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Die Vielfalt der Welt retten

Die Ziele sind klar, die Wege allerdings offen. Im kolumbianischen Cali verhandeln 196 Staaten konkrete Maßnahmen zum Schutz der Natur – und wer dafür wie viel bezahlt

Gefährdete Tierwelt: Dieser Buckelwal wurde Mitte Oktober in Kapstadt angepült Foto: ap/dpa

Von Heike Holdinghausen

Naturschützer fast aller Länder der Welt vereinigen sich dieser Tage und reisen nach Kolumbien. Das Land im Norden Südamerikas, umspült sowohl vom Atlantik als auch vom Pazifik, ist eines der artenreichsten der Erde. Mehr als die Hälfte des Staatsgebiets bedecken Wälder, darunter Amazonaswald, der noch nie industriell genutzt wurde.

Der biologische Reichtum Kolumbiens ist riesig, doch er ist bedroht. Illegaler Holzeinschlag zerstört die Wälder und die Lebensmodelle indigener Gemeinschaften, die seit Jahrtausenden im Einklang mit ihnen leben. Intensive Landwirtschaft wie im Zuckerrohranbau verschmutzt Böden, Luft und Wasser – und bedroht damit die Vielfalt des Lebens. Wie kann sie gerettet werden?

Antworten auf diese Frage sucht die COP 16, die große Weltnaturkonferenz der Vereinten Nationen. Am Montag beginnen die zweiwöchigen Verhandlungen des 16. Treffens der Vertragsstaaten des UN-Abkommens über die biologische Vielfalt (CBD) in der Millionenstadt Cali. Es geht um viel: Wie finden Pflanzen und Tiere in Schutzgebieten gute Lebensbedingungen? Wie beenden wir die Überfischung der Meere, wie die Überdüngung der Böden? Wie halten wir Moore feucht und Flüsse sauber – und wie misst und kontrolliert man all das?

„Das wichtigste ist, dass auf dieser COP eindeutige und gut messbare Indikatoren beschlossen werden“, sagt Axel Paulsch vom Institut für Biodiversität, einem Forschungsnetzwerk zur biologischen Vielfalt, „denn die Ziele, die uns sagen, wo wir hinmüssen, die haben wir ja schon.“

An Zielen mangelt es dem Naturschutz tatsächlich nicht. Auf der COP 15 vor zwei Jahren in Montreal hatten die Vertragsstaaten plakativ das 30x30-Ziel beschlossen. Demnach sollen bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Erde unter Schutz gestellt werden. Die Belastungen durch Pestizide sollen sich bis 2030 halbieren. Außerdem sollen Länder des Globalen Südens ab 2025 jährlich mit 20 Milliarden Dollar darin unterstützt werden, diese Ziele zu erreichen; bis 2030 sollen sogar insgesamt 200 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Mitteln zusammenkommen. Das klang und klingt gut, weshalb die COP von Montreal unter chinesischer Präsidentschaft als großer Erfolg für den Naturschutz gewertet wurde. Noch heute schwärmen viele Beteiligte vom „Geist von Montreal“.

Nur hatten sich die 196 Vertragsstaaten der CBD zwar darauf einigen können, wo sie hinwollen – aber nicht, wie. Und erst recht nicht hatten sie Mechanismen beschlossen, mit denen sie sich gegenseitig auf ihrem Weg kontrollieren und diejenigen Länder ermahnen und bestrafen könnten, die auf halber Strecke stehen bleiben oder gar nicht erst loslaufen würden. Auch wo genau das Geld herkommen sollte, um die Pläne im besonders artenreichen Süden zu finanzieren, legten sie nicht fest. Das wollten sie später erledigen – in Cali.

„Ökologische Prozesse dauern lange“, sagt der Geoökologe Paulsch, „natürlich werden wir nicht bis 2030 weltweit funktionierende Schutzgebiete haben.“ Aber die Staaten müssten sich jetzt auf den Weg machen mit klaren Regeln, Messinstrumenten und genügend Geld, damit sie überhaupt in die Nähe dieses Ziels kommen.

„Das wird eine Umsetzungs-COP“, sagt folgerichtig Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Sie ist Mitglied der großen deutschen Delegation, die als Teil der EU-Delegation nach Kolumbien reist mit Ver­tre­ter:in­nen aus dem Auswärtigen Amt und den Ministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Landwirtschaft und Forschung. Die Bundesregierung scheint der CBD offenbar Bedeutung beizumessen, ist aber selbst ein Beispiel dafür, wo es hakt.

So hatten sich die Staaten in Montreal verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren konkrete Pläne zum Schutz der Natur in der Heimat vorzulegen. Lemke wollte entsprechend mit einer starken Biodiversitätssstrategie nach Kolumbien reisen, mit konkreten Maßnahmen plus Finanzierung. Doch der Entwurf der Strategie fand wenig Gnade bei Umweltverbänden und steckt nun auch noch in der Abstimmung zwischen den Ministerien fest. Wie bei so vielen Projekten ziehen auch hier die von der FDP geführten Ressorts nicht mit.

Also kommt Lemke mit leeren Händen. Alleine ist sie damit allerdings nicht. Nur wenige Länder haben bislang Umsetzungsstrategien und Aktionspläne vorgelegt, darunter Australien, China, Kanada und Mexiko.

Noch heute schwärmen viele Beteiligte vom „Geist von Montreal“ der Vorgängerkonferenz

Auch bei den Finanzen sieht es mager aus. Laut dem „$20 Billion Tracker“ der Naturschutzorganisation WWF sind bislang erst 8,2 Milliarden der 20 Milliarden Dollar zusammengekommen, die bis zum nächsten Jahr den Ländern des Südens zur Verfügung stehen sollten. Den kleinsten Anteil daran hat bislang der private Sektor, auf den die Staaten in Montreal große Hoffnungen gesetzt hatten und der bislang von naturschädlichen Subventionen profitiert. Laut dem Internationalen Institut für nachhaltige Entwicklung zahlen die Staaten jährlich Subventionen in Höhe von einer Billion Dollar, die dazu beitragen, biologische Vielfalt zu vernichten. In Deutschland wären das etwa Steuererleichterungen für Dienstwagen, die zu großen Autos und damit schmutziger Mobilität führen.

Und so fahren viele Naturschützer skeptisch, aber auch irgendwie trotzig-optimistisch nach Cali. „Die Probleme, die wir haben, sind superkomplex“, sagt Heike Vesper, Vorständin beim WWF, „aber wir haben auch komplexe Lösungen.“ Politische Strategien, Technologien, Geld – alles sei da. Wäre also schön, wenn nach dem utopischen Geist von Montreal im Urwald vom Cali eine große Portion Pragmatismus lauerte.

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