Volksinitiative für nachhaltiges Bauen: Es muss nicht immer Abriss sein
Mit fast 35.000 Unterschriften zwingt die Volksinitiative „Bauwende für Berlin“ das Parlament, sich mit Alternativen zum Wohnungsneubau zu befassen.
So gesehen ist es kein Wunder, dass bis Mittwoch fast 35.000 Unterschriften für die Volksinitiative „Bauwende für Berlin – ökologisch & sozial“ zusammengekommen sind. Gesammelt hat sie die BürgerInneninitiative Klimaneustart Berlin, bekannt durch den Volksentscheid zur Berliner Klimaneutralität, der 2023 knapp scheiterte.
Die Listen übergaben die AktivistInnen von Klimaneustart Berlin am Mittag dem Präsidium des Abgeordnetenhauses. Vorher gab es eine Kundgebung vor dem Preußischen Landtag, die in einem hochsymbolischen Sketch gipfelte: Menschen mit Kartons, auf die die Unterschriftenzahlen gemalt waren, schlugen fiese Pappkameraden – einen Immobilienhai, einen Bagger und eine dicke CO2-Wolke – in die Flucht.
Ursprünglich sollte die Unterschriftensammlung, die im Mai gestartet war, schon im September abgeschlossen sein. Es habe dann aber doch länger gedauert, eine deutlich größere Zahl als die erforderlichen 20.000 zu erreichen, sagte Klimaneustart-Sprecher Gerrit Naber zur taz. Nicht weil die BürgerInnen der Initiative kritisch gegenüberstehen würden: „Wir mussten selten jemanden überzeugen, es gab von vornherein eine große Zustimmung der Menschen.“ Vielmehr sei es anfangs nicht so einfach gewesen, Sammelnde für das vermeintliche Spezialthema zu motivieren, so Naber.
40.000 leer stehende Wohnungen
Dabei vereint es die Ziele Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit quasi perfekt: Einerseits erzeuge der Bausektor 55 Prozent aller Abfälle in Deutschland und im europäischen Durchschnitt fast 40 Prozent aller CO2-Emissionen, hieß es auf einer Pressekonferenz von Klimaneustart Berlin, andererseits stünden in Berlin geschätzt 40.000 Wohnungen leer – manche, weil die Gebäude stark sanierungsbedürftig seien, andere, weil sie zu spekulativen Zwecken errichtet worden seien.
Nach einer zweiwöchigen Auszählungsphase muss sich das Parlament innerhalb von vier Monaten in einer Anhörung mit den Forderungen der Volksinitiative befassen. Ganz oben auf deren Liste steht das Thema „Bestandsaufnahme“: Nur auf der Basis einer vollständigen Datenlage über den Wohnungsbestand und seiner Nutzung lasse sich beurteilen, ob es im konkreten Fall einen Neubau brauche oder Bestandsgebäude genutzt werden könnten. Ein solches berlinweites Register gebe es aber schlicht nicht.
Seine Organisation werde ständig auf Leerstand hingewiesen, sagte Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins und eine von fünf Vertrauenspersonen der Initiative. Allein in Mitte gebe es seiner Kenntnis nach rund 80 „Geisterhäuser“. Dass es an einem Kataster fehle und das Land „nicht in die Pötte“ komme, weil es auf den Bund warte, sei dramatisch. „Die Bezirke müssen sich mit dem Senat zusammensetzen und einfach mal anfangen“, so Bartels.
Weitere Forderungen der Initiative: Abrissgenehmigungen sollen nur im Ausnahmefall erteilt werden, ein Nutzungsgebot für den Bestand müsse her. Eine Gewerbehalle könne man gut in eine Turnhalle umbauen, so ein Beispiel von Klimaneustart Berlin. Zudem könnten in der Bauordnung CO2-Budgets pro Quadratmeter Nutzfläche verankert werden, die sich am CO2-Budget im Berliner Gebäudesektor orientierten. Das würde es für Investoren attraktiver machen, zu sanieren und umzubauen, statt abzureißen und neu zu bauen.
Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer und ebenfalls Vertrauensperson der Volksinitiative, sagte der taz, viele ArchitektInnen seien diesen Forderungen gegenüber aufgeschlossen – obwohl Neubau natürlich traditionell im Interesse des Berufsstands ist. Keilhacker verwies darauf, dass sich viele Altgebäude – auch DDR-Plattenbauten – gut ertüchtigen und klimaneutral umbauen ließen. Als gelungenes Beispiel nannte sie die Umwandlung eines früheren Schul-Serienbaus aus den 60er Jahren in Friedrichshain zur heutigen Pablo-Neruda-Bezirksbibliothek.
„Neubau ist nicht des Teufels“
Der baupolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Mathias Kollatz, sagte der taz, tatsächlich könne und müsse Leerstand besser kontrolliert werden, die rechtlichen Instrumente, um eine Wiedernutzung zu erzwingen, seien noch unzureichend. Um den Neubau komme Berlin aber nicht herum. „Abriss ist nicht das Mittel der Wahl. Aber Neubau ist nicht des Teufels, wenn es gelingt, deutlich mehr Holzbau zu verwirklichen und dichter zu bauen“, so Kollatz.
Bei landeseigenen Bauvorhaben gebe es schon „große Beispiele für Erhalt und neue Nutzung“: Etwa das Haus der Statistik am Alex und die Senatsbauverwaltung in Wilmersdorf. Allerdings habe sich bei der neuen Nutzung im Bestand „bisher gezeigt, dass die Kosten höher ausfallen als geplant. Daran gilt es zu arbeiten.“
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