Neues Album der Band Die Nerven: Gegen die Wand
Das Noisrocktrio Die Nerven zelebriert auf seinem Album „Wir waren hier“ die hohe Kunst des Lärms. Ein Übriges tun klaustrophobische Songtexte.
Angst ist kein schönes, sondern vielmehr ein ausgesprochenes Scheißgefühl. Denn Angst macht alles eng und klein. Wenn es im Pop um Angst geht und das gut aussieht und vor allem klingt, dann nur weil diese Drecksempfindung in eine Erzählung oder auch Mythologie von Entfremdung und schickem Verlorensein eingebettet worden ist.
Auf „Wir waren hier“, dem neuen, sechsten Album der ehemals komplett in Stuttgart und heute zu zwei Dritteln in Berlin wohnenden Noiserockband Die Nerven kreisen die Songtexte wieder viel um Angst und verwandte, ungute Gefühle und Stimmungen. Diese werden vermittelt in klaren Sätzen und einfachen Bildern, die isoliert voneinander auch im Poesiealbum eines reizsensiblen und sehr begabten 16-Jährigen mit situationsangemessenen Hang zum Pathos nicht weiter auffallen würden.
„Warum hab ich Angst, aber du nicht?“, oder „Ich schreie lauter als die Wellen / Ich schreie lauter als das Meer“. Auch ein schönes Renitenzlied ist auf dem Album enthalten: „Erhöh die Frequenz / Bau den Druck auf / Bau ihn turmhoch / Alles gut, das Problem bin ich selbst / Ich hab mich nie weniger für eure ganze Scheiße interessiert / Ich will nicht mehr funktionieren“.
Abschied von Gestern
Und ein Abschied von Gestern: „Ein Hoch auf die Jugend / Zum Glück ist sie vorbei“. Die Songtexte mögen sich hingeschrieben zwar etwas unbeholfen lesen, aber der von Album zu Album von den Nerven in der klassischen Triobesetzung Drums, Bass, Gitarre immer traumwandlerischer hergestellte Schalldruck sorgt für Unmittelbarkeit und Überzeugungskraft. Wer es hört, glaubt es sofort.
Die Nerven: „Wir waren hier“ (Glitterhouse/Indigo)
live: 5. 11. 2024 Kulturzentrum Faust, Hannover; 6. 11. 2024 Astra-Kulturhaus, Berlin; 7. 11. 2024 Zeche Carl, Essen, wird fortgesetzt
Die Songtexte wären also wenig ohne die Musik. Die Nerven verfertigen im selbstlosen Zusammenspiel souverän eine massive Wand, wenn auch auf „Wir waren hier“ mit mehr Luft als noch auf dem sehr konzentrierten namenlosen Vorgängeralbum. Die Songs auf dem neuen gehören musikalisch zum Brachialsten, was deutschsprachige Rockmusik seit langer Zeit, mindestens aber seit dem letzten Die-Nerven-Album von 2022, hervorgebracht hat.
Vage und bestimmt zugleich
Alles muss raus, und das mit dieser Mischung aus Vagheit und maximaler Bestimmtheit zugleich, die formvollendete Songs von Rockbands mit latent devianten Identifikationsangebot so anschlussfähig und zwingend werden lässt. Primär geht es, wie gesagt, um Angst und Innendruck, nicht um Wehmut. Melancholie und eine eher in sich gekehrte Verzweiflung gehören eher zum Singer-Songwritertum.
Das von Die Nerven in die Welt gestellte Gemenge aus Unbehagen und Depressivität bei gleichzeitigem Umsichschlagen und Schreien, auf dass das alles jetzt bald mal aufhört, in dem Wissen, dass ein Ende nicht in Sicht ist, gehört eher zum Postpunkuniversum.
Bei der Erwähnung des Wortes „Postpunk“ soll Nerven-Sänger und -Gitarrist Max Rieger schon mal aufgesprungen sein und die Interviewsituation zeternd verlassen haben, erzählt man sich. An ihm habituelle Rigorosität der Jugend bei gleichzeitiger performativer Arroganz lässt sich jedenfalls auch heute noch beobachten.
Zum Beispiel im Gespräch mit dem Musikmagazin Visions, auf die Frage nach Verbindungen zwischen Die Nerven heute und der klassischen Postpunkmusik von Anfang der 1980er, erwiderte Rieger: „Die Achtziger, da klingt leider alles scheiße.“
Auf die Haltung kommt's an
Das ist natürlich apodiktischer Quatsch, viele Postpunkalben aus den Achtzigern klingen ganz hervorragend. Aber es geht im Pop ja weniger um sachlich korrekte Aussagen, sondern mehr um ein performatives Zelebrieren von Haltungen, die einem als Hörerin und Hörer mit Erfolg suggerieren, dass ein Leben nur mit dieser Musik im Gepäck intensiver, schneller und tiefer wird.
