der leitartikel
: Teufelskreis der Gewalt – im Nahen Osten braucht es den neutralen Dritten

Von Lisa Schneider

Kommt er nun, der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah? Eine Ausweitung der Eskalation zwischen den beiden seit dem 8. September 2023 gegeneinander kämpfenden Parteien schien wohl nie näher – schon bevor jüngst Tausende ­Pager und Walkie-Talkies von Hisbollah-Mitgliedern explodierten.

Der Angriff betraf vor allem Hisbollah-Mitglieder und damit Militärziele. Das ist im Verhältnis zu anderen Optionen innerhalb eines Kriegs, etwa Luftangriffen, präzise. Dennoch ist die Attacke auf die Pager symptomatisch für den Konflikt: Israel ist informationstechnisch überlegen, aber kriegsentscheidend ist das keineswegs. Auch ob man einen strategischen Vorteil gewinnt, ist fraglich, obwohl durch die Attacke die Kommunikationsstruktur der Hisbollah geschädigt wurde. Israel scheint nach wie vor zu einer Bodenoffensive wenig bereit zu sein. Und dass die Hisbollah weiterhin befähigt ist, Nordisrael zu beschießen, bewies sie nach der Pagerattacke erneut.

Wie könnte Israel also die Hisbollah zurückdrängen und das Grenzgebiet sichern? Eine Ausweitung der Luftangriffe oder eine Bodenoffensive wären fatal: Beide Parteien befinden sich in einer gefährlichen Pattsituation zueinander. Israel und die Milizen der Hisbollah sind in der Lage, sich gegenseitig immensen Schaden zuzufügen. Das Arsenal von angeblich mehr als 150.000 Raketen, das die Hisbollah in den Jahren seit dem letzten großen Krieg zwischen ihr und dem Libanon 2006 aufgebaut hat, stellt nicht nur für den Norden Israels eine gefährliche Bedrohung dar.

Lisa Schneider

ist Redakteurin für Westasien und Nordafrika. Zuvor war sie taz-Korrespondentin in Jerusalem ad interim.

In einer Bodeninvasion würden außerdem die technischen Vorteile Israels gegen die ­Guerillataktiken der Hisbollah im unwegsamen Gelände des Südlibanon weniger relevant. Dazu kommt Israels Kapazitätsproblem: Zu viele Bodentruppen sind noch im Gazastreifen eingebunden, die Reserven immer mehr ausgeschöpft. Und wie lange die Bevölkerung bereit wäre, auch noch eine zweite Bodenoffensive mitzutragen – und teils mit dem Leben zu bezahlen – ist fraglich.

Die Hisbollah ist erklärtermaßen bereit zu einem Deal; vorausgesetzt, es kommt zu einem Geisel- und Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas. Damit wäre allerdings nur eine temporäre Lösung erreicht, die lauernde Gefahr an der Nordgrenze würde bleiben, die Hisbollah-Miliz wohl weiter ihre Stellungen ausbauen – bis zum nächsten Ausbruch eines Konflikts, an dem sich die iranisch unterstützen Militanten beteiligen werden. Ein Deal würde weniger ein Kriegsende bedeuten – nur eine Pause.

Um dauerhafte Waffenruhe zu erreichen, müsste sich an ein erstes Abkommen ein weiteres anschließen. Theoretisch liegt es bereits vor: die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1701 aus dem Jahr 2006, die damals zum Waffenstillstand führte. Die Hisbollah sollte sich bis hinter den Fluss Litani zurückziehen, Israel würde aus dem Libanon abziehen. Die Resolution wurde zwar formal verfügt, aber – vom Rückzug der israelischen Truppen abgesehen – nie wirklich umgesetzt.

Die westliche Welt ist zum Nahostkonflikt auf Distanz gegangen. Es gibt keine echte Initiative mehr, den Konflikt zu beenden

Dass deeskalierende Maßnahmen beschlossen werden, aber in der Realität nichts bringen, hat Tradition: Seit 1978 gibt es die UN-Beobachtungsmission Unifil an der Grenze zwischen Libanon und Israel. Sie hat die Hisbollah nie in die Schranken weisen können – 2006 nicht und auch heute nicht.

Dabei ist das Konzept der Resolution 1701 und auch der Unifil gut: Beide zusammen sollten die Möglichkeit der Hisbollah, Israel anzugreifen, deutlich schwächen und gleichzeitig sicherstellen, dass die territoriale Integrität des Libanon gewahrt bleibt.

Ihre Umsetzung bräuchte aber echten, internationalen Druck auf beide Parteien. Gerade die westliche Welt ist zum Nahostkonflikt auf Distanz gegangen: Man sichert Israel das Recht auf Selbstverteidigung zu, verurteilt Kriegshandlungen, ermahnt zur Mäßigung und ist schockiert über zivile Opfer. Es gibt keine echte Initiative mehr, den Konflikt zu beenden – stattdessen wird er beobachtet, höchstens gemanagt.

Illustration: Robert Samuel Hanson

Dabei stünde, gerade weil sich die Hisbollah und Israel nun in einer Art Pattsituation befinden, jetzt die Option im Raum, erneut diplomatisch mutig zu sein. Nur zu fragen, wie eine noch größere Eskalation zu vermeiden ist, reicht nie an die Wurzel des Konflikts – und ist damit immer nur ein Spiel auf Zeit. Der erste Schritt ist nun, die drohende Eskalation abzuwenden und mit verstärktem Druck Hamas und Israel dazu zu bewegen, einen Geiseldeal möglich zu machen.

Auch im Anschluss ist die internationale Gemeinschaft gefragt, den Druck noch zu erhöhen, gerade auf die Hisbollah und ihren Hintermann Iran – bis bereits Ausgemachtes, das diesen Krieg in seiner heutigen Form wohl hätte vermeiden können, endlich umgesetzt wird.