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Deutsche WohnenWenn es windet, wackeln die Lampen

Seit die Deutsche Wohnen die Verwaltung eines Hauses in Reinickendorf übernommen hat, gerät es in den kalkulierten Verfall. Bewohnerinnen berichten.

Ausblick auf das Zwillingshochhaus der Blunckstraße 10 und über den Norden Berlins Foto: Christoph Mayer

Berlin taz | Nasrin Parsa lehnt am Geländer ihres Balkons und blickt auf die sich allmählich gelb färbenden Baumkronen hinab. Ihre Wohnung im zwölften Stock der Blunckstraße 10 im Bezirk Reinickendorf eröffnet ihr einen Blick auf den Norden Berlins und bis ins weite Umland.

„Einfach war es hier noch nie“, sagt sie mit fast gleichmütiger Stimme. Doch inzwischen sei das Leben in dem Mietshaus unerträglich geworden. Seitdem das Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen 2023 die GSW-Immobilien AG abgelöst hat und die Verwaltung übernommen hat, hätten sich die Wohnbedingungen rapide verschlechtert, erklärt Parsa.

Parsa ist Exilantin aus dem Iran. In Frankfurt am Main studierte sie Soziologie, dann kam sie nach Berlin, wo sie heute als Publizistin und Filmregisseurin arbeitet. In den letzten Jahren hat sie viel Geld in die Renovierung ihrer Wohnung investiert und sich ein freundliches Zuhause geschaffen. Ihr Wohnzimmer zieren zwei Perserteppiche, von der Decke hängt ein Glasperlenleuchter, ein großer Schreibtisch steht vor einem Fenster, durch das das Licht den Raum flutet.

Heute haben sich fünf Frauen aus der Nachbarschaft bei Parsa versammelt. Es gibt Kaffee und Gebäck, doch nach einer gemütlichen Kaffeerunde ist niemandem zumute. Die Nachbarinnen diskutieren über den Zustand des Hauses, in dem sie seit vielen Jahren leben und das ihnen längst kein Gefühl der Sicherheit mehr bietet. Ihre Namen wollen sie nicht nennen, um ihre Anonymität vor dem Vermieter zu schützen.

Die Zustände haben sich stetig verschlechtert

Die meisten der Frauen sind Migrantinnen, haben die deutsche Staatsbürgerschaft und leben seit 25 bis 40 Jahren in Deutschland. Eine von ihnen ist gebürtige Berlinerin, eine andere stammt aus dem Irak. Zwei sind, ebenso wie Parsa, aus dem Iran. Eine von ihnen ist heute mit ihrer Tochter hier. Die junge Zahnärztin wohnt noch bei ihren Eltern und hat von klein auf miterlebt, wie sich die Situation in der Blunckstraße 10 stetig verschlechtert hat. „Vor 15 Jahren hat man sich noch an die Regeln gehalten“, sagt ihre Mutter und fragt vorwurfsvoll: „Warum gibt es die heute nicht mehr?“

Das Hochhaus bietet Platz für knapp 50 Mietparteien: Auf zwölf Etagen verteilen sich jeweils acht Wohnungen mit ein bis vier Zimmern. Die Frauen erzählen von kalten Wohnungen, undichten Fenstern, zertrümmerten Glastüren, verdreckten Fluren und Einbrüchen im Keller. Auch Drogenexzesse im Treppenhaus und Belästigungen durch einen Mitbewohner gehören zum Alltag der Bewohnerinnen und ihrer Familien. Neuerdings, so berichtet eine von ihnen, verkaufe ein gerade erst eingezogener Mieter hinter dem Haus Autos und Motorräder.

Vor allem für die Kinder ist die Situation belastend. Sie sind eingeschüchtert von den nächtlichen Schreien, die durch die Gänge hallen. Die Hausmeisterin habe bei der Verwaltung „dringenden Bedarf nach nächtlicher Sicherheit“ angemeldet, erzählt Parsa. Doch Securitys würden aus Kostengründen abgelehnt. Der Pressesprecher der Deutsche Wohnen, Christoph Metzner, bezog auf eine Anfrage der taz Stellung: „Verstöße gegen die Hausordnung werden von uns verfolgt und mietrechtlich geahndet.“ Die der Deutsche Wohnen bekannten Verursacher seien von dem Unternehmen angeschrieben worden, versichert Metzner weiter.

Die Geschichten der Bewohnerinnen erinnern an Sidos „Block“

Das 1966 erbaute Hochhaus liegt im Ortsteil Wittenau, der an das Märkische Viertel, das in Szenenkreisen als „MV“ abgekürzt wird, angrenzt. 2004 machte der Rapper Sido das „MV“ mit seinem Song „Mein Block“ über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, in dem er von Armut, Gangs und Dealern erzählte.

