Andreas Speit Der rechte Rand: Wie Reichsbürgerinnen vor BRD-Erziehung fliehen
Die einst männlich dominierte Reichsideologieszene wird weiblicher – ein Effekt: Die Frage, wie die Schulpflicht umgangen werden kann, rückt in den Fokus. Anhänger*innen wollen ihre Kinder als „freie Menschen“ nicht in staatliche Schulen schicken, um sie vor BRD-Indoktrination zu schützen. In Telegram-Chats tauscht sich die Szene, der mindestens 23.000 Männer und Frauen angehören sollen, über das Unterlaufen der Schulpflicht aus.
In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel nahm die Polizei 2023 eine Mutter fest, die ihren 13-jährigen Sohn seit 2000 nicht mehr zur Schule hatte gehen lassen. Jüngstes Beispiel ist eine 45-Jährige aus Niedersachsen, die mit ihrem siebenjährigen Sohn untertauchte. Sie war Behörden wegen ihrer Annahme aufgefallen, die bestehende Bundesrepublik sei kein souveräner Staat und die schulische Erziehung werde durch die Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ garantiert. Ihr wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung schulischer Belange entzogen. Sie floh ins Erzgebirge, wo die Polizei ihren Sohn wohlbehalten fand. Der Junge ist nun in der Obhut des Jugendamtes.
In Niedersachsen sind die Germaniten seit 2021 aktiv. Das Netzwerk imaginiert eine Staatsgründung in den Grenzen von 1937. Im Laufe der Jahre geriet die Gruppierung immer wieder mit dem Rechtsstaat in Konflikt, mal wegen Fahrens mit einem Fantasieführerschein, mal wegen gewerbsmäßigen Betrugs.
Andreas Speitarbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.
Im Juli 2022 trat eine der führenden Figuren der Germaniten, Uta B., in einem privaten Theater in Hannover auf und warb für die Ideen der Germaniten. Mehr als 50 Gäste, die bereit waren, einen Aufnahmebeitrag von 500 Euro zu entrichten und 120 Euro Jahresbeitrag zu zahlen, kamen. Für 50 Euro konnte eine erfundene Fahrlizenz oder ein Ausweis erworben werden, um aus dem „System“ auszusteigen. Nach eigenen Angaben sollten damals schon 33 sogenannter Missionen bestehen, im Norden in Ascheberg, Bad Bevensen, Braunschweig, Bremen, Buxtehude, Hamburg, Leer und Nordhorn.
In Zeiten der Pandemie haben die Reichsideologien großen Nachhall im Querdenken-Milieu gefunden – eine neue Mischszene entstand. Eine weitere Folge der Verjüngung und Verweiblichung der Szene sind Hausgeburten, sodass das Kind bei staatlichen Einrichtungen erst gar nicht registriert wird. „Nehmt alle Kinder aus Kindergärten und Schulen, bevorzugt Hausgeburten (…) es geht um das Überleben eures Volkes und die Befreiung eures Landes“, zitiert der Bayerische Rundfunk (BR) einen Telegram-Post, der mehr als 70.000 Mal angesehen wurde. In weiteren Beiträgen werden Kinderkrippen als „Kinderkonzentrationslager“ bezeichnet und Schulen als Orte der „Hirnwäsche“.
Auf Nachfragen des BR haben elf Landesverfassungsämter angegeben, Konflikte mit Reichsideologie-Familien wahrgenommen zu haben. In Niedersachsen fielen Reichsbewegte auf, die sich der Ausstellung von Geburtsdokumenten durch die Standesämter entziehen wollten. Wer die Geburtsurkunde verweigert, kann unter dem Radar der Behörden bleiben, das ist der nächste Schritt nach einer Hausgeburt. Es wurden bereits Kinder in Reichsideologie-Gruppierungen hineingeboren. Wie viele? Kann nicht erfasst werden. Diese versteckten Kinder fallen Behörden nur auf, wenn Nachbarn die Kinder bemerken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen