualifizierte Schmerztherapie mehr geben.“

Das Fanal blieb in den Medien nicht ungehört. Eifrig spielte der Präsident der DGS, Gerhard Müller-Schwefe, den Ball weiter. „Die neuen Regelungen werden dazu führen, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte aus der Versorgung von Schmerzpatienten zurückziehen“, drohte er im ZDF-Magazin „Frontal 21“. Möglich sei auch, dass viele Praxen geschlossen würden.

Patientenvertreter Fabian hat zwar kein Verständnis für die Drohungen, sieht ihnen aber dennoch gelassen entgegen. Bisher habe noch keine Praxis dicht gemacht. Was die Schmerztherapie praktizierenden Ärzte bemängeln, wie zum Beispiel die im Leistungskatalog geregelte Begrenzung der Schmerzbehandlung chronisch Kranker auf zwei Jahre, trifft bei Fabian auf Unverständnis.

Das, so sagt er, sei auch bisher so gehandhabt worden. „Grundsätzlich sollte dieser Zeitraum auch ausreichen, um etwas zu bewegen.“ Zudem sei auch nach der neuen Regelung jederzeit ein neuer Schmerztherapie-Ansatz möglich, wenn sich der Gesundheitszustand des Schmerzkranken wieder verschlechtert.

Auch die Klagen über die Fallzahlen versteht Fabian nicht. Gerade das seien die Wünsche derjenigen Schmerztherapeuten gewesen, „die jahrelang mit entsprechender Propaganda ihre Pfründen vor allem gegenüber den Orthopäden verteidigten“.

Angesprochen auf die kritische Stellungnahme Fabians, sagt Dietrich Jungck, Präsident des „Verbandes Deutscher Ärzte für Algesiologie, Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten“, man nehme „zu solchen Äußerungen“ nicht Stellung, da sie für sich selbst sprächen.

Allerdings räumt Fabian bei aller Kritik an den Klagen der Schmerztherapeuten auch Verständnis für ihre Sorgen ein. „Wer hohe Qualität zu ‚Aldi-Konditionen‘ abliefern muss, kann künftig nur existieren, wenn die betriebswirtschaftliche Seite seines Unternehmens optimal geregelt ist.“ Für Ethik, Engagement und Experimentierfreude bleibe in einem auf ökonomische Effizienz statt auf medizinischen Behandlungserfolg ausgerichteten Gesundheitssystem kein Raum mehr.

Während etablierte Ärzte ihre Verdienstchancen durch Selbstzahlerangebote (IGeL), Privatpatienten oder spezielle Diagnosen verbessern können, bleibt dem in Existenznot geratenen Schmerzpatienten weder die Wahl noch die Zeit abzuwägen, wo er sich in Zukunft als „Kunde“ hinwenden soll. Damit er im Dschungel standardisierter bürokratischer Verfahren, Bonussystemen, Budgets und Fallpauschalen nicht untergeht, müsste die Forderung der Deutschen Schmerzhilfe nach Mitgestaltung der Zukunft der Schmerztherapie bei den verantwortlichen Politikern endlich ein Echo finden.

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