Daran erinnert in der Blunckstraße auf den ersten Blick nichts. Die Wohngegend wirkt ruhig. Mehrfamilienhäuser sind in luftiger Zeilenbauweise angeordnet, dazwischen Grünflächen. Doch wer die Nummer 10 betritt und die Geschichten der Bewohnerinnen hört, fühlt sich unweigerlich an Sidos „Block“ im Märkischen Viertel erinnert.

Zentraler Schauplatz des Geschehens ist der Aufzug. Hier verdichten sich das Entsetzen und die Not der Bewohner auf anderthalb Quadratmetern. Eigentlich gibt es zwei, doch seit Monaten sei nur noch ein Aufzug in Betrieb, berichtet eine der Nachbarinnen. Und auch der bleibe regelmäßig stecken: „Eine Bewohnerin mit Gehhilfe musste neulich vier Stunden im Aufzug ausharren, bevor sie befreit wurde“, erzählt eine der Frauen. Dann fährt sie fort: Ihr elfjähriger Sohn sei letzte Woche im Aufzug von einem betrunkenen Hausbewohner am Arm gepackt worden. Der Mann würde schon seit Jahren aggressiv in Erscheinung treten; er brülle Nachbarn und Haustiere an. Letzte Woche sei er das erste Mal handgreiflich geworden, berichtet sie besorgt.

Eine andere Bewohnerin ergänzt, der Betrunkene hinterlasse fast täglich Urin im Aufzug. Vor wenigen Tagen habe er die Fahrstuhlknöpfe mit Kot beschmiert. Parsa erläutert, der Mann habe einen Betreuer, der immer wieder nach ihm schaue. Doch eigentlich könne er nicht allein leben, ist sie sich sicher. Sie und ihre Nachbarinnen fürchten, die Situation könnte weiter eskalieren, doch die Hausverwaltung nehme ihre Sorgen nicht ernst. Christoph Metzner von Deutsche Wohnen antwortete auf eine Anfrage der taz, dass dem Unternehmen keine Beschwerden über einen Bewohner bekannt seien, der die Mieter belästige.

Vonovia und Deutsche Wohnen stehen wegen mangelhafter Instandhaltung in der Kritik

Das Haus in der Blunckstraße befindet sich im Eigentum der GSW-Immobilien AG. Sowohl Deutsche Wohnen als auch die GSW gehören zum Vonovia-Konzern. Das Immobilien-Konglomerat stand in den vergangenen Jahren immer wieder unter scharfer Kritik. Einer der Vorwürfe lautet, durch die marktbeherrschende Stellung könnten die Immobilienriesen die Mieten überproportional erhöhen. Die Folge: Das Mietniveau in Berlin steigt stetig. Zahlreiche Berichte belegen zudem die mangelhafte Instandhaltung der von Vonovia und Deutsche Wohnen verwalteten Immobilien. Betroffen davon sind Hunderttausende Mieter in Berlin.

Vor diesem Hintergrund gründete sich 2018 die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Ihr Erfolg: Bei einem Volksbegehren 2021 stimmten 59 Prozent der Berliner Wählerinnen und Wähler dafür, Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen in öffentliches Eigentum zu überführen. Doch der Senat zeigt bislang keine Absichten, das Abstimmungsergebnis umzusetzen und große Immobilienunternehmen zu enteignen.

Die Frauen aus der Blunckstraße 10 erleben derweil am eigenen Leib, was es heißt, in einem Haus des Vonovia-Imperiums zu wohnen. So beklagt Parsa das ständige Rattern des defekten Aufzugs, dessen Lärm bis in ihre Wohnung dringt. Seit Monaten warte sie vergeblich auf eine Reparatur. Auch die Heizung bei ihr funktioniere in diesem Jahr nur unzuverlässig, ergänzt sie. Eine vierköpfige Familie, die im zwölften Stockwerk lebt, sei vorübergehend zu den Großeltern gezogen, weil die Kinder in der kalten Wohnung froren. Christoph Metzner von Deutsche Wohnen antwortete auf taz-Anfrage, dass die Heizungen in den oberen beiden Stockwerken ausgefallen seien. Den Mietern seien kostenfreie Radiatoren angeboten worden, bis der Schaden behoben ist.

Eine der Nachbarinnen berichtet zudem, dass die Fenster in ihrer Wohnung undicht seien. Bei Wind wackelten die Lampen an ihrer Decke. Die Hausverwaltung habe ihr lediglich nahegelegt, Silikon aufzutragen, um das Problem zu beheben. Eine andere Bewohnerin beschwert sich, ein Schaden in ihrem Badezimmer sei schon mehrmals inspiziert und dokumentiert, schlussendlich aber nie repariert worden. Sie sagt, die Dokumentation falle bei der Hausverwaltung nach drei Monaten aus dem System: „Bis dahin fühlt sich aber niemand zuständig“, deshalb müsse sie den Schaden immer wieder neu melden.

