piwik no script img

Der HausbesuchVon Schildkröten lernen

Die Krankenschwester Jane Mey hadert mit der Ökonomisierung der Pflegeberufe. Unterkriegen lässt sie sich davon jedoch nicht.

Jane Meys Töchter sind allgegenwärtig, auch wenn nicht mehr alle im Haus leben Foto: Stephan Floss

Krankenhäuser sind profitorientierte Unternehmen. Dass das zu nichts Gutem führt, weiß Jane Mey genau.

Draußen: Mit einer Rikscha wartet Meys Ehemann Peter vor dem Freiberger Bahnhof. Während der Fahrt zum Haus der Familie zeigt er den spätmittelalterlichen Kern der früheren Berg- und Silberstadt am Fuße des Erzgebirges. Auf dem Marktplatz hält Mey am Denkmal des einstigen Markgrafen von Meißen, heute salopp „Otto der Reiche“ genannt, und aus dem Glockenturm des Rathauses gegenüber ertönt das Bergmannslied: „Glück auf! Glück auf! Der Steiger kommt“. Weitere fünf Minuten Fahrt sind es bis zum Haus, in dem Jane Mey mit Peter, den gemeinsamen Töchtern und einer Hündin lebt. Davor ein Schild: „Hier war Goethe nie.“

Drinnen: Schon das Schuhregal im Eingangsbereich zeigt, dass hier einige Menschen wohnen. „Dabei sind wir nur noch zu viert“, sagt Jane Mey und lacht. Die älteste Tochter der 51-Jährigen ist ausgezogen, die mittlere ist kurz davor. Nur die Jüngste wird noch eine Weile bleiben. Sie ist 17 und fängt gerade eine Ausbildung an. Über einen begrünten Innenhof geht es zu einem weiteren Haus. Darin befindet sich ein Arbeitszimmer, von den Meys „das Büro“ genannt.

Politik: Peter Mey bringt Kaffee in einer Kanne aus Meißner Porzellan und Freiberger Eierschecke – „Im Gegensatz zur Dresdner ohne Quark“ – zum Tisch. Jane Mey beginnt zu erzählen. Als die Mauer fiel, war sie 16 und lebte noch in ihrer Heimatstadt Karl-Marx-Stadt – heute Chemnitz. Während Peter mit 17 in Freiberg in der Hoffnung auf Reisefreiheit zu den Montagsdemonstrationen ging, hat es Jane bis heute nicht so mit Politik. Mit ihrer mittleren Tochter war sie bei einigen Wahlkampfveranstaltungen, „aber ich verstehe Politik nicht. Sie sagen das eine und machen das andere.“ Mey packt lieber im eigenen Umfeld an. Da, wo sie sieht, was sie bewirkt. Unter anderem engagiert sie sich ehrenamtlich in einem Hospiz: „Erst einmal nur in der Küche.“

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Unbehagen: Schon zu DDR-Zeiten schwamm Jane Mey gern gegen den Strom: „Mit 16 habe ich mich geweigert, zur 1. Mai-Demo zu gehen, weil ich nicht eingesehen habe, wieso.“ Hinzugehen war Pflicht, fernbleiben gewagt. So wie die seitlich rasierten Haare, die sie hatte, ohne sich als Punk zu identifizieren. Bis heute behagt es ihr nicht, sich Gruppierungen anzuschließen.

Argumente: Sie habe zwar einen eigenen Kopf, sagt Mey, feste Meinungen aber kenne sie nicht. „Ich lasse mich mit guten Argumenten auch vom Gegenteil überzeugen.“ Während des Kalten Krieges habe Meinungsbildung so funktioniert, erklärt sie verschmitzt: „Man hat erst Ostfernsehen geguckt, dann Westfernsehen.“ Den Informationen, die gleich waren, ließ sich trauen.

Pflegenotstand: Ein politisches Thema allerdings kennt Mey aus eigener Erfahrung. In den letzten 30 Jahren hat sie erst als Krankenschwester, dann als sogenannte Kodier-Assistentin und zuletzt als Pflegefachkraft gearbeitet. Sie nippt an ihrem Kaffee. Und erzählt von immer größer werdendem Druck durch privatwirtschaftliche Management-Maßnahmen und Personalmangel: „Alle wollen gut versorgt werden. Die Arbeit aber will niemand.“ Um der Jugend den Job schmackhaft zu machen, müssten nicht nur die Löhne steigen: „Es bringt nichts, mehr zu haben, wenn man durch die Arbeit im Sarg liegt.“

Fallpauschalen: 2003 wurde in Deutschland nach australischem Vorbild ein Abrechnungssystem eingeführt, bei dem stationäre Krankenhausbehandlungen über Fallpauschalen abgerechnet werden. Anhand einer Blinddarm-OP erklärt Jane Mey, was das bedeutet. Für die Behandlung werde dem Krankenhaus von den Kassen eine feste Pauschale gezahlt: „Wird der Behandelte nach drei Tagen entlassen, macht das Krankenhaus Gewinn. Ab drei Tagen wird es zum Nullsummenspiel.“ Bei mehr Tagen mache das Krankenhaus minus. „Es sei denn, es findet sich ein weiterer Behandlungsgrund, der eine neue Pauschale einbringt.“ Als Kodier-Assistentin laufe man bei den Visiten mit. „Und sagt: ‚Da gibt es noch was zur Abrechnung.‘ Oder: ‚Wir müssen eigentlich entlassen, die Zeit ist um.‘“

Reform: Als hätte man sie erhört, wurde im Oktober vom Bundestag eine Krankenhausreform verabschiedet, die, vereinfacht gesagt, die Bedeutung der Fallpauschalen deutlich abschwächt. Der Bundesrat muss noch zustimmen. Und Jane Mey? „Ich finde es toll, dass endlich etwas passiert“, sagt sie. Wie sinnvoll die geplanten Maßnahmen sind, wagt sie aber nicht zu beurteilen.

