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Haushaltsmisere in BerlinWer jetzt kein Geld hat, druckt sich keines mehr

Berlin ist samt seiner Regierung in den Herbstferien. Wann endlich Klarheit über die 3-Milliarden-Einsparungen im Haushalt herrscht, ist völlig offen.

Da mag das Herbstlaub noch so idyllisch leuchten: Im Landeshaushalt sieht es aller Ferienstimmung zum Trotz trister denn je aus Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin taz | Die Bildungssenatorin, die es ja mit den Ferien am besten wissen muss, zumal als langjährige Lehrerin, hat es Journalisten in schon vorige Woche angekündigt: Der Senat werde in dieser Woche nicht tagen, weshalb es auch keine Pressekonferenz gebe, war von Katharina Günther-Wünsch (CDU) zu hören. Und was der Senat denn stattdessen mache? „Arbeiten natürlich“.

Das war in sich etwas widersprüchlich, denn dann könnte der Senat ja auch zu seiner wöchentlichen Sitzung zusammen kommen und nachher in einer Pressekonferenz davon berichten. Doch es sind Herbstferien, und das scheint sich nicht nur in noch größeren Touristengruppen am Checkpoint Charlie oder in Berlins Museen bemerkbar zu machen, sondern eben auch in der Landespolitik. Da tagt dann der Senat nur alle zwei Wochen.

Für die Grünen geht das gar nicht. „Wir befinden uns in der schwersten Haushaltskrise seit dem Bankenskandal, da ist keine Zeit für Herbstferien im Senat“, ärgert sich da beispielsweise Werner Graf, ihr Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Der erste Teil seiner Feststellung ist Fakt – höchstens die Einschränkung „seit dem Bankenskandal“ ist zu hinterfragen. Denn damals ging es vorwiegend um Risikoabschirmung. Gekürzt wurde damals weit weniger als nun ansteht.

Die taz hat es mehrfach beschrieben, aber es ist derart viel einzusparen oder anderweitig an Geld heranzuholen, dass eine Wiederholung lohnt: Rund 40 Milliarden Euro Ausgaben umfasst der Landeshaushalt für 2025, den das Abgeordnetenhaus zusammen mit dem aktuellen Haushalt bereits im vergangenen Dezember beschlossen hat, drei Milliarden davon sind auf der Einnahmeseite nicht gedeckt.

Hohe zusätzliche Einnahmen sind nicht in Sicht

Das ist rein rechnerisch etwa jeder dreizehnte Euro – doch die Lage ist schlimmer. Bei über einem Drittel des Haushalts lässt sich nämlich nichts kürzen, weil das Geld fest und kurzfristig nicht änderbar für Gehaltszahlungen oder Mieten gebunden ist. Was bedeutet: Die drei Milliarden sind in dem einzusparen, was danach übrig bleibt.

Eine Alternative sind mehr Einnahmen über höhere Steuern wie etwa die City Tax für Touristen. Insgesamt kommen dabei aber nach bisherigen Überlegungen nicht mehr als 150 Millionen Euro zusammen – also nur 5 Prozent der besagten 3 Milliarden. Ein dritter, rechtlich teils noch umstrittener Weg sind Kredite, die mit einer Ausnahmebegründung die Schuldenbremse umgehen.

Warum Politiker ohnehin oft davor zurückschrecken, Steuern oder Abgaben zu erhöhen, ist am Dienstag wieder klar geworden: SPD-Landeschef Martin Hikel hatte sich als erster führender Kopf in der schwarz-roten Koalition getraut, beim Anwohnerparken – mit 10,20 Euro jährlich im Städtevergleich fast umsonst – eine konkrete Erhöhung zu benennen und von „50 oder 100 Euro“ gesprochen. Prompt lautete die Überschrift der Bild-Zeitung: „SPD-Chefs wollen Autofahrer abkassieren.“ Das liest keine Partei gern, die ein soziales Profil pflegt. Angeblich denkt die Koalition auch an 300 Euro pro Jahr.

Berlin jeden Tag ein bisschen besser zu machen, hatte sich Kai Wegner (CDU) vorgenommen, als er Ende April 2023 Regierender Bürgermeister wurde. Die wacklige Berliner Finanzlage, auf die nicht lange vorher noch der dann ausgeschiedene Finanzsenator Daniel Wesener hingewiesen hatte, muss er da ausgeblendet haben.

