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EZB erhöht LeitzinsGören-Alarm bei der Europäischen Zentralbank

EZB- Chefin Lagarde rief ihren eigenen Brat Summer aus und senkt den Leitzins. Was das für alle Gören bedeutet.

Christine Lagarde bei der Pressekonferenz im Oktober Foto: Nik Erik Neubauer/imago

D er „Brat Summer“ war so ansteckend, selbst die Girlies in Frankfurts Glaskästen konnten sich nicht davor verstecken. Göre Christine Lagarde, tagsüber Chefin der Europäischen Zen­tralbank, rief angelehnt an den Social-Media-Trend im Juni ihren eigenen Brat Summer aus. Sie ignorierte die große Schwester und die eigentliche Vorreiterin, die Zentralbank in den USA, und machte ihr Ding: Sie senkte den Leitzins. Mit Finanzpolitik verhält es sich ein wenig wie mit den Trends auf Social Media: Bestimmte Eras kommen und gehen.

Auf Social Media sind Eras, zu deutsch Ären, bestimmte Gefühle und Lebensweisen, die uns Influencer vorleben. Weltstar Taylor Swift konzipierte zuletzt nach diesem Konzept ihre komplette Tour. Die Eras stellten ihre verschiedenen Alben dar. Auf Social Media trendete zuletzt das brave, aufgeräumte, in einer beigen Wohnung lebende Clean Girl und das Gegenmodell „der „Gören-Summer“, den die britische Sängerin Charli XCX mit ihrem Album Brat ausrief. Scheiß auf die anderen, ich mach mein Ding, war das Motto der vergangenen heißen Monate.

Scheiß drauf, das dachte sich wohl auch Lagarde als ihre Era der Zinssenkungen im Juli begann. Wie so oft sind Lagarde und ihre Finance Bros eher langweilige Persönlichkeiten: In der Welt der Finanzpolitik gibt es im Grunde nur drei Eras (keine acht wie bei Taylor): senken, erhöhen, nichts tun.

Nach einer langen Era der hohen Zinsen, setzte Lagarde im Juli einen neuen Trend und begann den Leitzins zu senken. Und ähnlich wie der Brat Summer, der uns mit einer neuen Album Version mit vielen neuen Künst­le­r*in­nen als Features in den Herbst begleitet, bleibt auch die neue Zins-Era der EZB an unserer Seite. Vergangenen Woche senkte sie den Leitzins erneut. Aber was heißt das?

Alle gönnen sich richtig

Zentralbanken haben im Grunde ein Ziel: stabile Preise. Damit Essen, Klamotten und Spaßgetränke nicht plötzlich enorm teuer werden, sollen die Preise nur langsam ansteigen. Ein Instrument dafür der Leitzins. Er bestimmt, wie viel die Sparkasse Paderborn-Detmold-Höxter, die Volksbank Allgäu Oberschwaben und alle anderen an Zinsen erhalten, wenn sie unser Geld bei der EZB lagern.

Damit versucht die EZB das Kauf- und Sparverhalten von Normalos und Unternehmen zu lenken. Denn die Banken geben den Zins an ihre eigenen Kun­d*in­nen weiter: Ist der Leitzins niedrig, sind Kredite günstiger und es lohnt sich weniger zu sparen. Verkürzt bedeutet das: Alle gönnen sich richtig. Ist der Leitzins hoch, dann lohnt es sich, sein Geld bei der Bank zu lassen, denn man bekommt mehr Zinsen. Kredite sind dafür echt teuer.

Das hat zur Folge, dass Unternehmen weniger investieren und zum Beispiel keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Und die neue Couch, die man auf Pump kaufen will, muss auch warten.

Es ist gut, dass sich die Finanzgören für eine Zinssenkung entschieden haben, denn nach einer langen Zeit von hohen Preisen, geht es der Wirtschaft, besonders in Deutschland, gar nicht gut. Günstigere Kredite können ein Anreiz für einen Aufschwung sein. Doch die EZB war lange zu zögerlich und hätte schon früher und auch stärker ihre Gören-Attitude ausleben müssen. Für Lagarde und Co kann die Brat Era gern noch weitergehen, der Rest von uns sollte sich lieber mal ein anderes Album reinziehen.

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Anastasia Zejneli
Autorin
Jahrgang 1999, studierte Wirtschaftspolitischen Journalismus in Dortmund und gründete ein Kulturmagazin für das Ruhrgebiet. War Taz-Volontärin und schreibt in der Kolumne "Economy, bitch" über Popkultur und Wirtschaft.
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1 Kommentar

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  • Das ist eine der wichtigsten Weichenstellungen die wir in europäischer Beschäftigungspolitik gesehen haben. Der Weg ist richtig. Es sollte aber noch niedriger sein.

    Die FDP wird eine erneute Niedrigzinsphase übrigens für Austerity nutzen wollen, dabei wäre eine Umschuldung und Investitionsphase dann umso mehr angebracht.