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Wahl in BulgarienStabil instabil

Kommentar von Barbara Oertel

Die Bul­ga­r:in­nen sind nicht zu beneiden. Seit vier Jahren werden sie regelmäßig an die Wahlurne gerufen. Aber es ändert sich nichts.

Bojko Borissow, langjähriger Ministerpräsident und korrupter Machenschaften nicht unverdächtig Foto: Stoyan Nenov/reuters

E s ist schon erstaunlich, dass sich immerhin noch 38 Prozent der bulgarischen Wäh­le­r*in­nen dazu aufgerafft haben, bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag ihre Stimme abzugeben. Doch auch dieser Urnengang, der siebte innerhalb von knapp vier Jahren, dürfte für den ärmsten Mitgliedstaat der Europäischen Union leider wieder nicht zum erhofften Befreiungsschlag werden.

Bojko Borissow, langjähriger Ministerpräsident und korrupter Machenschaften nicht unverdächtig, hat mit seiner Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) zwar erneut die meisten Stimmen eingefahren. Doch diese auch in eine stabile Regierungsmehrheit umzumünzen, dürfte mangels williger Koali­tions­partner nicht einfach werden.

Denn das zweitplatzierte prowestliche Reformbündnis aus „Wir setzen die Veränderungen fort“ (PP) und Demokratisches Bulgarien (DB) hat da so seine Vorbehalte. Zu Recht. Stein des Anstoßes ist der Oligarch und Medienmogul Deljan Peewski, den die USA und Großbritannien wegen Korruptionsvorwürfen mit Sanktionen belegt haben. Eine gewisse Nähe zwischen Peewski und Borissow ist unübersehbar. Warum Letzterer nicht endlich die Strippen zieht, ist vielen Bul­ga­r*in­nen ein Rätsel. Sie machen vor allem Peewski für die Dauerkrise verantwortlich.

A propos Borissow: Für ihn kommt eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei Wasraschdane nicht infrage. Diese klare Aussage sowie der Umstand, dass Wasraschdane ihren Stimmenanteil von 14 Prozent nicht steigern konnte, ist hingegen mal eine gute Nachricht.

Unterm Strich bleibt: Die politische Hängepartie dürfte weitergehen – mit allen negativen Konsequenzen. Schon jetzt droht Sofia mehrere Milliarden Euro von der EU an dringend benötigten Coronahilfen zu verlieren. Weitere Zahlungen aus Brüssel verzögern sich, weil Reformen auf sich warten lassen. Das Gleiche gilt für Bulgariens Beitritt zur Eurozone und zum Schengenraum. So lautet das ernüchternde Fazit: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Bul­ga­r*in­nen sind wahrlich nicht zu beneiden.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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1 Kommentar

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  • Zu beneiden sicher nicht, aber vielleicht auch nicht zu bemitleiden, wenn zwei Drittel durch Nicht-Wählen keinen Beitrag zur politischen Verbesserung leisten?!