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Augenscheinlich will eine deutliche Mehrheit der Tunesier keine Zivilgesellschaft. Wer sind wir, dass wir ihnen unser politisches und gesellschaftliches Ideal aufdrücken könnten? Ist das nicht genau die kolonialistische Denke, von der man sich heute verabschieden möchte? Oder soll doch wieder an unserem Wesen die Welt genesen.
"Mittlerweile reicht ein kritischer Kommentar in sozialen Medien, um im Gefängnis zu landen."
"In Tunis demonstrieren Menschen gegen den Präsidenten Kais Saied, hier vor der Wahl. Die Proteste halten auch nach der Wahl an "
Werden die Demonstrierenden auch "im Gefängnis landen"? Man muss zuerst den Abschnitt "Uhren scheinen rückwärts zu laufen" im Link "es der Zivilgesellschaft an den Kragen." lesen, um es halbwegs zu verstehen.
Die Warnung kommt - so fürchte ich - zu spät. Offenbar wanzt sich Mensch, sobald Krisen auftreten, an faschistische, rechtsextreme, autokatische Rattenfänger heran, in der falschen Hoffnung auf bequeme Lösungen. Aus der Geschichte zu lernen scheint out zu sein. Mit Hurra in die nächste Katastrophe.
Steht doch auch im Artikel, dass der Herr für "Europa" in der Flüchtlingsabwehr von Nutzen ist. Dies und die Tatsache, dass er gegenwärtig recht fest im Sattel sitzt, genügt (leider) als Erklärung, warum der reiche(re) Norden da kaum Veränderungsbedarf sieht. Mit dem Dauerherrscher in Libyen hatte man sich ja zwischendurch auch wieder arrangiert, bis 2011...
Schwacher Artikel.
Wenn man das liest - ohne jede Einordnung des Ergebnisses - könnte man meinen, die Tunesier wollten das mit überbordender Mehrheit so.
Nur gab es schlicht keinen ernsthaften Oppositionskandidaten mehr, den man hätte wählen können (im besten Fall nicht zugelassen - wenn auch nur ansatzweise "gefährlich": im Knast).
Die einzige Möglichkeit einer "Gegenstimme" war, zu Hause zu bleiben. Und das ist auch das, was mehr als die Hälfte derer, die bei der letzten Präsidentschaftswahl noch abgestimmt haben, gemacht haben. Die Wahlbeteiligung lag gerade mal bei 27 komme irgendwas.
Auf Augenhöhe wäre im Eigeninteresse. Das gilt für alle Seiten. Wer glaubt, mit faulen Kompromissen oder alten Vorwürfen die Zukunft erfolgreich gestalten zu können, wird letztendlich scheitern.
Den letzten Absatz habe ich nicht verstanden.
Eine Nordafrikastrategie, die nicht auf Eigennutz, sondern auf Augenhöhe basiert.
???
Sind altruistische Beziehungen zwischen nicht paternalistisch und deshalb gerade nicht auf Augenhöhe?
Wären die deutsch-französischen Beziehungen auf Augenhöhe, wenn die Bundesregierung gegenüber Macron die französische Zivilgesellschaft verteidigen würde?
Für mich klingt dieser letzte Absatz eigentlich mehr nach einer Forderung nach mehr altruistischem Paternalismus.
Also eher das Gegenteil von Augenhöhe.
Zum 75. Jahrestag der DDR-Gründung tritt der einstige SED-Chef Egon Krenz in Berlin auf. Für Russland findet er lobende Worte, für die Ampel nicht.
Wahl in Tunesien: Autoritärer Präsident räumt ab
Tunesiens Präsident Kais Saied ist mit 89 Prozent wiedergewählt. Er geht massiv gegen die Zivilgesellschaft vor. Das sollte Europa eine Warnung sein.
In Tunis demonstrieren Menschen gegen den Präsideten Kais Saied, hier vor der Wahl. Die Proteste halten auch nach der Wahl an Foto: Anis Mili/AP/dpa
Obwohl die Auszählung der Präsidentschaftswahlen gerade erst begonnen hatte, feierten die Anhänger:innen von Kais Saied am Sonntagabend schon mit Autokorsos dessen Sieg. Das private Meinungsforschungsinstitut Sigma sagte dem Präsidenten einen Erdrutschsieg mit 89 Prozent der Stimmen voraus. Mehr als 2019, als der Politikquereinsteiger mit einer Kampagne gegen politische Parteien und die korrupte Elite einen Überraschungssieg holte.
Die Lebensumstände der Tunesier:innen haben sich seitdem weiter verschlechtert. Statt die seit der Revolution grassierende Vetternwirtschaft zu bekämpfen, krempelte er die Verfassung und das Parlament auf eigene Faust in ein basisdemokratisches Modell um, mit allumfassender Macht des Präsidenten. Für die wirtschaftliche Misere machte er die politischen Parteien, die aus Westafrika und dem Sudan kommenden Migranten und dunkle Mächte verantwortlich.
Nun geht es der Zivilgesellschaft an den Kragen. In der Woche vor den Wahlen erhielten Bürgerrechtsinitiativen Besuch von Beamt:innen, wegen Zahlungen von Partner:innen aus dem Ausland. „Ihr werdet von denen in Zukunft nichts mehr hören“, versprach Saied am Sonntag inmitten der Menge auf der Flaniermeile Avenue du Bourguiba in Tunis. Damit waren diejenigen gemeint, die mit ihrem Engagement für Meinungsfreiheit und Kompromissbereitschaft mit dem politischen Gegner 2015 den Friedensnobelpreis erhielten und Tunesien zum Vorbild in der arabischen Welt und dem globalen Süden gemacht hatten. Mittlerweile reicht ein kritischer Kommentar in sozialen Medien, um im Gefängnis zu landen.
Brüssel und Berlin hatten die Bürgerrechtler:innen zehn Jahre lang wohlwollend unterstützt, lässt sie nun aber im Stich. Unter anderem, weil Europa die Haltung Tunesiens zum Krieg in Gaza missfällt und Saied die Überfahrt von Migrant:innen gestoppt hat. Das undurchsichtige Migrationsabkommen der EU-Kommission mit Tunesien und die enge Partnerschaft von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni mit Saied sind ein weiterer Verrat Europas an den eigenen Werten. Und politisch kurzsichtig.
Wahlbeobachter:innen aus Venezuela und Russland, Saieds enge Partnerschaft mit China und der BRICS-Allianz, verliert massiv an Einfluss, weil Saied den Ländern keine ernsthafte Partnerschaft angeboten hat. Sondern lediglich Programme zum Fernhalten der Migrant:innen. Doch Saied und die anderen neuen Autokraten werden die Migrant:innen zukünftig nach Belieben als Druckmittel einsetzen, um ihre Macht zu zementieren.
Die Wiederwahl von Kais Saied sollte ein Weckruf für Berlin und Brüssel sein, endlich eine Nordafrika-Strategie einzuschlagen, die nicht auf Eigennutz, sondern auf Augenhöhe basiert. Die Verteidigung der um ihre Freiheit fürchtende Zivilgesellschaft wäre ein erster Anfang.
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Zehn Jahre Arabischer Frühling
Kommentar von
Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
Themen
Das Dossier
Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.