Überstunden: Ihre Ausbildung als Krankenschwester machte sie in einem Krankenhaus. „Dort habe ich Ärger bekommen, dass ich Überstunden mache.“ Dabei seien die nicht vermeidbar gewesen: „Wenn ich im Spätdienst bin und zum Schichtwechsel ein Notfall passiert, lasse ich die Kollegen doch nicht im Stich, sondern versorge den Patienten.“ Jane Mey schüttelt den Kopf. „Die fanden, Schichtende ist Schichtende. Ab da muss die Nachtschicht übernehmen. Alles, um Kosten zu vermeiden.“

Was Jane Meys Lieblingstiere sind, ist eindeutig. Sie sammelt sie in vielen Formen Foto: Stephan Floss

Menschlichkeit: Als sie 1996 als Krankenschwester anfing, habe es noch mehr Personal gegeben: „Da waren wir nachts zu zweit.“ Heute fehle die Zeit für Zwischenmenschliches, „auch mal ein offenes Ohr haben zu können für die Leute“. Dabei helfe die beste Medizin nicht, wenn die Seele nicht mitgesunde. Zeit für ein kurzes Gespräch, meint sie, könne auch präventiv und somit kostensparend wirken. „Oft erfährt man weitere Beschwerden, denen nicht nachgegangen wurde.“

Hintergrund: Schon Meys Mutter war Krankenschwester. Und in der Mitarbeitervertretung. „Dabei wollte ich eigentlich nie in ihre Fußstapfen treten.“ Als sie nach einer Ausbildung zur Weberin nach der Wende noch eine zur Krankenschwester begann, weil sie als Weberin keine Stelle fand, habe sie sich auch eher vorgestellt, in die Entwicklungshilfe zu gehen. Stattdessen landete sie in Freiberg. Und ist dort mittlerweile verwurzelt. „Ich würde aber nicht ausschließen, nochmal mit einem Caravan um die Welt zu reisen.“

Kraftfrage: Zuletzt war sie Pflegefachkraft für einen ambulanten Pflegedienst. „Ich ziehe den Hut vor allen, die den Job lange machen“, sagt Mey. Sie selbst hat gekündigt. „Weil mein Körper einfach signalisiert hat, dass es nicht mehr geht. Mein Blutdruck wurde immer höher.“ Nach einer längeren Auszeit hat sie gerade eine neue Stelle als Pflegedienstleitung in einer Tagespflege angenommen. Von der neuen Stelle erhofft sie sich mehr Zeit für das, worum es ihr eigentlich geht: „Den Menschen zu helfen.“

Auch hier war Goethe nie: die Baustelle eines der zukünftigen Häuser der Meys. Durchaus möglich, dass eine Demenz-WG einzieht Foto: Stephan Floss

Künstliche Intelligenz: Von Entlastung durch KI wie Robotern, die beim Anreichen der Medikamente unterstützen, hält sie wenig. „Also, ich lasse mich später nicht von Robotern füttern!“ Auch als Unterstützung in der Verwaltung sieht sie KI kritisch: „Mit jedem neuen Programm entstehen Probleme, die von Menschen behoben werden müssen.“

Schildkröten: In einem Abstellraum im Erdgeschoss steht eine Vitrine. Darin: eine Sammlung von Schildkröten, Geschenke von Familie und Freunden. Schildkröten sind Jane Meys Lieblingstiere. „Die sind zwar oft langsam, aber auch sehr ausdauernd. Und können sich in ihren Panzer zurückziehen.“ Auch eine silberne Schildkröte findet sich in der Sammlung, deren Panzer sich öffnen lässt. Es ist eine Pillenschatulle. Jane Mey öffnet sie und zeigt ein Paar Ringe aus Holz: „Die hat mir Peter zu unserer hölzernen Hochzeit geschenkt.“ Kennengelernt haben sich die beiden auf der Abendschule. Nächstes Jahr feiern sie ihre silberne.

Zukunft: Seit ein paar Jahren bauen die Meys ein neues Haus, „weil unseres nicht altersgerecht ist“. Sie zeigen die Baustelle, nicht weit von ihrem jetzigen Grundstück entfernt. Eigentlich sind es zwei Häuser. Die Wände des als Wohnhaus geplanten Gebäudes sind aus Lehm. Eines der beiden oberen Zimmer haben sie in den letzten Wochen fast fertigbekommen, der Plan sei, zu Weihnachten ins neue Haus zu ziehen: „Welches Weihnachten, ist offen.“ Ebenso, was sie mit dem zweiten Haus machen. „Eine WG mit betreutem Wohnen“, meint Jane Mey. „Oder eine Demenz-WG.“ Denkbar sei vieles: „Hauptsache, ein Ort der Gemeinschaft und des Zusammenkommens.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!