Nach der Wahl in Österreich: Kopieren ist nicht ratsam
Österreich rückt mit den Nationalratswahlen nach rechts. Deutschland droht bei der Bundestagswahl im Herbst 2025 ein ähnliches Schicksal.
M an sagt, in Österreich passiert alles zehn Jahre später. Wenn es um den Machtgewinn der Rechten geht, ist Österreich Deutschland allerdings ein paar Jahre voraus. Es empfiehlt sich also, in Deutschland aus den österreichischen Fehlern zu lernen, solange es noch geht.
In Österreich hat die Nationalratswahl Ende September alles andere als Klarheit gebracht. Die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) ist mit 28,8 Prozent zwar Wahlgewinnerin, nur will mit ihr bislang niemand regieren. Lediglich die zweitplatzierte Volkspartei (ÖVP, 26,3 Prozent) würde mit ihr koalieren, allerdings unter der Bedingung, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht Teil der Regierung wird. Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass die FPÖ das auch nur in Erwägung zieht. Die ÖVP könnte stattdessen mit den Sozialdemokrat*innen (SPÖ, 21,1 Prozent) koalieren, nur wäre deren Mehrheit mit 92 von 183 Mandaten so knapp, dass ein einziger verschnupfter Abgeordneter reicht, um sie zu verfehlen.
Es muss also eine dritte Koalitionspartnerin her. Dafür stünden die liberalen Neos (9,1 Prozent) oder die Grünen (8,2 Prozent) parat. Doch das ist nur auf den ersten Blick eine praktikable Lösung. Denn ÖVP und Grüne gehen nicht gerade freundschaftlich aus der Noch-Regierung heraus, zuletzt zeigte die ÖVP den Koalitionspartner sogar an, nachdem die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler dem EU-Renaturierungsgesetz gegen den Willen der ÖVP zugestimmt hatte. Inhaltlich wären sich ÖVP und die liberalen Neos ohnehin näher.
Die SPÖ hingegen, die mit dem historisch schlechtesten Bundeswahlergebnis bereits am Boden liegt, könnte durch eine solche Koalition weiter verlieren. Denn die SPÖ wollte sich – bevor sie unter anderem über parteiinterne Querelen gestolpert war – unter Parteichef Andreas Babler ausgerechnet mit Themen profilieren, bei denen mit ÖVP und Neos eher kein Staat zu machen ist: Vermögenssteuer, Mietpreisstopp, Vier-Tage-Woche. Es entsteht eine politische Pattsituation, in der es vorrangig nicht um politische Inhalte geht, sondern um die Verhinderung der FPÖ als Regierungspartei, die kein Geheimnis daraus macht, Säulen der Demokratie – Rechtsstaatlichkeit, wissenschaftliche Evidenz oder die Menschenrechte – nicht achten zu wollen.
Kurz hat die Rechten kopiert
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Zuerst muss man verstehen, dass dieses Wahlergebnis weder eine Überraschung noch ein Rechtsruck ist. Den Rechtsruck gab es in Österreich schon 2017, als Sebastian Kurz die schwarz-konservative ÖVP, die sich für österreichische Verhältnisse als eine Partei der Mitte verstand, zu einer türkisen Partei machte, die deutlich rechts der Mitte stand. Seither ist die Volkspartei in vielen Punkten kaum noch von der FPÖ zu unterscheiden. Was wir heute sehen, sind lediglich Nachwirkungen.
Sebastian Kurz wurde einst als Wunderkind gefeiert, dabei hatte er etwas denkbar Einfallsloses gemacht: die Rechten kopiert. Das führte seine „neue ÖVP“ zwar wieder über die 30-Prozent-Marke, doch die Konsequenzen trägt seitdem das politische Klima im Land: Die ÖVP-Wähler*innen wissen offenbar nicht mehr, wieso sie die Partei noch wählen sollten. Das Kopieren der Rechten scheint langfristig ein Bumerang zu sein. Laut Wahlmotivanalyse war es nicht der FPÖ-Chef Kickl, der die Wähler*innen überzeugte, sondern die Inhalte der Partei, also Rassismus, Anti-LGBTIQ, EU-Skepsis und Verschwörungstheorien. Es stimmt zudem nicht mehr, dass vor allem alte Männer die FPÖ wählen. Mittlerweile sind etwa genauso viele Frauen unter den Zustimmenden.
Mitschuld an diesem Wahlergebnis ist die bröckelnde Medienlandschaft. Einige wenige Medienhäuser stehen unter dem begründetem Verdacht der politischen Einflussnahme. Gleichzeitig sind alle auf Klicks angewiesen, sodass jedes Lüftchen, das einem rechten Politiker entweicht, sofort hochgejazzt wird. Die Rechten treiben den Diskurs vor sich her, es folgen Leitartikel über Wokeness und Gendersternchen. Seit der Coronapandemie ist die FPÖ auf Social Media und Telegram so gut vernetzt, dass man sich autonom der Angstmacherei widmen kann. Politisch gab es in Österreich schon immer ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Heute ist es auch ein Informationsgefälle.
Noch nie einen Geflüchteten aus der Nähe gesehen
So wird in kleinen Gemeinden FPÖ gewählt, weil man überzeugt ist, Migration wäre für ein 83-Seelen-Dorf, in dem gerade der letzte Bäcker schließt, eine existenzielle Bedrohung und in Wien würde es zugehen wie in der Bronx in den 1980er Jahren. Eine geflüchtete Person haben die meisten dabei noch nie aus der Nähe gesehen. Das sind Erzählungen, gegen die man heute nicht mehr so schnell ankommt. Vielleicht muss man das auch gar nicht. Es gibt genug andere Themen, die Wähler*innen stärker belasten als die letzte Schlagzeile von einer Messerstecherei in Wien: der fehlende Bäcker, höhere Lebensmittelpreise, Mieten, fehlende Kinderbetreuung. Sozial- und Wirtschaftspolitik sind meist keine Stärken von Rechtsaußen, eine Koalition aus drei Parteien der sogenannten Mitte sollte das aber hinkriegen. Darüber hinaus wäre es einen Versuch wert, sich als Koalitionspartner*innen fair zu behandeln.
In Österreich stellt sich nun die Frage, ob man die FPÖ nicht wieder regieren lassen müsste. Ob ein „Augen zu und durch“ nicht angebracht wäre. Nur leiden erstens immer die Schwächsten unter rechter Politik, alle anderen haben leicht reden. Und zweitens wartet man hier schon seit 2017 vergeblich darauf, dass sich die Rechten „entzaubern“. Wenn nicht mal die Ibiza-Affäre, die im Mai 2019 zum Bruch der Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ geführt hatte, das schaffte, kann man diese Strategie wohl getrost als gescheitert betrachten.
In Österreich ist es zu spät. Deutschland könnte die Kurve noch kriegen, sofern das Land es versteht, dass die AfD nicht von allein weggehen wird, egal wie sehr man sie imitiert. Ob das gelingt, wird maßgeblich daran liegen, ob die Union die Mitte wiederfindet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen