Friedensdemo in Berlin: Pfiffe für das Wort „Angriffskrieg“

Bei der Friedensdemo im Berliner Tiergarten ist BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht die Umjubelte – ganz im Gegensatz zu SPD-Mann Ralf Stegner.

Ralf Stegner spricht vor einem mit einer Friedenstaube umhüllten Pult

Ralf Stegner hatte auf der Friedensdemo wenig zu lachen Foto: Christian Mang / rtr

BERLIN taz | Wenigstens von dem Nieselregen hat Ralf Stegner auf der Bühne nichts abbekommen. Das dürfte aber zu dem wenigen Erfreulichen gehören, das der SPD-Bundestagsabgeordnete von seinem Auftritt auf der bundesweiten Friedensdemonstration am 3. Oktober in Berlin mitnimmt. Zunächst noch mit freundlichem Applaus begrüßt, wandelte sich die Stimmung schnell. „Wir haben in der Ukraine einen russischen Angriffskrieg“, sagte Stegner direkt zu Beginn seiner Rede – was mit wütenden Pfiffen quittiert wurde.

Als Stegner dann auch noch der Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung zubilligte und sich für eine humanitäre wie auch militärische deutsche Hilfe für das geschundene Land aussprach, ertönten ohrenbetäubende Buhrufe. „Aufhören“, schallte es ihm entgegen, worauf er seine Rede unterbrechen musste. Stegners eindringlichem Appell nach mehr Diplomatie hörten viele schon nicht mehr zu. „Die SPD war und ist Teil der Friedensbewegung“, sagte er zum Schluss trotzig – und erntete lautstarkes Lachen. Seine Hoffnung, dass viele SPD-Mitglieder an der Demo teilnehmen würden, erfüllte sich offensichtlich nicht.

Dass der Sozialdemokrat keinen leichten Stand haben würde, war allerdings absehbar gewesen. Organisiert wurde die Demo von der Ini­tiative „Nie wieder Krieg – die Waffen nieder“, einem zehnköpfigen Kreis um die Alt-Friedensbewegten Reiner Braun und Willi van Ooyen. Für heftige Diskussionen hatte im Vorfeld gesorgt, dass der von der Initiative verfasste zentrale Aufruf allzu deutlich die Handschrift des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) trägt.

So wird darin nicht einmal benannt, wer wen angegriffen hat. Auch die Forderungen nach einem Rückzug der russischen Truppen aus der Ukrai­ne oder nach Schutz und Asyl von Kriegs­dienst­ver­wei­ge­r:in­nen und De­ser­teu­r:in­nen aus Russland, Belarus und der Ukraine in Deutschland und der EU fehlten. Das könnte daran gelegen haben, dass die Mehrzahl der Ver­an­stal­te­r:in­nen mit der neuen Partei sympathisieren oder, wie etwa die Berliner BSW-Landesgeschäftsführerin Wiebke Diehl, Mitglied sind. Diehl war eine der beiden Moderatorinnen der Abschlusskundgebung.

Drei Demozüge zur Siegessäule

Bereits im Februar 2023 hatte der Kern der Ini­tia­tive eine von Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte Friedensdemo in Berlin mit bis zu 29.000 Teil­neh­me­r:in­nen organisiert. Zu einer Nachfolgedemo im November 2023 kamen etwa 10.000 Menschen – ebenfalls mit Wagenknecht als Hauptrednerin, die auch diesmal wieder viel­umjubelt dabei war.

25.000 Teil­neh­me­r:in­nen hatten die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen 2024 angemeldet. „Wir sind jetzt schon mehr als 42.000 Menschen und es kommen immer mehr dazu“, sagte Reiner Braun zu Anfang der Abschlusskundgebung. Eine sehr wohlwollende Schätzung. Die Polizei bezifferte die Anzahl auf unter 10.000. Was zu gering geschätzt sein dürfte.

In drei Demozügen waren die Teil­neh­me­r:in­nen am Mittag vor die Siegessäule im Berliner Tiergarten gezogen. Links von der Bühne hatten die DKP, die MLPD und diverse andere kleine linken Gruppen ihre Stände aufgebaut. Die Junge Welt verteilte ihre Wochenendausgabe mit der Beilage „75 Jahre DDR“. Rechts von der Bühne standen, gut beschützt von der Polizei, ein paar Gegendemonstrant:innen. „Eure Friedenstauben sind nur Russenbroiler“ stand auf ihrem Transparent.

Der CSU-Politiker Peter Gauweiler, der die Menge mit „Grüß Gott“ begrüßte, wurde freundlicher als Stegner aufgenommen. „Ich habe noch nie in meinem Leben auf einer Demonstration der Friedensbewegung gesprochen“, sagte er. „Jeder weiß, dass Russland nicht zu den Waffen hätte greifen dürfen, da braucht man nicht zu diskutieren“, sagte der Nationalkonservative in Richtung derjenigen, die bei dem Sozialdemokraten noch gepfiffen hatten. Das taten sie bei Gauweiler nicht, da er schnell hinzufügte, dass Schuldzuweisungen den Konflikt in der Ukraine nicht lösen würden.

Wagenknecht respektiert Stegner

Frenetischen Applaus erntete schließlich Wagenknecht, die wie üblich scharf die Bundesregierung und die Ampelparteien geißelte. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock sei ein „Sicherheitsrisiko für Deutschland“, ätzte sie und forderte „ein Bataillon der Kriegstüchtigkeits-Maulhelden“. Dann könnten Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und der CDU-Mann Roderich Kiesewetter „sich mal beweisen“. Vor Stegner aber habe sie „großen Respekt“, weil er auf der Demonstration aufgetreten sei, sagte Wagenknecht. Auch wenn sie vieles von dem, was er sagte, nicht teile.

Mehrere im Vorfeld angefragte Red­ne­r:in­nen hatte ihre Teilnahme abgesagt, darunter der DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin und die Ex-EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann.

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