Man kann sich gegen die bloße Erwähnung von Ahnen wehren, aber es gibt sie trotzdem. Jung sein, aber so singen, als hätte man alles schon erlebt und sei quasi elternlos, ist nicht die einzige Verbindung zwischen den Nerven und Postpunk. Dazu muss man hierzulande die Düsseldorfer Fehlfarben zählen.
Die Band um Sänger Peter Hein kreiselte auf ihrem stilbildenden Album „Monarchie & Alltag“ (1980) ebenfalls um Gefühle wie Entfremdung und Angst und verabschiedete sich in den Songs von der eigenen Jugend. „Wir tanzten bis zum Ende / Zum Herzschlag der besten Musik“, aber „Das war vor Jahren“. Einer der ersten, wenn man so will, Nerven-Hits, „Angst“, nahm dann auch den Faden von den Fehlfarben direkt wieder auf.
Skeletthafte Sätze
„Bleib im Hellen, bleib im Licht / Auf der Straße, da kriegen sie dich nicht / Der Schweiß klebt mir das Hemd an den Rücken / Wir sind Verbrecher, die sich nach Kippen bücken“, hieß es bei den Fehlfarben 1980. Peter Hein dachte damals noch eher in Bildern, in „Angst“ von Die Nerven waren es vor zehn Jahren skeletthafte Sätze, die Hörerinnen und Hörern viel Raum für Eigenes lassen: „Ich habe Angst vor Begebenheiten / Ängste vor Situationen / Obwohl ich weiß, dass diese Ängste / Sich überhaupt nicht lohnen“.
Wichtig, was die Angst angeht, aber auch jedes andere mit ihr verwandte oder von ihr ableitbare Gefühl das hier sich artikulieren soll: Es geht in den Songs der Nerven um den möglichst direkten Ausdruck, nicht um Beschreibungen oder Brechungen. Dass die Musik nicht in doofe Authentizitätsversprechen zurückkippt, liegt dann aber daran, dass das Ich, welches hier spricht, ständig von den eigenen Brüchen spricht. In der eigentlich immer recht einfachen, rustikalen Metaphorik von Nerven-Sänger Max Rieger formuliert: „Mein Leben eine Wunde / Offen und rot“. Oder schöner: „Das Glas zerbricht und ich gleich mit“.
Musik, Angst und Therapie
Musik, Angst und Therapie: Gerade den expressionswütigeren Formen von Rockmusik wurde früher oft kathartisches Potenzial unterstellt. Die Nerven forderten so was auf dem Album „Fake“: „Lass alles los / Gib alles frei“. Man hört die Musik, wird von ihr durchgeschüttelt und kommt irgendwie gereinigt aus ihr raus. Man weiß inzwischen, dass das so nicht funktioniert.
Trotzdem ist eine Rockmusik, die von Scheißgefühlen handelt, strukturell therapeutisch und damit auch die neueste Runde Angstmusik der „letzten Rockband Europas“ (Die Nerven über Die Nerven). Was natürlich in einem Text über Musik nicht diagnostisch gemeint ist, sondern als Versuch sie zu beschreiben. Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn können wir uns als glückliche Menschen vorstellen oder auch nicht, beziehungsweise es ist egal.
Der Gesang bildet den Versuch der Versprachlichung dessen, was das Subjekt umtreibt oder auch quält, die Soundwand aus Schall und Druck bildet die tragende Struktur oder auch die Couch, auf der das alles sein und hörbar werden darf. Die Struktur bleibt lebendig, auch wenn das Subjekt immer wieder singend darauf insistiert, dass es kurz davor ist, der Welt abhanden zu kommen („Und ich fühl mich so fremd / Weiß nicht, wie man es nennt“). Nur Therapeutin oder Therapeut sind abwesend.
Auch deswegen ist das, was man aus diesen Liedern über Weltschmerz und Nicht-mehr-Funktionieren-Wollen ziehen kann, Bestätigung und Erbauung und eben keine Disruption, sondern Stabilisierung dessen, was man eh schon ist. „Schau, meine Hände, sie zittern / Nur Ergebnis meiner Irritation / Hältst kurz inne und hörst mir zu / Doch was du hörst, das wusstest du schon“.
Ein ausgesprochen tolles Album.
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