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Im Lebensmittel-Labyrinth

Biosiegel bieten eine wichtige Orientierung beim Kauf von Lebensmitteln. Angesichts der vielen Label kann man den Überblick allerdings auch schnell wieder verlieren

Früher wurde gegessen, was auf den Tisch kam. Heute stehen persönliche Wünsche stärker im Fokus. Das macht den Einkauf komplexer Foto: Anna Ivanov/The Picture Pantry / mauritius images

Von Dierk Jensen

Was tun? Die Großeltern wollen zum nächsten Fest wieder – wie früher – für die ganze Familie groß aufkochen; dann kommt die Warnung ihrer Tochter: die Enkelin möchte es nur vegan. Die Zeiten ändern sich – das besang schon einst Bob Dylan und von daher ist es auch für die besagten Großeltern sicherlich hilfreich, dass das Vegan-Logo auf den Verpackungen von Bioprodukten steht.

Wenn auf einer Tüte Mandeln oder Rosinen im Lebensmittelgeschäft das vegane Siegel steht, dann ist das zwar ein bisschen wie ein weißer Schimmel, aber immerhin konkurrieren nicht mehrere vegane Siegel miteinander. Das ist bei der Kennzeichnung von Ökoprodukten etwas anders. Es gibt in Deutschland zahlreiche Öko-Landbauverbände, die sich mit jeweils eigenen Logos definieren beziehungsweise abgrenzen. Eine Vielfalt, die einerseits die regionale, soziale sowie politisch-kulturelle Vielschichtigkeit der hiesigen Ökolandbewegung beeindruckend demonstriert, andererseits aber für Kon­su­men­t:in­nen im Zweifel durchaus irritierend sein kann. Dabei möchte man im Lebensmittelgeschäft einfach mal zu einem leckeren Joghurt greifen und fertig – statt die Verpackung und all die bunten Botschaften extra studieren zu müssen.

Auch wenn das aktuelle Siegel-Wirrwarr für viele Ver­brau­che­r:in­nen schwer zu durchdringen ist, hebt Svende Fischer vom Öko-Verband Bioland anhand eines Beispiels die positiven Aspekte eines Siegels hervor. „Die Tierhaltungs-Formkennzeichnung mit der Stufe 5 für Bio ist sehr wichtig und zum Glück zukünftig verpflichtend. Die Akzeptanz dieses Siegels scheint mir sehr gut“, unterstreicht Fischer, die die Öffentlichkeitsarbeit des Bioland-Verbandes in den drei nördlichen Bundesländern verantwortet. Sie fügt hinzu: „Zudem wäre ein Siegel-O-Mat nach dem Vorbild des Wahl-O-Mat eine großartige Hilfe, um den Überblick zu behalten und noch tiefer in die Details einsteigen zu können, weil weiterführende Informationen geboten werden.“ Es sei wichtig, nicht nur auf Bio, sondern auch auf Regionalität zu achten. Denn das bedeute kurze Transportwege, eine Stärkung der (Land-)Wirtschaft, hiesige Arbeitsbedingungen und Gehälter sowie strenge Umwelt- und Tierschutzauflagen. Neben Bioland setzen weitere Anbauverbände wie Demeter, Biopark, Biokreis, Ecoland, Ecovin, Gäa und Naturland oder der Verbund Ökohöfe, mit sehr unterschiedlichen Entstehungsgeschichten eigene inhaltliche Schwerpunkte. Als größter internationaler Bio-Verband hat sich Naturland auf die Fahnen geschrieben, ökologische Nachhaltigkeit mit sozialer Verantwortung zu verbinden. „Außerdem zertifizieren wir als einziger Verband auch Fisch aus ökologischer Aquakultur sowie aus nachhaltigem Wildfang“, sagt Naturland-Sprecher Markus Fadl.

So finden sich am Ende die jeweiligen Logos der Verbände auch auf den Verpackungen der Produkte wieder. Diese ersetzen jedoch nicht das EU-Bio­siegel, das ausnahmslos auf allen Bioprodukten, welche nach EU-Öko-Verordnung zertifiziert sind, aufgedruckt sein muss. Wobei neben dem Logo auch die Codenummer der Öko-Kontrollstelle – zum Beispiel DE-Öko-007 – sowie eine Herkunftsangabe für die Zutaten, wie beispielsweise Deutschland-, EU- oder Nicht-EU-Landwirtschaft, vorgegeben ist.

„Zusätzlich kann das deutsche sechseckige Biosiegel aufgedruckt sein, dies ist jedoch nicht verpflichtend“, so Patrick Müller, Referent für Agrarpolitik mit dem Schwerpunkt Tierhaltung beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Nach Müllers Einschätzung komme zwar klassischer Etikettenschwindel bei Bioprodukten auch vor, sei aber eher selten anzutreffen. „Ab und an werden Bezeichnungen verwendet wie beispielsweise ‚aus kontrolliertem Anbau‘, ‚aus integriertem Anbau‘ oder ‚nachhaltige Landwirtschaft‘. Diese Bezeichnungen sind allerdings keine Garantie für ein Bioprodukt, diese bietet nur das EU-Biosiegel“, sagt Müller.

Was empfiehlt nun aber der BUND, damit man als Ver­brau­che­r:in auch wirklich Bio im Einkaufskorb liegen hat? „Das EU-Biosiegel gewährt bereits eine hohe Qualität. Zusätzliche, meistens höhere Standards bieten die Produkte der jeweiligen Anbauverbände“, unterstreicht Müller.

Der BUND empfiehlt außerdem, möglichst häufig auf saisonale und regionale Produkte zurückzugreifen, weil insbesondere Lagerung und weite Transporte die Qualität und die Klimabilanz von Produkten belasten können. Bei tierischen Produkten gebe es weitere Kriterien wie beispielsweise Milch aus Weidehaltung oder Eier von Hühnern mit Bruderhahnaufzucht – also ohne Kükentöten, so Müller. „Wir empfehlen außerdem eine insgesamt pflanzenbasierte Ernährung nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.“

Klingt gesund, nachhaltig, überzeugend. Und doch, die aktuell mehr als hundert verschiedenen Siegel, Label und Kennzeichen auf Lebensmitteln bereiten so manchen beim Einkauf Kopfschmerzen, weil beim Griff zu einem Lebensmittel ein unbekanntes Siegel auftaucht. „Nicht einmal Ex­per­t:in­nen auf diesem Gebiet können alle hinter den verschiedenen Kennzeichnungen stehenden Anforderungen erklären. Es braucht also deutlich mehr Transparenz“, räumt Müller unumwunden ein. Wie eigentlich immer im komplizierten Leben: Weniger ist am Ende dann doch mehr.