Es könnte Dezember werden

Vielleicht schwebte dem neuen Regierungschef eine Durchschlagskraft vor, wie sie viele Herbst-Touristen gerade in der Claude-Monet-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie erleben können. Da ist unter anderem der Plan zu sehen, nach dem Berlins Partnerstadt Paris ab Mitte des 19. Jahrhundert radikal umgebaut wurde. Was allerdings mutmaßlich auch nur deshalb möglich war, weil Frankreich damals noch Monarchie war und Kaiser Napoleon III. bis 1870 so etwas einfach mal anordnen konnte.

Was aber nicht heißen muss, dass es ohne solche Macht in Berlin mit den Milliarden-Sparberatungen nicht vorangehen könnte. Weniger Geld als gedacht zu haben und nicht durchregieren zu können, verhindert ja nicht, das Wenige irgendwie zu ordnen. Was aber nicht wie angekündigt passiert. Bis Ende September wollte die schwarz-rote Koalition eigentlich ihre Karten auf den Tisch gelegt und geklärt haben, wer wo wie viel einzusparen hat.

Im Hauptausschuss hieß es dann vor 14 Tagen wahlweise „in einem Monat“ – das wäre spätestens der 9. November – oder ganz allgemein „im November“. Inzwischen aber munkelt mancher auch schon von Dezember. Zumal Regierungschef Kai Wegner Mitte November knapp eine Woche mit einer Wirtschaftsdelegation in den USA weilen wird.

Dieses Verzögern hat nicht nur zur Folge, dass alle, die wegen des vom Parlament beschlossenen Haushalts für 2025 fest mit Geld gerechnet haben, um ihre Existenz fürchten und schnellstmöglich Klarheit wünschen. Es hat zudem, so berichten Betroffene, praktische Auswirkungen auch bei denen, bei denen am Ende gar nicht gekürzt wird: Die am 1. Oktober bekannt gewordene vorläufige Sperre sämtlicher Geldzusagen für 2025 macht es allen Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und sonstigen Organisationen unmöglich, ihren Beschäftigten ihren Job fest über den 31. Dezember hinaus zuzusagen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband und andere etwa befürchten, dass Mitarbeiter sich deshalb weg bewerben und wichtige Strukturen einbrechen.

Giffey Gesangsfoto als Ersatznachricht

Mehr Klarheit wird es also auch in den Herbstferien kaum geben. Diese Nachrichtenlücke muss ich füllen, könnte sich Wirtschaftssenatorin und Vize-Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) gedacht haben. Denn die hat via Instagram ein Foto veröffentlicht, wie es bislang von ihr nicht bekannt war: als Country-Sängerin mit Cowboy-Hut und offenem Haar statt der sonstigen Hochsteck-Frisur. Das Bild soll aus dem Jahr 2011 stammen, den John-Denver-Klassiker „Country Roads“ will sie dabei gesungen haben.

Das ist also die Lage in den Herbstferien: Eine Landesregierung, die das größte Spar-oder-sonstwie-Geldbeschaffungsprogramm jüngerer Zeiten vor sich herschiebt. Dazu eine grüne Oppositionsführung, die sich redlich müht, aber im Kopf längst bei der – wenn es dazu kommt – Wahl ihres Kanzlerkandidaten Robert Habeck Mitte November sein dürfte. Ganz zu schweigen von der Linkspartei. Der kommen gerade Leute abhanden, die gerade noch ihre Aushängeschilder gewesen sind. Nach einem langjährigen Fraktionschef und einem Ex-Bezirksbürgermeister erklärten am Mittwoch unter anderem drei frühere Senatsmitglieder ihren Austritt, darunter Klaus Lederer, 2023 noch Spitzenkandidat.

Das macht nicht wirklich Hoffnung für das, was nach den Herbstferien kommt. Und das, obwohl Sonne, Temperatur und idyllische Laubfärbung gerade alles für eine Gemütsaufhellung tun. Wie soll das erst werden, wenn Berlin in dem sonst ab dieser Zeit üblichen Schmuddelgrau versinkt?

Bei all dem könnte es sein, dass dem einen oder anderen urlaubenden Senatsmitglied in diesen Ferientagen eine Zeile aus jenem Lied einfällt, das Kollegin Giffey 2011 im Country-Outfit gesungen haben will: „Drivin' down the road, I get a feelin′ that I should have been home yesterday, yesterday“.

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1 Kommentar

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  • Sehr geehrter Herr Alberti,

    Ihren Beitrag kann jeder ausreichend versorgte Mensch mit Genuss lesen, jeder anderen besorgten Person muss danach schlecht werden.

    Aber wieso sollte es dem Land anders ergehen als dem Bund? Die Politik tut auf allen Ebenen so, als quöllen nicht überall aus den Ecken Krisen hervor.

    Die progressiven Kräfte zersetzen sich aus Prinzip, die Rechten schlingern.

    Es ist wirklich zum ko.zen.