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Wahlen in Georgien„Unser Blut kocht“

Die georgische Staatspräsidentin spricht von Wahlmanipulation und ruft die georgische Bevölkerung zu Protesten auf. Es ist fraglich, ob das helfen wird.

Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili (M) spricht nach ihrer Stimmabgabe mit Jour­na­lis­t*in­nen in Tiflis am 27. 10. 2024 Foto: Georgian Presidential Press Office/AP/dpa

Tiflis taz | Eine „Methodik“ im russischen Stil nannte die georgische Staatspräsidentin Salome Zurabischwili den vermeintlichen Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen in Georgien am Wochenende. Am Sonntag hatte sie bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz verkündet, dass sie die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom Samstag nicht anerkennen werde. „Diese Wahlen können nicht anerkannt werden. Das ist dasselbe, als würde man anerkennen, dass Georgien sich Russland unterordnet.“

Laut Zurabischwili sind die Abstimmungsergebnisse völlig zugunsten der Regierungspartei Georgischer Traum (KO) manipuliert worden. Die Ge­or­gie­r*in­nen rief sie dazu auf, sich am Montagabend an Protesten vor dem Parlament zu beteiligen. „Wir sind Zeu­g*in­nen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden, einer neuen Form eines hybriden Krieges gegen unser Volk und unser Land“, sagte sie.

Das Präsidentenamt sei die einzige noch unabhängige Institution in Georgien. Überdies appellierte sie an die internatio­nale Gemeinschaft, die Wahlen ebenfalls nicht anzuerkennen. Jede/r im Ausland müsse verstehen, dass Georgiens Zukunft und die geopolitische Balance in dieser Region zu schützen heiße, an der Seite Georgiens zu stehen und keine Beziehungen zu der illegitimen Regierung des Georgischen Traums aufzunehmen, so die Präsidentin. Am Montag forderten die USA und die EU zwar eine Untersuchung der Wahl, sie gingen aber nicht so weit, das Ergebnis als solches nicht anzuerkennen. Auch die Bundesregierung will den Abschlussbericht der internationalen Wahlbeobachter abwarten.

Zahlreiche Verstöße gegen das Wahlrecht

Gleichzeitig sprach die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von erheblichen Verstößen. Bei der Wahl am Samstag hatte der KO offiziellen Ergebnissen zufolge knapp 54 Prozent der Stimmen bekommen. Darüber hinaus werden vier oppositionelle Gruppierungen, die den Sprung über die Fünfprozenthürde geschafft hatten, im neuen Parlament vertreten sein. Sie kommen zusammen auf 37 Prozent der Stimmen. Ver­tre­te­r*in­nen von internationalen und lokalen Wahlbeobachtungsmissio­nen hatten am Wahltag zahlreiche Manipulationsversuche und Verstöße gegen das Wahlrecht zu Protokoll gegeben.

Weitere Ver­tre­te­r*in­nen der Opposition hatten am Sonntag angekündigt, dass sie das Ergebnis nicht anerkennen werden. Darunter sind das Bündnis Einheit – nationale Bewegung, das auf 10,16 Prozent der Stimmen kam, sowie die Koalition für Veränderungen (11,4 Prozent) und Starkes Georgien (8,8 Prozent).

Dass die Präsidentin klar und deutlich Position für die Opposition bezieht, kommt nicht überraschend. Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 hatte noch der KO ihre Kandidatur unterstützt. Spätestens mit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 kam es jedoch zunehmend zu Differenzen zwischen Zurabischwili und dem KO. Im September 2023 initiierte die Regierung ein Amtsenthebungsverfahren gegen Zurabischwili, da sie ohne deren Genehmigung zu Staatsbesuchen ins Ausland gereist war. Das Verfahren scheiterte.

Im Mai 2024 legte Zurabischwili ein Veto gegen das sogenannte Agentengesetz zur Kontrolle der Zivilgesellschaft ein. Am 7. Oktober 2024 kündigte Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili die Einleitung eines erneuten Amtsenthebungsverfahrens gegen Zurabischwili an, da sie mit ihren unautorisierten Auslandsbesuchen „kontinuierlich gegen die Verfassung verstoße“. Ende dieses Jahres läuft ihre Amtszeit aus. Das nächste Staatsoberhaupt wird nicht mehr direkt, sondern vom Parlament und lokalen Volksvertretungen gewählt. Ob Zurasbischwii noch einmal antritt, ist unklar.

