Liberales Judentum: Neue Rabbinerin in Hamburg
Erste ihrer Art: Seit 1. Oktober ist Alina Treiger Hamburgs liberale Landesrabbinerin. Mit solchen Premieren kennt die gebürtige Ukrainerin sich aus.
Und die 45-Jährige kennt sich aus mit solchen ersten Malen: 2011 war sie die erste Frau seit 1935, die in Deutschland zur Rabbinerin ordiniert wurde – und damit die zweite überhaupt in Deutschland. Ihre historische Vorgängerin, Regina Jonas, 1935 die weltweit erste Rabbinerin, war 1944 in Auschwitz ermordet worden.
Treiger ist in Poltawa, Ukraine, geboren, noch zu Sowjetzeiten, und aufgewachsen „in einem jüdischen Umfeld“, so der Hamburger Tempelverband. Seit 2002 lebt sie in Deutschland, die Qualifikation fürs nun in Hamburg bekleidete Amt erwarb sie am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, wo sie auch ihren späteren Ehemann traf. Zuvor hatte sie in der Ukraine Musik studiert und war am Moskauer „Institut des progressiven Judentums“ zwei Jahre lang für die Gemeindearbeit ausgebildet worden.
Treiger hat eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie es ist, seine Religion nicht praktizieren zu dürfen: Das ist die Erfahrung aus der Sowjetzeit. „Ich habe meine jüdische Identität seit der Kindheit getragen und zu ihr gestanden“, hat sie 2011 dem Online-Medium „Oldenburger Lokalteil“ erzählt. „Als es dann nach dem Ende der Sowjetunion möglich wurde, die Religion auszuüben, war es klar, dass wir als Familie in die Gemeinde gehen.“
Alina Treiger, Landesrabbinerin in Hamburg
Andererseits hat sie danach – „im Grunde ein Zufall“, sagte sie darüber mal – das liberale vor dem orthodoxen Judentum kennengelernt. Am erwähnten Moskauer Institut, so Treiger 2011 zur taz, „war es selbstverständlich, dass eine Frau vorbeten und aus der Thora lesen kann. Dass es etwas sehr Ungewöhnliches ist, habe ich erst wahrgenommen, als ich nach Deutschland kam.“
Seit ihrer Ordination hat Treiber die Jüdischen Gemeinden Oldenburg und Delmenhorst betreut, zusammen an die 500 Gläubigen, etwas mehr als künftig an der Elbe: Rund 340 Mitglieder hat nach eigenen Angaben der Tempelverband, mithin die deutlich kleinere dortige jüdische Gemeinde; rund 2.300 Mitglieder gibt die größere, orthodox geprägte Jüdische Gemeinde an.
Beide Gemeinden liegen in mal mehr, mal weniger offenem Clinch: darum, wer mit welchem Recht die jüdischen Menschen in der Stadt repräsentiere; auch darum, welche Gemeinde die Stadt Hamburg, in theologischen Fragen eigentlich nicht zur Parteinahme angehalten, als Gesprächspartnerin ansieht.
Als Rabbinerin folgt Treiger auf den Niederländer Edward van Voolen, 76, der das Amt seit Anfang 2023 und davor schon mal von 2006 bis 2011 bekleidet hatte. Ihr Vertrag beginnt heute, Treiger wird „die Gottesdienste für kommende Hohe Feiertage übernehmen“, so der Tempelverband am 30. September. Ihre feierliche Einführung – beziehungsweise die Verabschiedung von Voolens – sind für Anfang Dezember geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!