Fotograf über seinen USA-Bildband: „Ich will wissen, was auf den Straßen los ist“
Der Fotograf Michael Dressel lebt seit Jahrzehnten in den USA. Seinen Blick auf das Land zeigt der Bildband „The End Is Near, Here“.
taz: Herr Dressel, in gut drei Wochen wird in den USA gewählt. Sie haben kürzlich den Bildband „The End Is Near, Here“ veröffentlicht. Für Sie scheint klar, wer gewinnt: Donald Trump.
Michael Dressel: Nein, ich möchte da nicht dran glauben, so ein furchtbarer Nihilist bin ich dann doch nicht. Aber ich bin Realist. Und als Realist sehe ich, dass die Hälfte der Bevölkerung Trump als Kandidaten in Betracht zieht, schon das sagt etwas über den Geisteszustand dieser Nation aus, und der ist höchst beängstigend. Trump ist nur das Symptom für etwas Größeres, für eine Krankheit, die darunter liegt. Er ist das hässliche Geschwür, das man sieht.
Michael Dressel, 66, lebt als freier Fotograf in L. A. und Berlin. Sein Buch „The End is Near, Here“ ist bei Hartmann Books erschienen und kostet 29 Euro.
taz: Sie zeigen auf Ihren Bildern Elend, die Begeisterung für Waffen, den extremen Nationalismus, verödete Landschaften. Viele Figuren haben etwas Fratzenhaftes und Verkommenes.
Dressel: Ich empfinde ein großes Unbehagen darüber, was sich kulturell und politisch zusammenbraut. Diesem Gefühl wollte ich Ausdruck verleihen. Ich wollte fünf Minuten vor dem Knall mal kurz zur Kenntnis geben, wie ich die Sache sehe.
taz: Indem Sie den Verfall zeigen?
Dressel: Es gibt Leute, die sagen, meine Fotos seien einseitig und tendenziös, es gebe schließlich auch schöne Dinge. Da kann ich nur sagen: Ja natürlich, aber ich will ja die Welt oder Amerika nicht objektiv beschreiben. Der Bildband ist ein persönliches Statement, ich überziehe bewusst. Natürlich sind die Strände in Malibu immer noch schön, natürlich ist das Wetter in Los Angeles weiterhin gut. Aber darum geht es in diesem Fall nicht.
taz: Manche Menschen auf Ihren Bildern übertreffen jedes Klischee, das ist schon wieder lustig. Wie finden Sie Ihre Motive?
Dressel: Ganz einfach, ich habe immer eine Kamera bei mir. Natürlich ist Fotografie etwas Subjektives. Ich sehe Konstellationen, die für mich eine gewisse Bedeutung haben. Ich fotografiere instinktiv, später schaue ich mir die Bilder an und filtere. Als sich das Thema des Bildbandes herauskristallisierte, dachte ich, dass es passen könnte, auch mal zu einer Gunshow zu gehen oder zu einer Trump-Rally, da kommt man den Dingen sehr nahe.
taz: Sie leben seit Jahrzehnten in Kalifornien, stammen aber aus Ostberlin. Wegen eines Fluchtversuchs saßen Sie in der DDR zwei Jahre im Gefängnis. Sie wurden ausgebürgert und gingen in die USA. Waren die Vereinigten Staaten für Sie ein Sehnsuchtsort?
Dressel: Nein, ich bin auch nicht absichtlich ausgewandert. Aber nach zwei Jahren Knast in der DDR hatte ich ein etwas abgekühltes Verhältnis zu Deutschland im Allgemeinen. Auf der ersten großen Reise wollte ich Amerika sehen, weil ich immer ein Filmfreak war, die Musik, die ganze Kultur faszinierte mich. Da habe ich erlebt, wie frei Amerika Mitte der 80er war.
taz: „Land of the Free“?
Dressel: Ja. Diese Nation war damals von einer so unglaublich großzügigen Lässigkeit, das war beeindruckend, wenn man aus dem deutschen Kleinscheiß kam.
taz: Sie wollten eigentlich Maler sein. Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Dressel: Ich hatte Bühnenbild studiert in Weißensee, ich habe auch in den USA noch gemalt. Dann kam die digitale Fotografie auf. Ich stellte fest, wie schwierig es ist, in die Welt rauszugehen und aus dieser unendlichen Vielfalt an Blickwinkeln den einen zu wählen, der für mich bedeutungsvoll ist. Das hat mich sofort gekriegt. Die Fotografie wurde für mich zur Obsession, und sie ist es immer noch.
taz: Ihr Geld haben Sie lange als Sound-Editor in Hollywood verdient.
Dressel: Kino war immer irre wichtig für mich. Ich habe aber irgendwann gemerkt: Eigentlich interessiert mich viel mehr, was auf den Straßen los ist. Da erfahre ich mehr über die Gesellschaft. Hollywood ist Fiktion und Ablenkung. Meine Fotografie ist da wie eine Art Gegengift.
taz: Was müsste passieren, damit Sie wieder die schönen Strände von Malibu fotografieren?
Dressel: Ach, die kann ich immer fotografieren, aber die sind nicht wirklich von Belang. Das wäre dann nur für mich persönlich.
taz: Die Frage war ein Versuch, hier doch noch mit ein bisschen Zuversicht zu enden …
Dressel: Ich sehne mich auch nach Zuversicht! Aber da ist der verdammte Realismus, der mir immer in die Quere kommt. Wir stehen an einem Wendepunkt. Das betrifft nicht nur Amerika, in Europa sieht es gar nicht so anders aus. Klar, der Titel meines Bildbandes ist provokant. Er sagt: Ey, guck mal, und dann gucken die Leute, wenn sie mögen. Aber man darf das auch nicht überbewerten, so ein Buch, so ein paar Fotos werden die Welt nicht verändern.
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