„Unser Blut kocht“

Gegen 18.30 Uhr Ortszeit haben sich bereits hunderte von Menschen vor dem Parlamentsgebäude versammelt. Der ­georgische Politologe Gia Nodia ist jedoch skeptisch, ob Proteste in der gegenwärtigen Situation überhaupt etwas bewirken können. „Demonstra­tionen wird es geben. Aber mit Massenprotesten, die zu greifbaren politischen Ergebnisse führen, rechne ich nicht“, zitiert ihn der russischsprachige Dienst der BBC.

Arnold Stepanyan von der Nichtregierungsorganisation „Bewegung für ein multinationales Georgien“ (PMMG), die sich für die Rechte von ethnischen Minderheiten in Georgien einsetzt, schließt nicht aus, dass es bei den Protesten zu gewaltsamen Zusammenstößen kommen könnte. „Unser Blut kocht. Wir können uns nicht zurück halten, Entscheidungen werden hier emotional getroffen“, sagt er. „Und dann kann alles passieren.“

Während die Protestaktion in Tiflis beginnt, soll auch der ­ungarische Premierminister Viktor Orbán mit einigen seiner Minister in der georgischen Hauptstadt landen. Ungarn hält derzeit die EU-Ratspräsidentschafts inne. Orbáns Besuch wird als Provokation bewertet. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell betonte am Montag: „Was auch immer Herr Orban während seines Besuchs sagt, er vertritt nicht die Europäische Union.“

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9 Kommentare

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  • 6. Januar jetzt mit EU-Nato- Unterstützung?

  • Die Frau waere glaubwuerdiger, wenn sie mit ihren Vorwuerfen zum Wahlbetrug bis nach der Wahl gewartet haette.

    Das Transparenzgesetz zur Einmischung auslaendischer Kraefte ist nur deshalb ein Problem, weil es sich nicht ausschliesslich gegen Russland und China richtet, sondern auch die USA und die EU trifft.

  • Gruselig. Man bekommt so ein Venezuela-Gefühl. Erinnert ist man auch an die damalige Situation in Rumänien, als der erste Präsident Iliescu Bergarbeiter mit falschen Angaben gegen Studenten rekruierte.



    Ich beschäftige mich ein ganzes Leben mit den neuen Demokratien im Osten, bin bei Georgien aber ratlos. Als einziges fällt mir ein, dass die EU deutlich robuster in Georgien auftreten muss und aktiv die Zivilgesellschaft dort stärkt. Es ist klar, dass es bei dem einen Gesetz gegen ausländische Einmischung nicht bleiben wird. Das haben Putin und Orbán vorgemacht.



    Vielleicht kann man aus der Geschichte lernen. Wie stärkte damals die EU die wackelige Demokratie in Rumänien? Es war damals nicht ausgemacht, dass diese in die Autokratie abgleitet.

    • @rakader:

      Nun, zu ausländischen Agenten: Die USA haben genau solch ein Gesetz. de.wikipedia.org/w...s_Registration_Act



      Nun, vielleicht muss die EU auch mal akzeptieren, dass Demokratie auch heißen kann, dass die Leute anders wählen als wir das für richtig halten. Ich war entsetzt über die Wiederwahl von George W. Bush oder die Wahl von Trump. Aber das ist Demokratie.



      Ich las vor Kurzem, Georgiens Agrarexporte gehen v.a. nach Russland. Vielleicht sind den Georgiern diese Dinge wichtiger als Geostrategie. Es ist ein relativ zu uns armes Land, warum sollten die nicht primär Wählen nach der Frage: "Was macht mich ein bisschen weniger arm?".

      • @Kartöfellchen:

        Wenn Sie jemals in Georgien waren und mit Georgiern gesprochen hätten, wüssten Sie, dass es extrem, wirklich ganz extrem unwahrscheinlich ist, dass sich eine Mehrheit der Wähler dort für eine Annäherung an Russland und eine Abkehr vom Westen aussprechen würde.

        • @Suryo:

          Es geht nicht um Verurteilungen. Nach dem georgischen Gesetz ist noch niemand verurteilt worden. Einfach die Idee sagen zu müssen "Mein Geld kommt aus dem Ausland" ist, finde ich, ein Prinzip der Transparenz. Wenn diese Transparenz für die USA recht ist, kann sie für Georgien nur billig sein. Das zum FARA. Warum sollte ich nicht wissen "NGO x wird auf Moskau/Berlin/Washington/Peking" finanziert?



