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Sollte Kunst wirklich nützlich sein?Über allen Zweifel erhaben

Multiple Krisen fördern den Trend zu einer gesellschaftlich engagierten Kunst. Das ZKM in Karlsruhe zeigt, auf welcher Tonlage sich der Diskurs bewegt.

Das Kollektiv CATPC verkauft mit „Balot NFT #140“ das digitale Zertifikat einer zeremoniellen Pende-Figur Foto: © CATPC, 2022

Darf die Kunst noch Rätsel, kunstimmanenter Diskurs oder zum Niederknien schön sein? Sie darf schon, aber die große Bühne gehört derzeit den Engagierten. Schon vor zwei Jahren verkündete der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich, dass die Zeit der autonomen Kunst vorbei sei.

In seiner kürzlich erschienenen Publikation analysiert er nüchtern eine zeitgenössische Kunst, die der Identifikation und dem Empowerment dient, wie es schon zu Zeiten feudaler Herrschaftsverhältnisse üblich war. Heute jedoch soll die Kunst der Aufklärung, dem Kampf für eine bessere Welt gelten.

Wie die Geschichte des 2016 gegründeten Kollektivs CATPC (Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise). Sie könnte das Zeug zu einem modernen Märchen haben. Sie kehrt die koloniale Logik der Ausbeutung um, indem die Aktivisten sich den Mechanismen des westlichen Kunstbetriebs bedienen.

Mit dem Verkauf von NFTs (Non-Fungible Token, ein Kryptowert) bringt CATPC sich wieder in den Besitz des Landes ihrer Vorfahren, das die Firma Unilever vor mehr als hundert Jahren für eine Plantage zur Gewinnung von Palmöl in Besitz nahm. Nach ihrer Stilllegung in den 1990er Jahren ist das Land ausgelaugt und muss rekultiviert werden.

CATPC bei der Biennale von Venedig

Die Idee zu dem Bitcoin-Deal stammt von dem niederländischen Konzeptkünstler Renzo Martens, der jetzt auch auf der Kunstbiennale von Venedig gemeinsam mit CATPC den Niederländischen Pavillon bespielt – das heute britische Unilever war bis 2020 zu großen Anteilen ein niederländisches Unternehmen.

Renzo Martens und CATPC verbinden eine emanzipatorische Bewegung mit historischen Bezügen. Zum Symbol machen sie eine zeremonielle Skulptur der auf dem Plantagengebiet ansässigen Volksgruppe der Pende. Sie wird heute im Virginia Museum of Fine Arts aufbewahrt. Die Pende-Figur zeigt den Kolonialoffizier Maximilian Balot.

Der Legende nach soll Balot 1931 versucht haben, die Männer der Region des heutigen Lu­sanga zur Arbeit auf der Plantage zu zwingen, in dem er eine ihrer Frauen vergewaltigte. Diese archaische Machtdemonstration bezahlte der belgische Offizier mit seinem Leben. Widerstand und Aufruhr waren die Folge. Martens und CATPC bieten 306 Versionen der an den Vorfall erinnernden Figur als NFT an.

Ausstellung im ZKM in Karlsruhe

Das Projekt wird rund um den Globus gefeiert. Und es ist eine von sechs „künstlerischen Schlüsselpositionen“ der Ausstellung „Fellow Travellers. Kunst als Werkzeug, die Welt zu verändern“ im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM).

Das ZKM in Karlsruhe hat seit seiner Gründung 1989 mit seinen prominenten Direktoren – dem Kunsthistoriker Heinrich Klotz und dem Medientheoretiker und Künstler Peter Weibel – im Kunstdiskurs wichtige Akzente gesetzt. Man schaut also hin, was im ZKM passiert. Dessen neuer Direktor, der britische Kurator Alistair Hudson, zeigt nach mehr als einem Jahr Aufwärmphase eine programmatische Schau. Sie steht für die Abkehr vom bisherigen Schwerpunkt Medienkunst: Kunst soll nicht länger Selbstzweck sein, sondern useful, gesellschaftlich nützlich.

Dafür hat er sich mit der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera zusammengetan, Ideengeberin für das Archiv Arte Útil. Bruguera verfolgt dezidiert eine politische Agenda. Vor einigen Jahren protestierte sie auf Kuba mit einer tagelangen Hannah-Arendt-Lesung gegen das repressive kommunistische Regime des Inselstaats, eine Wiederaufführung der Performance Anfang dieses Jahres in Berlin musste allerdings abrupt beendet werden, nachdem sie von einer propalästinensischen Protestgruppe gestürmt wurde.

In einem Video, das in der ZKM-Schau zu sehen ist, konkretisieren Bruguera und der von den Sozialutopien John Ruskins inspirierte ZKM-Chef ihren Kunstbegriff. Im spanischen útil stecke nicht nur der Aspekt des Nützlichen, auch das Wort Werkzeug. Gemeint ist also Kunst als Tool, um verhärtete Strukturen aufzulösen, Missstände zu beheben. „Ethisch und ästhetisch“ solle sie sein, sind sich Hudson und Bruguera einig. Knapp dreihundert Beispiele sind bisher auf der Website Arte Útil gelistet.

