Rekord-Kokainfund im Hamburger Hafen: Verhafteter Staatsanwalt bringt Ministerium in Erklärungsnot
In Hannover wurde ein Staatsanwalt verhaftet, der Informationen an ein Kokain-Kartell verkauft haben soll. Er war für spektakuläre Prozesse zuständig.
Im Rechtsausschuss des Landtages musste sich das Justizministerium nun dafür rechtfertigen, den Mann trotz eines frühen Verdachts noch jahrelang im Einsatz gelassen zu haben – ausgerechnet als Chefermittler in zwei der größten Drogenverfahren, die von der Abteilung für Betäubungsmittelkriminalität je bearbeitet wurden.
Die Geschichte ist so irre, dass sie locker für ein paar Drehbücher reicht. An die Öffentlichkeit gelangte sie zum ersten Mal als die Ermittler im Februar 2021 einen der bis dahin größten Drogenfunde im Hamburger Hafen präsentierten: 16 Tonnen Kokain, getarnt als Spachtelmasse aus Paraguay, geschätzter Straßenverkaufswert 448 Millionen Euro.
Aus dem Hamburger Hafen führten Spuren zu einem Netzwerk in Niedersachsen, rund um Hannover. Doch spätestens als die Fahnder mit 31 Haftbefehlen ausrückten, aber nur 19 tatsächlich vollstrecken konnten, ahnte man: Irgendetwas läuft hier schief.
Mit dem Koffer in der Hand angetroffen
Offenbar waren etliche Personen gewarnt worden. Einer der vermuteten Bosse setzte sich nach Dubai ab, andere wurden mit dem Koffer in der Hand angetroffen. Zu viele für einen Zufall.
Schon im Frühjahr 2022 begann man also intern nach einem Maulwurf zu fahnden. Dabei geriet auch der jetzt verhaftete Staatsanwalt ins Visier. Hinweise aus anderen Verfahren, verschlüsselte Chats und Durchsuchungsergebnisse, dazu fragwürdige Banküberweisungen sollen auf ihn hingewiesen haben.
Im November 2022 wurden erstmals seine Privatwohnung und sein Dienstzimmer durchsucht. Doch ein Jahr später wurden die Ermittlungen eingestellt. Von einem „ohnehin schwachen Anfangsverdacht“, der sich nicht habe bestätigen lassen, spricht der Vertreter des Justizministeriums, Thomas Hackner, im Rechtsausschuss.
Bis im Juni 2024 neue entschlüsselte Chats auftauchen, die auf den 39-jährigen hindeuten. Seit dem 29. Oktober sitzt er nun in Untersuchungshaft, verdächtig der Bestechlichkeit in besonders schwerem Fall, des Geheimnisverrates sowie der Strafvereitelung im Amt.
Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war er im Übrigen nicht mehr in der Abteilung für Betäubungsmittelkriminalität aktiv: Er war im Februar 2024 in eine andere Abteilung versetzt worden. „Aus Fürsorgegründen“, wie Hackner erklärt – ein Schwager sitzt wegen ähnlicher Geschäfte in Haft.
Warum blieb der Staatsanwalt?
Für die Opposition weist der Fall trotzdem eine Reihe von Merkwürdigkeiten auf, die in der Ausschusssitzung nicht so recht ausgeräumt werden konnten. Da ist zuoberst das Unverständnis darüber, dass der Mann schon kurz nach der ersten Durchsuchung seiner Wohnung wieder im Gerichtssaal stand – als Ankläger in genau jenem Verfahrungskomplex, in dem er Maulwurf gespielt haben soll.
Das, versucht Hackner zu erläutern, habe mehrere Gründe gehabt. Zum einen komme es häufiger vor, dass Staatsanwälte und Richter der Befangenheit oder Bestechlichkeit beschuldigt werden – ein beliebtes Stilmittel der Konfliktverteidigung; in 90 Prozent der Fälle sei da nichts dran.
Außerdem habe es sich um ein äußerst komplexes Verfahren gehandelt, in dem der als äußerst akribisch und fleißig geltende Kollege nicht einfach so habe ersetzt werden können. Immerhin habe man ihm einen weiteren Staatsanwalt, den damaligen Leiter der Abteilung, an die Seite gestellt.
Für die Verteidigung eines der damals Angeklagten war das trotzdem Grund genug das Urteil infrage zu stellen. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des NDR hatte der 37-jährige Jonas H., genannt „der Spediteur“, ein Fuhrunternehmer aus dem Harz im Herbst 2022 dem LKA erzählt, er halte den Staatsanwalt für den Maulwurf.
Er hoffte wohl auf Strafrabatt. Doch daraus wurde nichts, mit zwölf Jahren Haft erhielt er sogar eine der höchsten Strafen in diesem Prozess. Und das Plädoyer hielt auch in seinem Fall ausgerechnet der beschuldigte Staatsanwalt. Nun wird der Fall Ende November vor dem Bundesgerichtshof in Leipzig erneut verhandelt.
Viele Fragen weiter unbeantwortet
Hätte sich das vermeiden lassen, wenn man den Mann rechtzeitig abgezogen hätte? Warum reichte der „schwache Anfangsverdacht“ gegen ihn sehr wohl für einen Durchsuchungsbefehl, nicht aber dafür, den Mann von seinen Aufgaben zu entbinden? Und hätte man das Ermittlungsverfahren gegen den eigenen Kollegen nicht eigentlich abgeben müssen, statt es von der Zentralstelle für Korruptionsdelikte innerhalb der Staatsanwaltschaft Hannover führen zu lassen?
Auch das, sagt Hackner, habe mit der Komplexität des Verfahrens zu tun. Die damals neue Leiterin der Korruptionsabteilung habe aus ihrer vorherigen Tätigkeit über große Szenekenntnis verfügt und sei deshalb die optimale Aufklärerin in diesem Fall gewesen.
Die Staatsanwaltschaft Hannover habe diese Entscheidung autonom, aber in enger Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft in Celle getroffen. Ab wann die Justizministerin über all diese Verwicklungen im Bilde gewesen ist, sei ihm nicht mehr erinnerlich.
Es gibt allerdings auch viele Detailfragen, die das Justizministerium nur schwer beantworten kann. Immer wieder weisen die beiden Ministeriumsvertreter darauf hin, dass es sich hier um zwei hochkomplexe Ermittlungsverfahren im Drogenbereich handelt, die noch lange nicht abgearbeitet sind und bei denen viel auf dem Spiel steht – vor allem auch die Sicherheit von Zeugen und anderen beteiligten Personen.
Und auch das Verfahren gegen den Staatsanwalt selbst laufe ja noch. Vielleicht wird es dann im Gerichtssaal mehr Antworten geben.
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