          Nun, wie ich sagte: Ich glaube, dass es für viele Georgier abseits der Großstädte oder der westlichen Diaspora (die Sie dann vielleicht kennen) vielleicht einfach nicht so relevant ist. Vielleicht wollen die Ruhe, Frieden und ein bisschen mehr Wohlstand. Die Angstkampagne zum Ukrainekrieg scheint ja verfangen zu haben.



          Und so wie ich den "Georgischen Traum" sehe, ist er eher neutralistisch. Dieses "Jemand ist pro russisch oder pro westlich" ist eher eine westliche fixe Idee.

          • @Kartöfellchen:

            Sie relativieren und verbreiten hier russische Propaganda durch Gleichsetzungen.



            Ich kann im Bereich der Demokratieentwicklung in Moldau und der Ukraine auf langjährige Erfahrungen zurückgreifen. Die ganzen investigativen Portale, die dort in den vergangenen Jahren die Korruption zurückgedrängt haben und diese Länder mehr der EU angenähert haben, werden aus dem Ausland finanziert. In diesen Ländern spricht man von defekten Mediensystemen, weil von Oligarchen gesteuert; das ist selbst in Rumänien noch der Fall. Aberin Rumänien hat sich durch die Aufdeckung von Skandalen eine Zivilgesellschaft entwickelt, getragen von der jungen Bevölkerung, die in einem freiheitlichen System ohne Seilschaften ihre Zukunft sieht. In der Ukraine und Moldau ist das ungleich zäher und absolut notwendig. Georgien ist hier noch etwas rückständiger.



            Das Gesetz vor diesem Hintergrund schönzureden, ist nichts anderes als russische Machtstrukturen zu verbergen. Oder glauben Sie, dass der georgische Traum seine Mittelflüsse aus Russland offenlegt?

      • @Kartöfellchen:

        In den USA wurden seit den 1930er Jahren gerade einmal sieben Personen nach FARA angeklagt, nur ein einziges mal gab es eine Verurteilung.

        Die Gleichsetzung dieses Gesetzes mit dem russischen ist pure russische Propaganda.

        Wenn Sie sich näher informieren möchten, warum und wie sich die Gesetze faktisch massiv unterscheiden, ist hier eine Quelle:

        www.bundestag.de/r...51-22-pdf-data.pdf

        Auszug:

        "... in der russischen Propaganda wurde Kritik am russischen Gesetz über ausländische Agenten mit dem Verweis auf den FARA abgewiesen: das Gesetz sei quasi nichts als die russische Entsprechung des FARA. Dass dies tatsächlich nicht so ist, zeigt Michail Bushuev in einem Beitrag für die Deutsche Welle vom November 2017: „Was "ausländischer Agent" in den USA und Russland bedeutet“. Tatsächlich wurde in der Geschichte des FARA, der seinerzeit zur Abwehr von nationalsozialistischer Propaganda aus Deutschland verabschiedet wurde, nur sieben Gerichtsverfahren eröffnet, wovon nur in einem einzigen ein Urteil gesprochen wurde. Eine FARA-Registrierung zieht keine



        Einschränkungen der Tätigkeit der registrierten Person nach sich."

        • @Suryo:

          Und weiter:

          "Bericht der Venedig-Kommission des Europarates von 2019 über die



          Finanzierung von Vereinen wird zu FARA unter anderem gesagt: „Das Gesetz betrifft primär die



          Aktivitäten von Lobbyisten und Öffentlichkeitsarbeitern, die im Auftrag einer ausländischen



          Regierung tätig sind. Das Gesetz wurde über die Zeit durch Ergänzungsgesetze immer weiter



          eingeschränkt, zum Teil wegen Entscheidungen der amerikanischen Gerichte, und es erfordert



          ein sehr hohes Maß an Abhängigkeit zwischen der ausländischen Entität und dem Agenten.“56



          Der beschränkte Anwendungsbereich des Gesetzes, die empirisch belegbar schwache



          Durchsetzung und die judikative Kontrolle des Gesetzes machen deutlich, dass FARA dem



          russischen Gesetz über „ausländische Agenten“, das ja selbst beim geringfügigsten geldwerten



          Vorteil greift, allenfalls bei der oberflächlichsten Betrachtung gleicht."