Bewohnerinnen wollen Unterstützung

Die Mängelliste in der Blunckstraße 10 scheint aus Sicht der Bewohnerinnen endlos zu sein. Parsa berichtet, dass sie diesbezüglich täglich mehrere Telefonate führt. Auf ihrer Anrufliste stehen das Bezirksamt, die Hausverwaltung, die Hausmeisterin und diverse Handwerksfirmen. Selbst die Bauaufsicht habe sie bereits eingeschaltet – bisher jedoch ohne Erfolg.

Metzner antwortete für die Deutsche Wohnen, der Service des Unternehmens für seine Mieter sei werktags bis 18 Uhr und „in Notfällen sogar an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr“ verfügbar. Parsa und ihre Nachbarinnen haben eine andere Wahrnehmung: nach 30 Minuten in der Warteschlange breche am Telefon regelmäßig die Verbindung ab, beklagen die sechs Frauen.Eine weitere Bewohnerin berichtet, sie habe in den letzten Jahren mehrere Mieterhöhungen erhalten. Dafür erwarte sie auch einen entsprechenden Service und die Erreichbarkeit der Hausverwaltung. Parsa stimmt zu: „Die Hausverwaltung arbeitet, wenn überhaupt, dekorativ, um anschließend die Miete erhöhen zu können.“ Die Wohnkosten stünden in keinem Verhältnis zum schlechten Zustand des Hauses und den vielen Versäumnissen der Hausverwaltung.

2023 erhielten die Mieterinnen indes erstmals Nachzahlungen für ihre Heizkosten. Sie berichten von Beträgen zwischen 300 und 1.800 Euro, die sie für den Winter 2022 nachzahlen sollten. Die Berechnung sei pauschal erfolgt. Die Hausverwaltung behaupte, dass ihr die ausgelesenen Verbrauchsdaten verloren gegangen seien, erklärt eine der Nachbarinnen. Sie möchte gegen die Nachzahlung vorgehen, doch seit Monaten finde sie keinen Anwalt, der den Fall übernehme. Auf Anfrage der taz antwortete Metzner von Deutsche Wohnen: „Aufgrund noch nicht vorliegender Ablesewerte […] erfolgte die Abrechnung für das Jahr 2022 nach Fläche.“ Gemäß Heizkostenverordnung sei dies möglich, sagte er.

Wegen Heizkostenabrechnungen vor Gericht gezogen

Doch eine andere Nachbarin bezweifelt, dass die Abrechnungen korrekt sind: Ihre Wohnung umfasse 100 Quadratmeter, von denen aber nur 70 Quadratmeter als Heizfläche veranschlagt werden dürften. Die Hausverwaltung habe jedoch die Gesamtwohnfläche pauschal in Rechnung gestellt. Ihr Anwalt habe nun schon drei Mal die Abrechnung angefordert, doch eine Reaktion sei ausgeblieben. Der Fall würde deshalb nun vor Gericht verhandelt, berichtet die Mieterin.

Parsa und ihre Nachbarn wollen den Zustand des Hauses nicht akzeptieren. Gemeinsam mit anderen Nachbarn wollen sie sich an die Hausverwaltung wenden, um den Druck zu erhöhen. Denn so wie es jetzt ist, könne es nicht bleiben. So viel ist für die Bewohnerinnen der Blunckstraße klar. Sie erwarten von der Hausverwaltung, dass sie ihrer grundlegenden Verantwortung nachkommt. Dazu gehört die Sauberkeit und Sicherheit des Hauses, die Durchsetzung der Hausordnung und Erreichbarkeit für die Bewohnerinnen. Parsa betont: „Wir wollen bezahlbare und bewohnbare Wohnungen – ein Zuhause, in dem man sich zu Hause fühlen kann.“

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3 Kommentare

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  • "Kalkulierter Verfall" innerhalb eines Jahres? Schöner Unsinn. Und solange es nicht die Mitarbeiterinnen der Deutsche Wohnen sind, die Glastüren zertrümmern, Flure verdecken, ins Treppenhaus kacken, Bewohner belästigen etc. pp. haben die Beschwerdeführerinnen kein Problem mit der Vermietung sondern mit ihren Mitmietern. Aber auf Vermieter ist momentan leichter herumzuhacken...



    Bei allem Verständnis für Berliner Mieter: Nicht alles was einem zustösst ist im Verantwortungsbereich des Vermieters und bei manchen Mietern kann die Miete garnicht hoch genug sein

  • gegen so etwas hilft nur vergesellschaftung

  • Wozu gibt es eigentlich Behörden, die dieses überwachen, prüfen und dann sanktionieren sollten. Aber wie immer keiner da, zu wenige Leute, Sanktionen die nicht mal aus der "Portokasse" bezahlt werden müssen, schrecken halt niemanden ab. Die Leidtragende sind jene Menschen die keinen Umzug können oder wollen....was wir nicht alles möglich machen, damit ein paar Menschen weltweit ein duftes Leben haben können...Da müssen halt Millionen mal zurückstecken können. Die arme, arme Wirtschaft