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Ohrfeige für die Vorreiter der Geldkarte für Geflüchtete

Niedersachsen will noch im Dezember die Bezahlkarte einführen und watscht die Kommunen ab, die dabei schon vorgeprescht sind. Das trifft auch Hannover und seinen grünen Oberbürgermeister

Belit Onay (Grüne) kritisiert das Bezahlkartenmodell des Landes als „diskriminierend und ein Hindernis für Integration“ Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Nadine Conti

Nun soll sie also endlich kommen, die Bezahlkarte. Ab Dezember will Niedersachsen sie in den Landesaufnahmestellen ausgeben, ab Januar sollen dann die Kommunen folgen. Mit der Bezahlkarte sollen Geflüchtete ihre Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz künftig auf eine Debitkarte überwiesen bekommen – mit der können sie dann ganz normal bezahlen oder auch bis zu 50 Euro Bargeld an einem Geldautomaten abheben.

Darüber hatte es nicht nur auf Bundesebene und in der Ministerpräsidentenkonferenz lange und zeitweise hässliche Debatten gegeben, sondern auch innerhalb der rot-grünen Koalition in Niedersachsen. Die Grünen halten diese Bargeldgrenze für überflüssig. Viele Flüchtlingsorganisationen sehen darin vor allem eine Schikane.

Einzelne Gerichtsurteile hatten sie zudem in Frage gestellt – weil eben der individuelle Bedarf zu berücksichtigen wäre. Das zeigte ziemlich einleuchtend ein Fall, der vor dem Landessozialgericht in Hamburg verhandelt wurde: Eine schwangere Geflüchtete mit Kleinkind hatte dort erfolgreich eine höhere Bargeldverfügung eingeklagt, weil sie sonst nicht auf den üblichen Secondhand-Basaren Umstands- und Kinderbekleidung kaufen kann.

Auch Niedersachsen hat dies in seiner Erlassregelung nun berücksichtigt – was sich die Grünen gern als ihren Erfolg auf die Fahnen schrei­ben möchten. Auch gegen weitere Einschränkungen hatten sie sich gestemmt: Die Karte soll bundesweit nutzbar sein und nicht nur in bestimmten Regionen. Auch soll es keine Einschränkungen auf bestimmte Waren und Dienstleistungen geben. Online-Einkäufe bleiben möglich.

Einzige Ausnahme: Sogenannte Money-Transfer-Services, die zur Überweisung ins Ausland dienen. Denn das gehörte ja zu den großen Befürchtungen, wenn man den Geflüchteten die volle Verfügungsgewalt über ihre monatlichen Leistungen überlässt: Dass damit Schleuser bezahlt oder die Familie im Heimatland unterstützt wird.

Die möglichen Ausnahmen bei der Bargeldobergrenze bedeuten allerdings auch, dass auf die Kommunen nun doch wieder ein höherer Verwaltungsaufwand zukommt: Denn solche Einzelfallentscheidungen müssen ja bei ihnen beantragt und geprüft werden, Widersprüche bearbeitet werden. Klare Kriterien und Richtlinien gibt es dazu noch nicht, was bedeutet, dass man von der eigentlich angestrebten Einheitlichkeit wieder ein Stück entfernt ist.

Noch komplizierter wird es möglicherweise für die Städte und Landkreise, die der langen Debatte überdrüssig waren und eigene Lösungen angeschafft haben. „Soweit eine Kommune entgegen den bisherigen Empfehlungen des Ministeriums bereits einen Einzelvertrag mit einem Kartenanbieter abgeschlossen hat, gehen die Kosten für eine vorzeitige Vertragsauflösung zu Lasten dieser Kommune“, heißt es in der Pressemitteilung des Innenministeriums.

Das klingt erst einmal nach einer ziemlichen Ohrfeige. Der Gedanke liegt nahe, dass sich das auch gegen den grünen Oberbürgermeister Belit Onay in Hannover richtet, der mit seiner schon im Dezember 2023 eingeführten Socialcard ein ganz anderes Modell verfolgt. Onay hatte stets betont, er betrachte die Karte vor allem als modernes Bezahlmittel, das das Leben aller Beteiligter einfacher machen soll. Sechs bis sieben Mitarbeitende waren zuvor mit der Ausgabe der Verpflichtungsscheine beschäftigt, für die die Leistungsbezieher erst bei der Behörde und dann noch einmal bei der auszahlenden Bank anstehen mussten – und das jeden Monat.

Anders als vom Land vorgesehen, hat Hannover die Bargeldabhebungen nicht beschränkt, weil man eine möglichst diskriminierungsfreie Teilhabe erreichen wollte. Das hätte die Stadt gern beibehalten. Jetzt muss die Stadt möglicherweise ihre rund 400 schon ausgegebenen Karten wieder einkassieren und die vom Land vorgesehenen ausgeben – zumindest bei denjenigen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen.

Allerdings hat die Stadt ihr Kartensystem auch für Sozialleistungsempfänger benutzt, die über kein eigenes Konto verfügen. Wie mit denen nun weiter verfahren werden soll, ist unklar. Möglicherweise muss die Stadt zumindest vorübergehend zwei Kartensysteme parallel führen.

Immerhin: Kosten für die vorzeitige Vertragsauflösung werden wohl nicht fällig, das hatte die Stadt im Vertragswerk sichergestellt, erklärt ein Sprecher. Der von der Stadt ausgewählte Anbieter Publk gehört zu dem Konsortium, das nun für die große Mehrheit der Bundesländer den Zuschlag bekommen hat. Lediglich Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben sich für eine eigene Ausschreibung entschieden.

Auch die Stadt Wolfsburg und die Landkreise Göttingen und Osnabrück hatten schon eigene Bezahlkarten ausgegeben. Wie sich die Vorgaben des Landes hier auswirken, konnten die Kommunen auf Nachfrage der taz nicht so schnell beantworten. Fest steht jedenfalls: Wenn das Land die Einführung eines bestimmten Systems per Erlass fordert, greift das Konnexitätsprinzip: Wer eine Leistung bestellt, muss sie auch bezahlen. Die Kommunen, die vorgeprescht sind, riskieren nun auf bestimmten Kosten sitzen zu bleiben. Aber das wäre in diesem Politikbereich ja auch nicht das erste Mal, wie die kommunalen Spitzenverbände mit Blick auf die Flüchtlingsunterbringung immer wieder beklagen.

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