Historiker über Universitäten im NS: „Widerstand blieb ein Randphänomen“

Seit Mitte der 1990er erforscht Michael Grüttner, wie sich die Universitäten dem Nationalsozialismus hingaben. In Osnabrück stellt er sein Buch vor.

Junge Menschen in Nazi-Uniformen marschieren mit Hakenkreuz-Fahnen vor dem Hauptgebäude der Kieler Universität.

Aufmarsch des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds vor dem Hauptgebäude der Kieler Universität 1938 Foto: Ferdinand Urbahns/Uni Kiel

taz: Herr Grüttner, „Talar und Hakenkreuz“ ist die erste Gesamtdarstellung der deutschen Universitätsgeschichte im Nationalsozialismus. Liegt das auch daran, dass viele Universitäten sich nach 1945 schwergetan haben, ihre NS-Geschichte aufzuarbeiten?

Michael Grüttner: Ja, da herrschte die diskrete Rücksichtnahme auf die eigenen Lehrer, die im Dritten Reich aktiv gewesen waren und denen man persönlich oft viel zu verdanken hatte. Und da war die Sorge um das Prestige der Universität. Die Beschäftigung mit einem solchen Thema konnte leicht zum Karrierekiller werden.

taz: Aber wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, alles offenzulegen? Irgendwann fällt einem das ja auf die Füße.

Grüttner: Das ist das Denken der Gegenwart. Bis in die 1980er Jahre dominierte das Narrativ, dass sich die Universitäten damals in einer wissenschaftsfeindlichen Atmosphäre lediglich unpolitischer Forschung widmeten, mit nur äußerlichen Anpassungsleistungen an das Regime.

taz: Spielen die „Talare“ des Titels auf das Transparent „Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren“ an, das 1967 in der Universität Hamburg, kurz bevor Sie dort studiert haben, an die Vereinnahmung in der Nazi-Zeit erinnert hatte?

Grüttner: Das Transparent spielt nur insofern eine Rolle, als den meisten Menschen ohne diese Aktion vermutlich gar nicht bewusst wäre, dass Talare die traditionelle Amtstracht von Professoren waren – und es teils heute noch sind. Im Übrigen ist offen, ob das Transparent tatsächlich auf den Nationalsozialismus anspielte oder nur allgemein die Fortdauer veralteter Strukturen anprangern wollte.

taz: Ihre Studie erstreckt sich von der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtübernahme an den Universitäten bis zur Entnazifizierung. Wie war es, dabei auf Ihre eigene Familiengeschichte zu stoßen?

Grüttner: Aus Erzählungen meiner Mutter wusste ich, dass sie als Studierende in Hamburg 1944 von einer Kommilitonin denunziert und anschließend inhaftiert worden war, weil sie nach dem 20. Juli das Scheitern des Attentats auf Hitler bedauert hatte. Aber dann plötzlich diese Denunziation in einer Akte zu finden, das war doch ein ganz unerwarteter Augenblick. Viele Unterlagen sind ja im Krieg oder bei Kriegsende verbrannt worden.

taz: Was aber hat das Wissenschaftssystem so anfällig gemacht für diese ideologische Vereinnahmung?

Grüttner: Die Universitäten standen schon der Weimarer Republik distanziert oder ablehnend gegenüber. Die meisten Professoren hatten sich stark mit dem Kaiserreich identifiziert und sahen in ihr nur das traurige Resultat eines verlorenen Krieges. Ein weiterer Grund ist die massive Überfüllungskrise in den akademischen Berufen. Viele Studierende und Nachwuchswissenschaftler hatten Zukunftspanik und wandten sich dem Nationalsozialismus auch deshalb zu, weil sie hofften, dass sich ihre Karrierechancen im Dritten Reich verbessern würden. Der NS-Studentenbund war bereits 1931/32 die stärkste Kraft unter den Studierenden.

taz: Auch heute herrscht viel Zukunftspanik.

Grüttner: Es gibt Ähnlichkeiten mit der Vergangenheit, aber auch grundlegende Unterschiede: Die Universitäten sind in der Gegenwart deutlich gefestigter gegenüber rechtsradikalen Kräften. Wer heute sein Studium beendet, ist nicht mit einer Überfüllungskrise konfrontiert, sondern profitiert vielfach vom Fachkräftemangel.

taz: Welchen Widerstand gab es an den Universitäten gegen die NS-Ideologie?

Grüttner: Es gab Unzufriedenheit. Mehrere Hochschullehrer haben sich an linken Widerstandsgruppen beteiligt, und eine etwas größere Zahl nationalkonservativer Professoren war im Umfeld des 20. Juli aktiv. Aber Widerstand definiert als Handeln zum Sturz des Regimes blieb ein absolutes Randphänomen.

Michael Grüttner: „Talar und Hakenkreuz“, München, Beck 2024, 704 S., 44 Euro, E-Book 33,99 Euro

Lesung: Mi., 9. 10., 19.30 Uhr, Zimeliensaal Universitäts­bibliothek Alte Münze, Osnabrück

taz: Was hat Sie während der Recherche am meisten beeindruckt?

Grüttner: Die Gnadenlosigkeit, mit der Studierende und junge Nachwuchswissenschaftler 1933/34 gegen Professoren gehetzt haben, weil sie Juden waren oder Kritik geäußert hatten. Da wurden regelrechte Treibjagden inszeniert, die oft mit der Entlassung der Betroffenen endeten, manchmal mit deren Suizid.

taz: „Talar und Hakenkreuz“ hat sicher viele Jahre erfordert.

Grüttner: Es ist das Buch, an dem ich am längsten und intensivsten gearbeitet habe. Die Arbeit begann Mitte der 1990er, wurde aber immer wieder durch andere größere Publikationsprojekte und einen längeren Auslandsaufenthalt unterbrochen.

taz: Sind Sie bei den Universitäten auf Widerstände gestoßen?

Grüttner: Anfangs hatte ich manchmal Probleme mit Archivaren, die mir die Einsicht in Akten verweigern wollten. Mittlerweile ist für Historikerinnen und Historiker in staatlichen Archiven aber alles Relevante zugänglich.

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