Großangelegte Projekte

Alistair Hudson setzt im ZKM auf großangelegte, nachhaltig konzipierte Projekte. Wie der Bitcoin-Deal von CATPC, der bereits in der Kunstwelt international Akzeptanz gefunden hat. Oder das von dem polnischen Kurator Kuba Szreder verantwortete Projekt „Matters of Evidence“.

Es versammelt Initiativen, die faktisch aufklären und mit forensischen Methoden politische oder historische Narrative umkehren wollen. Im Zentrum steht Natalia Romiks Recherche, die Fluchtorte von Juden in Polen nach dem Einmarsch der Deutschen 1939 sichtbar macht.

Die Ausstellung

„Fellow Travelers. Kunst als Werkzeug, die Welt zu verändern“ ZKM Karlsruhe, bis 8. Juni 2025

Ihr Projekt, das schon in Warschau, Szczecin und Frankfurt am Main als Kunst ausgestellt wurde, vereint Archivrecherchen mit Oral History und technologischen Methoden wie 3D-Scanning. Teil der Präsentation sind versilberte Abdrücke von Teilen der authentischen Verstecke. Sie stehen wie bizarre Wächterfiguren vor den Vitrinen, doch eine eigene Präsenz, wie sie eine l’art pour l’art erreichen kann, haben Romiks Objekte nicht.

Auch der brasilianische Architekt Paulo Tavares ist in der Kunstszene kein Unbekannter. Tavares arbeitet seit Jahren an der Dekolonisierung des Architekturbegriffs. Im ZKM sind 3D-Scanning-Visualisierungen zu sehen, die nachweisen, dass das Amazonasgebiet keineswegs unberührte Natur darstellt, sondern durch Indigene kultiviert wurde. Er macht etwa auf seinen Bildern historische Siedlungen sichtbar, die das Volk der Xavante als architektonisches Erbe durch die Unesco anerkennen lassen möchte.

Schwer nachprüfbare Recherchen

Das ist alles ungeheuer spannend und interessant, aber manchmal schwer nachprüfbar. Anfang des Jahres war eine Recherche der in der Kunstszene viel Vertrauen genießenden Gruppe Forensic Architecture zu einem israelischen Angriff in Gaza in die Kritik geraten. Die sich als Künstler verstehenden Mitglieder widmen sich der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen. Forensic Architecture ist dafür kürzlich sogar mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden.

Auch Tavares gehört zu der Organisation. Wenn es um politische Krisen oder sogar den Vorwurf des Völkermords geht, wünscht man sich dann doch eine klare Trennung von Fakten und Kunst zurück.

Trotz der guten Absichten darf man gesellschaftlich motivierter Kunst nicht unkritisch begegnen

Dass viele Künstler gesellschaftlich Einfluss nehmen möchten, ist nicht überraschend. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts hatten die konkrete Einmischung in Politik und Gesellschaft bereits erprobt. Zudem besteht heute in einer internationalen Kunstwelt der Wunsch, sich auf einen globalen Kunstbegriff zu einigen, der jenseits ästhetischer Traditionen steht.

Da irritiert es nicht, wenn Förderer des Netzwerks Arte Útil bereits 2016 in Warschau über ein gemeinsames postartistisches Zeitalter diskutierten. Man fragt sich aber, ob die Idee einer nützlichen Kunst eigentlich bis zu Ende gedacht worden ist. Und ob es nicht einen Missbrauch darstellen kann, wenn sie als Werkzeug für eine mutmaßlich bessere Welt eingesetzt werden soll. Der Bereich der Kunst sollte letztlich ein autonomer Raum bleiben, in dem Themen aller Art verhandelt werden können. Nur so kann die Kunst einigermaßen frei sein.

Gute Absichten reichen nicht

Zumindest darf man gesellschaftlich motivierter Kunst nicht unkritisch begegnen, auch wenn die vielen engagierten Projekte aufgrund ihrer guten Absichten über jeden Zweifel erhaben scheinen. Das hat auch die letzte documenta gezeigt, als unbemerkt antisemitische Bilder ihren Weg in die Ausstellung gefunden haben.

Politischer Aktivismus von Kunstschaffenden, etwa die Forderung von der Gruppe Art Not Genocide Alliance (ANGA), Israel aufgrund des Kriegs in Nahost von der diesjährigen Biennale von Venedig auszuschließen, bedient sich ausschließlich der Mittel des Protests. Das kann man machen, ist aber keine Kunst. Hier zumindest lässt sich eine rote Linie ziehen, um sich in dem unübersichtlich gewordenen Feld künstlerischer Einmischungen noch ein paar letzte Elemente autonomer, freier Kunst zu bewahren.

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